Zwei Vorstandsfrauen haben in den vergangenen Jahren die Arbeit der BAG KJS und ihr Wirken in Politik, Kirche und Gesellschaft ganz besonders geprägt: Lisi Maier (BDKJ) und Marion Paar (IN VIA). Im Herbst 2021 endet nach langem und unermüdlichem Engagement ihre Amtszeit im BAG KJS-Vorstand. Was geben sie uns mit auf den Weg in eine #StarkeZukunft für alle jungen Menschen und die Jugendsozialarbeit?
Welches Thema lag Ihnen, Frau Paar, in Ihrer Amtszeit im Vorstand der BAG KJS am meisten am Herzen?
Marion Paar: Wenn ich ein Thema benennen muss, dann ist es die Ausbreitung der schulbezogenen Jugendsozialarbeit und der Schulsozialarbeit. Ich glaube, dass die Jugendsozialarbeit im katholischen Bereich wesentlich dazu beigetragen hat, dass die Schulsozialarbeit in eine gewisse Breite gekommen ist und so zu einem Begriff und einem Konzept geworden ist, das von den Schulen selbst gewollt wird. Wichtig war mir dabei, dass diese als ein Angebot der Kinder- und Jugendhilfe erhalten bleibt und nicht zum Instrument wird, das durch die Schule selbst gesteuert wird.
Was hat katholische Jugendsozialarbeit denn besonders richtig gemacht, um dieses Feld gut besetzen und dafür lobbyieren zu können?
Marion Paar: Die Gründe sind vielleicht etwas banal – wir waren einfach schnell. In den 1980er Jahren gab es da schon Modellprojekte des Bildungsministeriums und wie so oft hatten wir schon länger Konzepte im Kopf und als sich dann die Gelegenheit ergab, konkret zu werden, haben wir zugegriffen. Es hat mich immer sehr stolz gemacht, dass wir schnell auf aktuelle Entwicklungen reagieren konnten, denn so sind viele Chancen entstanden, eben auch mit der Schulsozialarbeit.
Frau Maier, wie ist das bei Ihnen – welches Thema war Ihnen bei der BAG KJS besonders wichtig?
Lisi Maier: Das ist jetzt wahrscheinlich nicht ganz verwunderlich, aber das sind die Jugendberufshilfe und verwandte Themenbereiche, also alles was dazu beiträgt junge Menschen beim Start in Ausbildung und Beruf zu unterstützen. Hier bespielen wir die gesamte Palette mit unseren verschiedenen Mitgliedsorganisationen und können so verschiedene Perspektiven miteinander in Kontakt bringen. Das ist ein besonderes Momentum, da ein großer Teil unserer Mitgliedsorganisationen eine lange Geschichte in der Jugendberufshilfe haben und sich spezifisch weiterentwickelt haben; zum Beispiel mit dem Kolping Jugendwohnen oder IN VIA mit einer mädchen- und frauenpolitischen Perspektive. Dieses Engagement entstand eben auch aus einer bestimmten Zeit heraus, nämlich der Industrialisierung, in der sich viele dieser Verbände auf den Weg gemacht haben. Dieses Themenfeld hat einen maßgeblichen Beitrag zur katholischen Soziallehre geleistet und an Aktualität nichts eingebüßt, wenn wir auf unseren Jugendarmutsmonitor schauen.
Blicken wir auf die Bundestagswahl am Sonntag. Wir haben als BAG KJS ja eine kleine Kampagne unter dem Motto „Eine #StarkeZukunft für junge Menschen“ gestartet, um die wichtigen Themen der Jugendsozialarbeit in den Wahlkampf und die Koalitionsverhandlungen einzuspielen. Wo wird es denn für uns mit einer neuen Bundesregierung besonders spannend? Wo müssen wir ran?
Lisi Maier: Ich glaube, dass die Ausbildungsgarantie, bzw. das Recht auf Ausbildung ein solches Thema sein wird. Aufgrund der unterschiedlichen Begrifflichkeiten, die ich genannt habe, wird schon deutlich, dass es hier innerhalb der BAG KJS unterschiedliche Haltungen gibt. Das kann natürlich auch dazu führen, dass wir zunächst nicht tief genug argumentieren, weil wir Widersprüche miteinander vereinen müssen. Aber ich glaube, dass wir versuchen müssen, mit dieser Unterschiedlichkeit zu punkten, mit unseren unterschiedlichen Zugängen zu Parteien, zu Fraktionen, zu politischen Akteur*innen. Nach 18 Monaten Corona muss man aber auch sehen, dass wir wiederum in 18 Monaten nicht wieder die Situation haben werden, die wir vor 18 Monaten Corona hatten. Es wird viel länger dauern, den jungen Menschen, die während Corona auf sich allein gestellt waren, wieder Perspektiven zu geben. Dass zum Beispiel im sozialpädagogischen Jugendwohnen plötzlich noch Plätze frei sind, hat mit Corona und mit den rückläufigen Ausbildungsplatz-Zahlen zu tun und damit, dass junge Menschen nicht den Wohnraum bei ihren Eltern verlassen können, dass sie eine höhere Unsicherheit im familiären Kontext verspüren. Das sind alles Dinge, die junge Menschen daran hindern, zu einer selbstständigen Persönlichkeit heranzureifen. Da müssen wir mit voller Kraft voraus tätig werden.
