Ursachen und Auswirkungen von Sanktionen nach SGB II / III in NRW

Das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes NRW hat das ISG Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik GmbH, Köln, mit der Durchführung einer „Unabhängigen wissenschaftlichen Untersuchung zur Erforschung der Ursachen und Auswirkungen von Sanktionen nach § 31 SGB 11 und nach dem SGB 111 in NRW“ beauftragt. Das ISG legt den Forschungsbericht zu dieser Untersuchung vor, der zwar aus Juli 2013 stammt, aber erst im Januar 2014 veröffentlicht wurde.

Auszüge aus den zentralen Erkenntnissen der Erforschung der Ursachen und Auswirkungen von Sanktionen nach § 31 SGB II und nach dem SGB III:
“ … Die Befragungsergebnisse geben Grund zur Annahme, dass es nur selten aufgrund von Kommunikationsproblemen oder sonstigen Missverständnissen zu Sanktionierungen kommt. Den sanktionierten erwerbsfähigen Leistungsberechtigten ist nach eigenem Bekunden meist klar, warum ihnen Leistungen gemindert wurden. … Dieses im Wesentlichen zwischen den Sanktionierten und Sanktionierenden kongruente Bild über das Sanktionsgeschehen wird dadurch abgerundet, dass fast alle angaben, zuvor über die Rechtsfolgen belehrt worden zu sein. …

Von der für unter 25-Jährige vorgesehenen Möglichkeit zur nachträglichen Verkürzung der Minderungsdauer von drei Monaten auf sechs Wochen wird nach Auskunft der Befragten nur selten, in etwa einem von zehn Fällen, Gebrauch gemacht; und zwar unabhängig davon, ob es sich um die Sanktionierung eines Meldeversäumnisses oder einer Pflichtverletzung handelt. Bei einem guten Drittel der wegen einer Pflichtverletzung mit 100%-iger Minderung der Regelleistung sanktionierten unter 25-Jährigen wurden nach deren Auskunft auch die Kosten für Wohnung und Heizung einbehalten (erste Sanktion in 2012). Handelte es sich um eine im Jahr 2012 wiederholte Sanktion, wurden diese Kosten in jedem zweiten Sanktionsfall einbehalen. Inwieweit die Einbehaltung der Mietkosten zu Wohnungslosigkeit führt, konnte im Rahmen dieser Befragung nicht geklärt werden … Etwa die Hälfte der unter 25-Jährigen, die mit einer Totalminderung sanktioniert wurden, erhielten Lebensmittelgutscheine, bei den Sanktionierten ab 25 Jahren ist dieser Anteil wesentlich geringer, er steigt von 12% bei einer 30%-igen Leistungsminderung auf 35% bei einer 100%- Minderung. …

Subjektive Befindlichkeit
Etwa die Hälfte der Sanktionierten … haben nicht damit gerechnet, dass ihnen die Leistung gekürzt würde. Trat der Fall ein, trafen sie die Kürzungen nach eigenem Bekunden in der Regel empfindlich. Gut 60% der unter 25-jährigen Männer, die eine 10%-ige Leistungsminderung und fast 80% jener, die eine 100%-Kürzung erfahren haben, gaben an, dass sie sich seit der Leistungskürzung Sorgen um ihre Situation machten. Bei den jungen Frauen sind diese Anteile nochmals höher (76% und 85%). … Die Leistungskürzung bewirkte nach Auskunft der Befragten häufig einen Rückzug aus dem sozialen Umfeld. Auch bei einer „nur“ 10%-igen Leistungsminderung sagten ein Drittel der unter 25-jährigen Männer und gut 40% der unter 25-jährigen Frauen, dass der Aussage „Seit der Kürzung lebe ich zu rückgezogener, treffe mich nicht mehr so häufig mit Freunden“ auf sie „sehr“ oder „eher“ zutreffe. Im Falle einer Totalminderung erhöht sich dieser Anteil bei den jungen Männern auffast 50%, während er sich bei den Frauen etwas reduziert, auf rd. ein Drittel. …

