Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) analysiert in der aktuellen Ausgabe von „arbeitsmarktaktuell“ die arbeitsmarktpolitische Situation Geringqualifizierter und zeigt auf, wie ihre Chancen auf eine Integration in den ersten Arbeitsmarkt steigen können. Das ist nötig, denn die Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt hat sich sichtbar erhöht. So erzielt ein Teil der Beschäftigten relativ gute Einkommen und profitiert von der insgesamt positiven wirtschaftlichen Entwicklung der letzten Jahre, während andere von Arbeitslosigkeit und Armut bedroht sind oder nur prekäre Beschäftigung finden. Einen großen Einfluss auf die Arbeitsmarktchancen hat die berufliche Qualifikation. Besonders schwer haben es Un- und Angelernte auf dem Arbeitsmarkt. Aus- und Weiterbildung kann die Arbeitsmarktchancen verbessern und auch zur Eindämmung sozialer Ungleichheit beitragen.
19,6 Prozent der Menschen ohne Berufsabschluss sind arbeitslos – aber nur 5,1 Prozent derjenigen mit abgeschlossener Ausbildung
Auszüge aus der DGB Publikation „Aussichtslos?!? – Zur Situation Geringqualifizierter auf dem Arbeitsmarkt„:
„(…) Gut ausgebildete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben weit bessere Beschäftigungschancen und sind deutlich seltener von Arbeitslosigkeit betroffen als Personen ohne Berufsabschluss. (…) So kommt es zu der bemerkenswerten Situation, dass viele Arbeitgeber über die Schwierigkeiten bei der Personalgewinnung klagen während geringqualifizierte Arbeitslose wenige Chancen haben sich aus der Arbeitslosigkeit zu befreien. Bis zu 45 Prozent der Arbeitslosigkeit in Deutschland lassen sich nach Einschätzung des IAB durch ein auseinanderdriften von Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage erklären.
Zuletzt lag die Arbeitslosenquote von Menschen ohne Berufsabschluss in Deutschland bei 19,6 Prozent. Zum Vergleich: Die der Akademiker lag bei 2,4 Prozent, die derjenigen Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung bei 5,1 Prozent. Jene ohne Berufsabschluss sind rund viermal häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen als jene mit abgeschlossener (betrieblicher) Ausbildung. Im Trend vergrößerte sich der Abstand in den letzten Jahrzehnten stark zum Nachteil der Ungelernten. Die bildungspolitischen Anstrengungen sowohl im schulischen wie berufsbildenden System bleiben deutlich hinter den Herausforderungen zurück.
Schaut man sich die Zahlen differenziert für West- und Ostdeutschland an, fällt auf, dass die Arbeitslosenquote von Menschen ohne Ausbildung im Westen mit 17,8 Prozent auf hohem Niveau deutlich geringer ausfällt als im Osten mit 31,8 Prozent, wobei im Osten die Arbeitslosenquote auch insgesamt noch immer deutlich über der im Westen liegt. Im Osten wie im Westen ist die Arbeitslosenquote der Ungelernten etwa dreimal höher als die Arbeitslosenquote der jeweiligen Region insgesamt. Auffällig ist, dass im Westen der Abstand der ungelernten Arbeitslosen zu denjenigen mit Berufsabschluss mit einer mehr als viermal so hohen Arbeitslosenquote noch größer ist als im Osten; in den neuen Ländern fällt die Arbeitslosenquote der Ungelernten gut dreimal höher aus, als die derjenigen mit einer abgeschlossenen Lehre. Fehlende Qualifikation und Selektionsprozesse auf dem Arbeitsmarkt sind also in Westdeutschland in noch stärkerem Maß als im Osten ein wesentliches Risiko für Arbeitslosigkeit. (…)
Arbeitslosigkeit ohne Berufsabschluss
(…) Die Chancen für geringqualifizierte Arbeitslose, ihre Arbeitslosigkeit durch eine Beschäftigung auf dem 1. Arbeitsmarkt zu beenden, fallen zudem deutlich kleiner aus als bei Arbeitslosen mit Berufsabschluss oder abgeschlossenem Studium. Hartz IV konnte hier nicht erkennbar dazu beitragen, dass geringqualifizierte Arbeitslose aus dem Jobcenter ihre Chancen auf eine Erwerbsarbeit steigern. (…) Geringqualifizierter Arbeitsloser in einem Jobcentern zu sein heißt, dass Chancen, die Arbeitslosigkeit durch eine Beschäftigung am ersten Arbeitsmarkt zu beenden, deutschland-weit mehr als fünf Mal geringer ausfallen als bei einer oder einem Arbeitslosen mit Berufsabschluss in der Versicherung. (…)