Marion Paar: Ja, das glaube ich auch. Die Dimensionen dessen, was Corona für junge Menschen bedeutet, können wir bislang auch nur erahnen. Sie sind am härtesten betroffen, weshalb wir in unserer praktischen Arbeit uns darauf ausrichten müssen, was junge Menschen nun wirklich brauchen und unsere Angebote entsprechend anpassen. Das wird nicht leicht sein, weil auch unsere Fördergeber bestimmte Vorstellungen haben, zum Beispiel bezüglich der Lage am Ausbildungsmarkt und unserer Forderung jetzt die außerbetriebliche Berufsausbildung auszuweiten. Das gesellschaftliche Bild, das zurzeit vorherrscht, ist, dass die Industrie und das Handwerk schon genug getan haben, aber die Jugendlichen von sich aus die Plätze nicht finden. Das ist aber nicht der richtige Ansatz, finde ich, um jungen Menschen ein gutes Angebot für ihre Zukunftsgestaltung und für ihr Selbstwertgefühl zu machen.
Richten wir den Blick in die Zukunft und über den 26. September hinaus – was geben Sie der BAG KJS mit auf den Weg? Was raten Sie uns?
Marion Paar: Ich möchte noch einmal das Thema Ausbildungsgarantie aufgreifen. Hier wird häufig kolportiert, dass wir aufgrund unserer Differenzen nicht zueinander finden, auch im Rahmen unserer Zusammenarbeit im Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit. Mir wird jedoch bisher nicht deutlich, wo unsere Differenzen da liegen! Ehe man also feststellt, dass man hier nicht zusammenkommt, müsste wir mal dezidiert beschreiben, was wir uns jeweils vorstellen, wenn wir von Ausbildungsgarantie sprechen bzw. wie wir uns ein erfülltes Recht auf Ausbildung genau vorstellen. Das ist wichtig für uns selbst, aber auch für die Politik, damit so dort konkrete Bilder entstehen. Hier müssen wir unsere Hausaufgaben noch machen. Ein zweiter Punkt, der mir sehr wichtig ist, ist, dass es Zusammenschlüsse der Jugendsozialarbeit wie die BAG KJS und den Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit braucht, weil es sonst die Jugendsozialarbeit als konturiertes Arbeitsfeld nicht gäbe. Wir haben viele Schnittstellen mit Bildungspolitik, mit Kinder- und Jugendhilfe allgemein, mit Arbeitsmarktpolitik und vielen anderen Politikfeldern mehr und wir könnten uns theoretisch in all diesen Feldern auflösen. Unsere Perspektive aus der Kinder- und Jugendhilfe heraus hilft uns dabei, junge Menschen viel breiter und gleichzeitig tiefer dabei zu unterstützen, in unserer Gesellschaft anzukommen.
Lisi Maier: Ich kann daran gut anschließen. In der kommenden Legislaturperiode sollten wir uns mit breiter Brust aufstellen und deutlich machen, was der §13 SGB VIII im Besonderen bedeutet. Wir sind die Strukturen, die diesen gesetzlichen Auftrag erfüllen und wir haben auch die fachliche Expertise, um diese Dinge im Sinne des Wohls von Kindern und Jugendlichen umzusetzen. Ich finde zugleich, dass wir in den letzten Jahren innerhalb der BAG KJS auch weniger „konkurrenzgeprägt“ geworden sind, auch wenn man um dieselben Ressourcen zu ringen scheint. Es sollte uns künftig noch besser gelingen, Synergieeffekte zu erzielen und gemeinsam mit den jeweils anderen Organisationen die unterschiedlichen Zugänge zu Legislative und Exekutive als dickes Plus zu empfinden. Und davon profitiert nachher unsere Zielgruppe – benachteiligte Kinder und Jugendliche.
Liebe Frau Maier, liebe Frau Paar, herzlichen Dank für dieses Interview – und ihr unermüdliches Engagement für die BAG KJS!
Quelle: BAG KJS