„Wo du für deine Träume gefeiert wirst, da wächst du über dich hinaus!“ Interview mit Ali Mahlodji

Ali Mahlodji ist Flüchtling, Schulabbrecher, war in über 40 Jobs tätig – von der Putzhilfe bis zum Manager bis hin zum Lehrer und Gründer und Chief Storyteller von WHATCHADO. Heute ist er EU-Jugendbotschafter, mehrfacher Autor und internationaler Keynote. 2012 gründete die Internet-Berufsorientierungsplattform whatchado.com, das Handbuch der Lebensgeschichten, auf dem Menschen aus der ganzen Welt – vom Präsidenten bis zum Nachbarn von nebenan – anhand von Videointerviews erzählen, wer sie sind, was sie tun und wie zu ihrem jetzigen Beruf kamen. WHATCHADO ist heute das Zuhause von über 7000 Karrieregeschichten aus über 100 Nationen. Ali Mahlodji erzählt uns im Interview, was Unternehmen dafür tun können, Auszubildende zu gewinnen – und zu halten.

Viele junge Menschen in Deutschland finden zurzeit keinen Ausbildungsplatz – gleichzeitig klagen viele Ausbildungsbetriebe, dass sie keine Azubis finden oder dass es den Bewerber*innen schon an Grundqualifikationen mangele. Was ist da los?

Viele Ausbildungsbetriebe, die keine Azubis finden, dachten in der Vergangenheit sehr oft, dass es einfach reicht, ein Inserat zu posten und dann würden die Bewerbungen schon alle von alleine kommen. Was wir aber in der neuen Arbeitswelt merken, ist, dass es natürlich immer schwieriger wird, Azubis zu finden, wenn man die Vorarbeit dazu nicht geleistet hat. Wenn man nicht schon früh damit begonnen hat in die Schulen zu gehen, Jugendliche für neue Jobs zu sensibilisieren und sich als Arbeitgeber auf den Kanälen der Jugendlichen zu positionieren. Wenn man das nicht gemacht hat, dann bekommt man jetzt quasi die große Rechnung dafür präsentiert. Und bei den Jugendlichen muss man schon sagen: Ja, viele Dinge die wir früher zuhause gelernt haben, zum Beispiel als Familie um 18 Uhr zusammenzusitzen und Generationengespräche zu führen oder wie früher zum Beispiel die Fähigkeit Dinge auszuhalten, Langeweile zu spüren und zu merken, dass du, nur weil du was willst, du es nicht quasi in dieser Sekunde haben kannst. Diese ganz menschlichen Dinge, die uns ausmachen, fehlen den heutigen Jugendlichen. Das liegt unter anderem auch daran, dass wir eine Welt erschaffen haben, in der Jugendliche zum Beispiel das Gefühl haben, alles jetzt sofort haben zu können. Wenn jemand sein Lieblingslied hören will, dann gibt er es jetzt auf YouTube oder einer anderen Plattform ein und verfügt sofort darüber. Du bestellst ein Paket auf Amazon und du kriegst es am nächsten Tag geliefert. Das ist eine Generation, die gelernt hat, dass du jetzt und sofort alles haben kannst. Das ist auch der Preis, den wir dafür bezahlen, dass wir nun Jugendliche haben, die nichts mehr aushalten oder die eben zuhause in der Familie oder in der Schule nicht mehr die Dinge lernen, die wir eigentlich fürs echte Arbeitsleben benötigen, nämlich wie man zusammenarbeitet, wie man sich am Riemen reißt, wie man sich selber motiviert, wie man geduldig bleibt usw… Deshalb: Die Ausbildungsbetriebe, die verstanden haben, dass ihre Aufgabe nicht nur ist, Jugendliche aufzunehmen, sondern die anerkennen, dass ihre Aufgabe eigentlich ist, eine Art Lebensschule zu sein für Azubis und diese in der wichtigsten Phase ihres Lebens dabei zu begleiten, sich als Mensch zu entwickeln – die haben Erfolg. Wer dafür sorgt, dass dort Persönlichkeiten wachsen dürfen und ihnen auch die Freiheiten gibt, sich vom ersten Lehrjahr an als Teil vom Team zu fühlen und nicht als der kleine Azubi. Wer das schafft, der hat auch keine Probleme in Sachen Fachkräftemangel. Es geht darum, sich in die Lebenswelt von Jugendlichen einzufühlen und zu versuchen zu verstehen, warum es ihnen so geht. Und wer sich um dieses Verständnis wirklich kümmert, anstatt sie abzustempeln, der hat definitiv bessere Chancen, Auszubildende für sich zu gewinnen.