Berücksichtigt man, dass der große Teil der Arbeitslosen in den Jobcentern betreut wird, wird klar, wie viele Menschen derzeit durch fehlende Qualifikationen von echten Chancen einer Beschäftigung auf dem 1. Arbeitsmarkt weit abgehängt sind. Eine Investition in die Weiterbildung eines jeden Einzelnen kann im Umkehrschluss die Teilhabeaussichten für Arbeitslose deutlich erhöhen, da sie für die Anforderungen des Arbeitsmarktes so auch das nötige Rüstzeug erhalten. (…)
Gewerkschaftliche Anforderungen
Geringqualifizierte sind – als die Gruppe, die das höchste Arbeitsmarktrisiko trägt – eine wichtige Zielgruppe, die es zu qualifizieren gilt. Erfolgreich ist Weiterbildung auch schon da, wo durch entsprechende Qualifizierung Arbeitslosigkeit vermieden werden kann. Daher sollte das Sonderprogramm WeGebAU der Bundesagentur für Arbeit dauerhaft fortgesetzt und noch weiteren Unternehmen und Beschäftigten bekannt gemacht werden. (…)
Insgesamt ist es wichtig, dass dem Erwerb von Berufsabschlüssen mit guten Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt im Rahmen der Qualifizierungsförderung der Arbeitsagenturen und Jobcenter wieder ein höherer Stellenwert zugemessen wird. Hierzu ist es erforderlich, dass der gesetzlich normierte Vorrang der Vermittlung in ein angemessenes Gleichgewicht zu den sich längerfristig eröffnenden Perspektiven einer höherqualifizierenden beruflichen Weiterbildung gebracht wird. Längst nicht jeder Job ist sinnvoller als eine bedarfsgerechte Qualifizierung.
Weiterbildung soll sich auch unmittelbar finanziell für Arbeitslose lohnen. Eine pauschale Aufwandsentschädigung sowie eine Abschlussprämie nach dem Erwerb des Berufsabschlusses könnten gerade für eine oftmals auch bildungsferne Gruppe wie Teile der geringqualifizierten Arbeitslosen sowohl das Interesse als auch die Motivation an beruflicher Weiterbildung deutlich steigern. (…)
Insbesondere die Bildungsgutscheine (§81 SGB III) sind nur dann sinnvoll, wenn sie einer Selektion zu Lasten Bildungs-benachteiligter entgegenwirken. Geringqualifizierte Arbeitslose sollten hier also eine umfassende Beratung und Unterstützung erhalten, damit eine individuell passgenaue Qualifizierung durch sie gefunden werden kann und eine effektive Nutzung des Bildungsgutscheins möglich wird. Andernfalls werden anfängliche Nachteile in der Bildung auch weitere Nachteile in der Bildung mit sich bringen und die Situation von Geringqualifizierten nicht verbessern können. (…)
Aus Sicht des DGB erscheint es zudem notwendig, dass der Bund das Eingliederungsbudget der Jobcenter gezielt für abschlussorientierte Qualifizierung verstärkt. So kann gezielt dem zuvor geschilderten Problem begegnet werden, dass mehr als die Hälfte der Arbeitslosen im System Hartz IV ohne Berufsabschluss sind. (…)
Um bereits präventiv wirken zu können und möglichst vielen Jugendlichen einen erfolgrei-chen Start ins Berufsleben mit einer Ausbildung zu sichern, ist es wichtig, dass die verschiedensten Akteure, die derzeit Angebote für den Übergang von der Schule in den Beruf bereithalten, diese Maßnahmen bündeln und für die Jugendlichen transparenter und damit erreichbarer machen. Derzeit gehen zu viele in einem Hin und Her zwischen drei zuständigen Trägern – Agenturen für Arbeit, Jobcenter und Jugendhilfe – verloren. Hier sollten verstärkt auf eine Einrichtung von Jugendberufsagenturen hingewirkt und auch deren zeitnaher Start realisiert werden. Ziel dieser Jugendberufsagenturen soll es sein alle schulpflichtigen Jugendlichen zu erreichen, einschließlich derer in Berufsschulen, und diese bis zum Abschluss einer Ausbildung zu begleiten. Zum Personenkreis zählen auch Altbewerberinnen und Altbewerber. (…)
Nicht zuletzt ist es auch sinnvoll, dass eine nachgehende Betreuung zur Stabilisierung von Beschäftigung gesetzlich geregelt und ermöglicht wird. So können sowohl die zuvor Arbeitslosen als auch die Arbeitgeber nach dem Beginn einer neuen Beschäftigung, die für vormals Geringqualifizierte oft auch die erstmalige Übernahme eines eigenverantwortli-chen Aufgabenfeldes außerhalb des Helferspektrums bedeutet, fundiert einen Einstieg im Betrieb sicherstellen ohne sich von gegebenenfalls auftauchenden ersten Problemen verunsichern zu lassen. (…)“
Quelle: DGB arbeitsmarktaktuell