Im Juni 2023 wurde im Rahmen des Gesetzes zur Stärkung der Aus- und Weiterbildung eine gesetzlich verankerte Ausbildungsgarantie verabschiedet. Zum 1. April 2024 traten einige Maßnahmen, die im Gesetz beschlossen wurden, in Kraft. Dazu zählen die Berufsorientierungspraktika, eine flexibilisierte Einstiegsqualifizierung, zusätzliche außerbetriebliche Ausbildungsplätze sowie ein Mobilitätszuschuss[i] Susanne Nowak bewertet die neu geltenden Maßnahmen aus Sicht der Jugendsozialarbeit. Susanne Nowak arbeitet als Bundesreferentin bei IN VIA Deutschland und ist im Netzwerk der Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit (BAG KJS) e. V. eine der Expert*innen im Handlungsfeld Jugendberufshilfe. Aus ihrer Sicht wurde mit der Ausbildungsgarantie eine Forderung umgesetzt, die die Jugendsozialarbeit seit vielen Jahren an Politik adressierte. Insofern sei diese zu begrüßen. Jedoch lassen die jetzt in Kraft getretenen Maßnahmen für Nowak wirkliche Innovation vermissen und greifen viel zu kurz. Die Begründung liefert Nowak in ihrem Kommentar:
Ausbildungsgarantie ist nicht inklusiv ausgestaltet
Das Gesetz stellt vor allem die Angebotssituation des Ausbildungsmarktes und nicht die Lebenssituation junger Menschen in den Mittelpunkt. Die mit der Ausbildungsgarantie verbundenen Bemühungen, jungen Menschen den Weg in Ausbildung zu ebenen, richten sich längst nicht an alle. Im Fokus sind diejenigen, die bei der Bundesagentur für Arbeit als ausbildungssuchend gemeldet sind. Damit fehlt der Blick auf all jene, die nicht dort ankommen. In der Jugendberufshilfe sprechen wir von Exklusionsrisiken[ii], aufgrund derer jungen Menschen die Einmündung in Ausbildung verwehrt wird. Dies sind vor allem fehlende Schulabschlüsse, aber nach wie vor wirken die soziale Herkunft, Geschlecht, Migrations- und Fluchthintergrund, aber auch körperliche, kognitive und zunehmend psychische Beeinträchtigungen ausgrenzend.
Nach wie vor ist auch die sog. „Ausbildungsreife“ eine zentrale Voraussetzung dafür, um im Sinne der BA statistisch als ausbildungssuchend zu zählen. Denn nur diejenigen, die von der Berufsberatung auf der Grundlage des Konzeptes der „Ausbildungsfähigkeit“ als „ausbildungsreif“ eingestuft werden, sind in der Statistik als Bewerber*innen aufgeführt. Diejenigen, die als „nicht ausbildungsreif“ gelten, werden nicht aufgeführt. Somit bleibt ihnen der Weg in Ausbildung verwehrt.
Und last but not least: Aufgrund der Dysfunktionalität des Ausbildungsmarktes und regionalen Passungsproblemen gelingt beispielsweise auch jungen Menschen mit formal guten Schulabschlüssen der Übergang in Ausbildung teilweise nicht. Dafür kann häufig schon der Wohnsitz in einem als Brennpunkt geltenden Wohngebiet sorgen.
Eine Ausbildungsgarantie muss jedoch alle jungen Menschen und deren Lebenssituation und Lebenslagen in den Blick nehmen, die eine Ausbildung beginnen möchten und können. Die BAG KJS hat sich deshalb für eine deutlich inklusiver ausgestaltete Ausbildungsgarantie eingesetzt.
Beschlossene Maßnahmen sind nichts Neues und greifen zu kurz
Die mit der Ausbildungsgarantie beschlossenen Maßnahmen – Berufsorientierungspraktika, flexibilisierte Einstiegsqualifizierung, zusätzliche außerbetriebliche Ausbildungsplätze, Mobilitätszuschüsse – sind zweifelsohne sinnvoll – aber es sind keine neuen Maßnahmen. Mit der Kernidee einer Ausbildungsgarantie, also einer garantierten Versorgung derjenigen jungen Menschen mit einer Ausbildungsmöglichkeit, die bei ihren Bewerbungen leer ausgegangen sind, haben diese Instrumente nur sehr indirekt zu tun.
