Die AWO-ISS Langzeitstudie zu Kinderarmut untersucht seit 1997 die Lebensverläufe von armutsbetroffenen Kindern in Deutschland. Im Jahr 2019 wurde die fünfte Phase der Studie abgeschlossen, in der die Lebenslagen und Armutserfahrungen von den damals Sechsjährigen nun im Alter von 25 Jahren analysiert wurden. Mit ‚(Über-)Leben mit 28‘ wurden nun die Ergebnisse der fünften Studienphase mit Blick auf den Übergang ins junge Erwachsenenalter vertieft und um einen neuen Forschungsaspekt erweitert: Wie wirken sich die Armutserfahrungen im Kindes- und Jugendalter auf die Bewältigung der Corona-Krise im jungen Erwachsenenalter aus? Um diese Frage zu beantworten, wurden acht Studienteilnehmenden sechs Monate lang qualitativ begleitet.
Kinder- und Jugendarmut überwinden? Das gelingt nur mit ganzheitlicher Unterstützung
Die Lebensrealitäten mit 28 Jahren unterscheiden sich dabei stark: Da gibt es Marie, die infolge vielfacher chronischer Erkrankungen bereits arbeitsunfähig ist und weiterhin in Armut lebt. Oder aber Ali, der zwar in Armut und multipler Deprivation aufgewachsen ist, aber mittlerweile durch einen guten Job finanziell abgesichert ist und ein selbstbestimmtes Leben führt. Für all die jungen Menschen zeigten sich dennoch die Auswirkungen der (Kinder-) Armut bis ins Erwachsenenalter hinein.
Dabei haben sich die Übergangstypen ins junge Erwachsenenalter als relevant erwiesen: Verselbstständigte konnten die Krise bei finanzieller Sicherheit für das Verfolgen persönlicher Ziele nutzen. Für Spätzünder stellte die Krise dagegen eine weitere Hürde bei der Verselbstständigung und dem Verlassen der Armut dar. Junge Eltern testeten ihre Belastungsgrenzen bei der Kinderbetreuung und nutzten die Zeit, um als Familie zusammenzuwachsen. Auch bei der Corona-Krise verließen sie sich eher auf eigene meist kleine soziale Netzwerke als auf das soziale Hilfesystem. Gleichzeitig fiel es ihnen aber auch im sozialen Netzwerk schwer, sich zu öffnen, ihre Hilfebedarfe offen zu kommunizieren und Hilfe einzufordern.
Dieser Befund unterstreicht abermals die Notwendigkeit einer ganzheitlichen Unterstützung sowie einer kontinuierlichen Begleitung armutserfahrener junger Menschen auf dem Weg zu einem selbstbestimmten und erfüllten Leben ohne Armut. Was wir von diesem Wissen für die Praxis der Sozialen Arbeit lernen können, formulieren die Autorinnen Lea Heinrich und Dr. Irina Volf in Handlungsempfehlungen aus.
Die Ergebnisse der Studie und die Lebensgeschichten der jungen Menschen stellt das ISS zum kostenfreien Download zur Verfügung. Die Studie kann auch als Druckversion gegen eine Postgebühr beim ISS über info@iss-ffm.de bestellt werden.
Zur Situation armer junger Menschen legt die Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit (BAG KJS) e. V. seit 2010 regelmäßig Zahlen, Daten und Fakten vor. Mit dem Monitor „Jugendarmut in Deutschland“ belegt die BAG KJS so die dramatische Situation, in der in Deutschland jeder fünfte junge Mensch aufwächst. Die AWO-ISS-Studien zeigen, unter welche zum Teil sehr schwierigen Bedingungen es Jugendlichen gelingt, ihre Armutssituation zu überwinden. Die Ampel- Regierungskoalition will Kinder- und Jugendarmut mit einer Grundsicherung für junge Menschen bekämpfen. Bis diese in Kraft tritt, sollen in Armut lebende junge Menschen ab Juli pro Monat mit zusätzlichen 20 Euro unterstützt werden. Neben der BAG KJS kritisieren viele andere soziale Organisationen und Verbände die Höhe des sogenannten Sofortzuschlags als unzureichend. Die Diakonie fordert 78 Euro monatlich.
Quelle: Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e. V – Dr. Irina Volf; BAG KJS