Was rätst du Ausbildungsbetrieben, wie sie Azubis gewinnen und dann im Laufe ihrer Ausbildung unterstützen und für ein Berufsbild begeistern können? Und was muss die Politik leisten?

Die Politik kann eigentlich wenig leisten, weil Politik immer den Entwicklungen der Gesellschaft hinterherläuft. Was die Politik wirklich tun kann, ist, dass sie den Betrieben oder der Wirtschaft die Chance gibt, viel schneller Ausbildungsberufe oder Azubi-Jobs anzuerkennen, denn diese Jobs entstehen extrem schnell und die Politik braucht meistens ewig, um diese anzuerkennen. Aber was Ausbildungsbetriebe wirklich tun können ist das, was ich schon gesagt habe: Sich viel früher mit der Lebensrealität junger Menschen auseinandersetzen. Und wenn ich schon Azubis im Unternehmen habe, dann würde ich mit ihnen sprechen und sie danach fragen, was das Unternehmen tun könnte, um Azubis zu gewinnen. Ich würde den Azubis die Möglichkeit geben, eigene Bewerbungskampagnen zu machen und würde die Azubis danach fragen, was sie brauchen. Und was Azubis auf jeden Fall brauchen ist eine Art Mentor oder Mentorin oder eine Art Buddy. Dies sollte aber nicht irgendeine Person sein, die nur formal dabei ist, sondern wirklich als Persönlichkeit für diese junge Person ansprechbar ist. Denn was gerade junge Menschen im Betrieb, wo sie „die Jungen“ sind, benötigen, ist jemand, der ihnen die Wertschätzung widerspiegelt.

Was brauchen insbesondere benachteiligte junge Menschen, um nicht nur eine Ausbildung zu finden, sondern um insgesamt ein selbstwirksames Leben führen zu können?

Ich kenne auch viele Jugendliche, die nicht benachteiligt sind, denen es finanziell gut geht, die es aber auch nicht schaffen, ein selbstwirksames Leben zu führen, weil sie oft Eltern haben, die ihnen das nicht zutrauen. Was ein junger Mensch immer benötigt, ist eine Person, die bedingungslos an das Kind glaubt und dem Kind auch erlaubt, Fehler zu machen. Jedes Kind hat die Muttersprache oder die zuerst erlernte Sprache aus dem Nichts heraus erlernt, weil die Erwachsenen es ihm zugetraut haben. Das Kind hat nur zugehört, wie die Erwachsenen sprechen und hat es nachgeplappert und plötzlich spricht es die Sprache fließend. Auch beim aufrechten Gang muss uns bewusst sein, dass jedes Kind jeden Tag 30-40-mal auf die Schnauze fällt, aber man es dem Kind zutraut, dass es durch das Hinfallen und Fehlermachen selbst seinen eigenen Weg geht. Und genau das müssen wir später auch den Jugendlichen zutrauen. Wenn man mit benachteiligten Jugendlichen zu tun hat, dann geht es darum, dem Kind authentisch und nicht übertrieben das Gefühl zu geben: Hey, du bist super, du bist die Zukunft, du bist heute ein Jugendlicher, morgen bist du ein Erwachsener. Dass man dem Jugendlichen klar macht, dass all diese Benachteiligung, die das Kind erlebt hat, nichts mit dem Kind selbst zu tun hat: Es liegt nicht an dir, ob du benachteiligt bist, aber es liegt an dir, zu entscheiden, ob du ein besseres Leben willst. Wer mit Jugendlichen auf Augenhöhe spricht, ihnen etwas zutraut, aber auch da ist für ihre Träume und Wünsche, aber sie auch ihre eigenen Fehler machen lässt, der merkt, dass Jugendliche beginnen, über sich selbst hinaus zu wachsen. Und das gilt für jeden Menschen: Wenn du das Gefühl hast, dein Umfeld mag dich und du bist in einem Umfeld, in dem du gestärkt und gestützt wirst, wo die Leute deine Träume nicht auslachen, sondern eher feiern und unterstützen, dann beginnt jeder Mensch zu wachsen. Und das ist, was gerade junge Menschen in der Welt benötigen, weil sie manchmal das Gefühl haben, auch aufgrund von Social Media, nicht zu genügen.

Bild: Ali Mahlodji / Martina Draper
Quelle: Ali Mahlodji / BAG KJS

 

 

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