Zudem starten alle Bemühungen erst nach Abschluss der weiterführenden Schulen und somit nach Beendigung der Schulzeit der jungen Menschen. Aber gerade am Übergang Schule – Ausbildung – Beruf drohen die jungen Menschen zu scheitern und demzufolge verloren zu gehen. [iii]
Übergang Schule – Beruf mit einem Übergangscoaching begleiten
Wir brauchen dringend ein Angebot für junge Menschen, das bereits in der Schule beginnt: Ein sog. Übergangscoaching, um eine bedarfsorientierte Begleitung des Übergangs von der Schule in Ausbildung zu sichern. Das kann auch ein inklusiver Relaunch der bisherigen Berufseinstiegsbegleitung nach § 51, SGB III sein. Ziel eines Übergangscoachings muss sein, bereits in der Schule mit jungen Menschen eine tragfähige Beziehung zu knüpfen, um sie nach Schulende über den Übergang hinaus begleiten zu können.
Lebenssituation junger Menschen muss oberste Priorität haben
Mit dem Gesetz scheint die Perspektive der jungen Menschen mit Ausbildungswunsch, vor allem derjenigen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen, gegenüber den Belangen der Wirtschaft, Fachkräfte zu erhalten, ins Hintertreffen geraten. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass der harte Kern der Ausbildungsgarantie – die Schaffung zusätzlicher Ausbildungskapazitäten auch unter Rückgriff auf außerbetriebliche Ausbildung – an wesentlicher Stelle die Angebotssituation des Ausbildungsmarktes und nicht die Lebenssituation junger Menschen in den Mittelpunkt stellt.
Garantierte Ausbildung anstelle von BaE
Zusätzliche außerbetriebliche Ausbildungsplätze über eine Erweiterung des Angebotes der Berufsausbildung in außerbetrieblichen Einrichtungen, BaE, § 76 SGB III zu generieren, halten wir in der Katholischen Jugendsozialarbeit für wenig zielführend. Denn diese Förderung ist für eine andere Zielgruppe konzipiert und richtet sich nicht an sog. Marktbenachteiligte. Die zentrale Ergänzung von außerbetrieblichen Ausbildungsmöglichkeiten greifen zudem nur in bestimmten, als unterversorgt geltenden Regionen. Dabei sind die Indikatoren für ein zusätzliches Ausbildungsangebot in den einzelnen Arbeitsagenturbezirken wenig hilfreich. Ihnen liegen Zahlen von Bewerber*innen zu Grunde, die sich als ausbildungssuchend bei den Agenturen gemeldet haben. Eine inklusive Ausbildungsgarantie muss alle jungen Menschen einbeziehen, auch diejenigen, die den Weg zur Arbeitsagentur nicht finden. Aktuell bleiben diese auf der Strecke.
Der Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit, dem auch die BAG KJS angehört, hatte sich daher für die Einrichtung eines Bund-Länder-Programms Ausbildungsgarantie mit dem Konzept einer „Garantierten Ausbildung“ ausgesprochen. Die Schaffung eines neuen, inklusiven Ausbildungsangebotes einer „Garantierten Ausbildung“ hätte alle jungen Menschen eine Ausbildungschance offeriert, die auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz erfolglos geblieben sind. Der Kooperationsverbund hatte vorgeschlagen, die „Garantierte Ausbildung“ als Bund-Länder-Programm umzusetzen und mit einer Kofinanzierungsklausel auszustatten, um Ländern und Kommunen eine konzeptionelle und auch finanzielle Mitgestaltung zu ermöglichen. Unter diesen Rahmenbedingungen hätten sowohl regional als auch landesrechtlich geregelte, vollzeitschulische Ausbildungen einbezogen werden können. In der „garantierten Ausbildung“ war eine pädagogische Begleitung durch Träger der Jugendsozialarbeit vorgesehen, die eng mit Ausbildungsbetrieben kooperieren und eine sukzessive Überführung der jungen Menschen in reguläre Ausbildung managen. Eine Win-Win-Situation für junge Menschen und Ausbildungsbetriebe gleichermaßen, wie sie auch in der Publikation Blickpunkt 2024 von IN VIA Deutschland beschrieben wird: Die jungen Menschen gehen ohne Warteschleifen in die Ausbildung und die Betriebe können aus einem Pool von Auszubildenden schöpfen.
Quelle: Es kommentierte Susanne Nowak, Bundesreferentin IN VIA Deutschland. IN VIA ist Mitglied in der Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit (BAG KJS) e. V. und engagiert sich u. a. als eine von vier themenfeldverantwortlichen Organisationen im Bereich Jugendberufshilfe. Es handelt sich um eine persönliche Stellungnahme der Autor*in, die nicht die Meinung der Redaktion widerspiegeln muss.
[i] Ausbildungsgarantie – BMAS
[ii] Factsheet aus dem Projekt „Ausbildung garantiert?!“ Exklusionsrisiken junger Menschen am Übergang Schule – Beruf
[iii] Zwischenruf Ausbildungsgarantie (jugendsozialarbeit.de)