Unter 25-Jährige mit erfahrener Totalminderung gaben signifikant häufiger als Nicht-Sanktionierte an …, dass ihnen in den letzten 4 Wochen seelische Probleme, wie Angst, Niedergeschlagenheit oder Reizbarkeit, ziemlich oder sehr zu schaffen gemacht hätten. Noch deutlicher wird der Unterschied bei der Selbsteinschätzung des Gesundheitszustands. Unter 25-Jährige berichten mit einer um 27% geringeren statistischen Wahrscheinlichkeit gegenüber den Nicht-Sanktionierten, dass ihr Gesundheitszustand in den letzten 4 Wochen sehr gut oder gut gewesen sei. …

Verschuldung
Erwerbsfähige Leistungsberechtigte mit berichteter Sanktionserfahrung in 2012 geben signifikant häufiger als Nicht-Sanktionierte an, Schulden zu haben. … Unter 25-Jährige geben generell seltener als die 25-Jährigen und Älteren an, Schulden zu haben. Unter den Nicht-Sanktionierten sind es bei den Jüngeren 43%, beiden Älteren 61%. Diese Anteile erhöhen sich bei den Jüngeren auf 63% und bei den Älteren auf 72%, sofern sie angaben, sanktioniert worden zu sein. Somit steigt die „Schuldenquote“ im Falle der Sanktionserfahrung bei den unter 25-Jährigen deutlich stärker als bei den 25-Jährigen und Älteren. Vergleicht man jeweils die Gruppe der am höchsten Sanktionierten mit den Nicht-Sanktionierten in den beiden Altersklassen (U 25: 100%, Ü 25 mind. 60%), steigt der Anteil der Personen mit Schulden bei den unter 25-Jährigen von 43% auf 67%, was eine Steigerung um 56% bedeutet …

Rückzug aus Leistungsbezug und Arbeitssuche
Dass das Vertrauen in das Jobcenter bzw. zum Berater … häufig leidet, wenn man eine Leistungsminderung erfährt, ist naheliegend. Gut die H älfte der unter 25-Jährigen, denen die Leistungen zu 100% gemindert wurden, sagten, sie hätten kein Vertrauen mehr zu ihrem Berater oder ihrer Beraterin. … Bei den unter 25-Jährigen wird ein positiver Zusammenhang zwischen berichteter Sanktionserfahrung und Arbeitssuche sichtbar; jedoch nur, sofern die letzte Sanktion in einer 100% Minderung der Regelleistungen bestand. Die quantitativen Ergebnisse sprechen dafür, dass die vermehrte Arbeitssuche der unter 25-Jährigen bei Totalminderung eher auf die durch sie verursachte finanzielle Notlage zurückzuführen ist als auf eine durch sie generierte Einsicht in die Angemessenheit und/oder Erfordernis des eigenen Bemühens um Arbeit. Denn ein zur approximativen Abbildung von Akzeptanz und Einsicht in den Sanktionstatbestand erstellter Indikator steht – übrigens in beiden Altersgruppen – in keinem signifikanten Zusammenhang mit der Intensität der Arbeitssuche.“

Die Untersuchung wurde vom ISG – Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik GmbH im Auftrag des MAIS im Zeitraum der Jahre 2012 bis 20 13 durchgeführt. Die wesentliche empirische Basis bildet eine in NRW durchgeführte Repräsentativbefragung. Mit der Untersuchung wird ein Beitrag zur sozialpolitischen und rechtlichen Einordnung der Sanktionen, insbesondere im SGB 11, geleistet. Im Bereich des Rechtskreises SGB 11 wurden 1.825 Leistungsbezieher, darunter 1.240 „Sanktionierte“, telefonisch befragt. Ergänzend wurden persönliche Gespräche auf Leitungs- und operativer Ebene in 5 Jobcentern geführt.

Der Endbericht der Untersuchung liegt den „Jugendsozialarbeit News“ in vollem Umfang vor und kann bei Bedarf in der Redaktion erfragt werden.

Quelle: Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales NRW

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