Junge Menschen gezielt unterstützen statt abstempeln: Kritik am Konzept der „Ausbildungsreife“

Im Kontext der politischen Debatte um die Ausbildungsgarantie stellte DIE LINKE im Juni schriftliche Fragen an die Bundesregierung zu Daten über sogenannte „nicht ausbildungsreife“ Jugendliche. Die knappe Antwort irritiert und schockiert gleichermaßen, finden Susanne Nowak und Mareike Krebs vom Projekt „Ausbildung garantiert?“ im Netzwerk der Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit (BAG KJS) e. V.. Denn laut Bundesregierung findet eine statistische Erfassung der Ausbildungsreife nicht statt.[1] Die beiden Projektreferentinnen ordnen die Antwort für die „Jugendsozialarbeit News“ ein und bewerten diese.

Wer entscheidet über die Ausbildungsreife?

Irritierend ist die Antwort deshalb, weil laut Kriterienkatalog zur Ausbildungsreife „in der beruflichen Beratung […] Eignungs- und Leistungsaspekte thematisiert und entsprechende Daten erhoben und in den Beratungsunterlagen dokumentiert“ werden.[2]

Die Ausbildungsreife ist die zentrale Voraussetzung dafür, dass junge Menschen von der Berufsberatung der Arbeitsagenturen in Ausbildung vermittelt werden. Diejenigen, die die Berufsberatung als „ausbildungsreif“ einstuft, sind in der Statistik als Bewerber*innen aufgeführt. Diejenigen, die als „nicht ausbildungsreif“ gelten, zählen für die Arbeitsagentur offenbar nicht.

Der Kriterienkatalog zur Ausbildungsreife beschreibt auf über 40 Seiten „die allgemeinen Merkmale der Bildungs- und Arbeitsfähigkeit (schulische Kenntnisse und Fertigkeiten; physische und psychische Belastbarkeit; Bewältigung eines 8-Stunden-Tages; lebenspraktische Kompetenzen, die Voraussetzung für die Teilnahme am Arbeitsleben sind)“.[3] An die Jugendlichen werden sehr hohe Erwartungen gestellt, z. B. sollen sie ohne weitere Unterstützung in der Lage sein „auch gegen innere und äußere Widerstände und bei Misserfolgen, ein Ziel oder eine Aufgabe in einem überschaubaren Zeitraum zu verfolgen.“[4] Die Beurteilung der Berater*innen erfolgt auf Grundlage eines oder mehrerer Beratungsgespräche und der Analyse von schriftlichen Unterlagen. Bei Unsicherheit können die Berater*innen die medizinischen und psychologischen Fachdienste der Arbeitsagentur einbeziehen. Unter Umständen hängt das Schicksal der jungen Menschen jedoch von der Beurteilung einer einzelnen Person ab.

Individuelle Unterstützung statt Kategorisierung in „ausbildungsreif“ erforderlich

Nicht nachvollziehbar ist, wie die jungen Menschen beraten werden: Werden alle Möglichkeiten ausgeschöpft, dass sie mit Unterstützung eine Ausbildung beginnen können? Hier gibt es Fördermöglichkeiten, die bisher zu wenig genutzt werden; zum Beispiel die Assistierte Ausbildung (nach § 74 ff SGB III), die Auszubildende und Betriebe im Ausbildungsprozess begleitet. Auch die Teilzeitausbildung ist als Option zu prüfen, wenn junge Menschen einen 8-Stunden-Tag nicht bewältigen können.

Das Konzept der Ausbildungsreife wurde 2005 von einer Expert*innenrunde unter Leitung der Bundesagentur für Arbeit (BA) erarbeitet[5] – in einer Zeit, in der es auf dem Ausbildungsmarkt ein deutliches Überangebot an ausbildungssuchenden jungen Menschen gab. In Zeiten des Fachkräftemangels ist das Konzept kontraproduktiv. Mit Blick auf die UN-Behindertenrechtskonvention sollte es dringend abgeschafft werden.

Denn mit Blick auf eine inklusive Ausgestaltung des Übergangs braucht es individuelle Unterstützung anstelle einer Kategorisierung in „ausbildungsreif“ und „nicht ausbildungsreif“. Kurzfristig ist die BA aufgefordert, die statistische Blackbox aufzulösen. Sie muss transparent machen, welche Konsequenzen auf die Einstufung durch die Berufsberater*innen folgen und welche Angebote den jungen Menschen unterbreitet werden. Zudem sollte das Bundesarbeitsministerium ein unabhängiges Forschungsinstitut beauftragen, um die Auswirkungen des Konzeptes der Ausbildungsreife zu evaluieren.

Quelle: Bundestagsfraktion Die Linke; Bundesregierung; IN VIA Deutschland im Netzwerk der BAG KJS

Es kommentierten Mareike Krebs und Suanne Nowak – Referentinnen im Projekt „Ausbildung garantiert?“ von IN VIA Deutschland im Netzwerk der BAG KJS. Ein Kommentar ist eine persönliche Meinungsäußerung und muss nicht die Meinung der Redaktion widerspiegeln.

[1] Deutscher Bundestag: Drucksache 20/7431. Online unter https://dserver.bundestag.de/btd/20/074/2007431.pdf

[2] Bundesagentur für Arbeit (2009): Kriterienkatalog zur Ausbildungsreife, S.61. Online unter: https://www.arbeitsagentur.de/datei/dok_ba029450.pdf

[3] Ebd., S.14.

[4] Ebd. S.42.

[5] Siehe https://www.bibb.de/de/1650.php

Ähnliche Artikel

Ablehungskultur für Menschen auf der Flucht

Das europäische Parlament hat zuletzt seinen Beitrag geleistet, die Außengrenzen der Europäischen Union noch stärker als bisher abzuriegeln. In allen europäischen Nationalstaaten sind Geflüchtete nicht

Skip to content