Mit dem 17. Kinder- und Jugendbericht legt die Berichtskommission im Auftrag der Bundesregierung eine Analyse vor, die Wirkung entfalten wird. Die Erkenntnisse des umfassenden Berichts zur Lebenslage junger Menschen und seine Handlungsempfehlungen prägen das Feld der Kinder- und Jugendhilfe und die Jugendpolitik. Eine der vielen zentralen Aussagen: Junge Menschen brauchen verlässliche Strukturen für ihr Engagement, ihre Unterstützung und für die Bewältigung aktueller Krisen und kommender Herausforderungen. Umso irritierender, dass die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zum Bericht deutlich erklärt, dass der Bericht keine Auswirkungen auf laufende oder künftige Haushaltsverhandlungen haben werde.
Bundesregierung distanziert sich von Handlungsempfehlungen unter Verweis auf den Haushalt
Noch vor einer Auseinandersetzung mit den Inhalten und Erkenntnissen schreibt die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme: „Zu Aussagen und Schlussfolgerungen, zu denen sich die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme nicht äußert, kann weder von ihrer Zustimmung noch von ihrer Ablehnung ausgegangen werden. Alle seitens der Bundesregierung befürworteten Maßnahmen oder Prozesse zum 17. Kinder- und Jugendbericht stehen unter einem Kompetenzvorbehalt und für den Bundeshaushalt unter dem Vorbehalt der Finanzierung und sind daher nur umsetzbar, soweit für sie eine Finanzierungszuständigkeit des Bundes besteht und sie im jeweiligen Einzelplan beziehungsweise Politikbereich gegenfinanziert werden. Es werden durch den Inhalt des 17. Kinder- und Jugendberichts und der Stellungnahme der Bundesregierung weder die laufenden noch künftigen Haushaltsverhandlungen präjudiziert.“
Deutlicher kann sich eine Regierung nicht von ihrer Verantwortung für die Handlungsempfehlungen distanzieren, die sie selbst in Auftrag gegeben hat. Der wortgleiche Absatz war im vorangegangenen 16. Kinder- und Jugendbericht der CDU/CSU-SPD-Regierung zur politischen Bildung ebenfalls in der Stellungnahme der Ministerien zum ersten Mal enthalten. Vielleicht ist das eine Erklärung für den aktuellen Zustand der Demokratie und das Verhältnis junger Menschen zu ihr.
Vor dem Hintergrund der zurückhaltenden Aussagen über finanzielle Rahmenbedingungen ist zu bewerten, was die Regierung für sich als Handlungsauftrag ableitet. Zentrale Aussagen sind etwa:
- Im Fokus steht die Gewährleistung von individuellen Rechten, Schutz und Prävention und die Stärkung einer qualitativ hochwertigen, bedarfsgerechten Bildung und Betreuung. Außerdem soll der Kinder- und Jugendplan des Bundes als Förderinstrument für gutes Aufwachsen und außerschulische Bildung, Begegnung und Teilhabe, Mitbestimmung und politische Bildung gestärkt werden.
- Es ist ein zentrales Anliegen, die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen zu stärken und junge Menschen in Entscheidungen einzubeziehen, die ihre Lebensbereiche unmittelbar betreffen. Wirksame Kinder- und Jugendbeteiligung bei der Gestaltung gesellschaftlicher Gegenwart und Zukunft leistet einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung unserer Demokratie.
Jugendsozialarbeit – ein Handlungsfeld mit hoher Komplexität
Mit Blick auf die Jugendsozialarbeit stellt die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme eine hohe Komplexität des Arbeitsfeldes fest und pflichtet damit der Kinder- und Jugendberichtskommission bei – insbesondere mit Blick auf die Schnittstellen zu anderen Rechtskreisen und der Heterogenität der Zielgruppe. Zitat: „Die Empfehlung von flexiblen, an individuellen Bedarfen orientierten Unterstützungsleistungen für alle junge Menschen in Ausbildung stößt seitens der Bundesregierung grundsätzlich auf Interesse. Um nachhaltig wirkende Unterstützungsleistungen anzubieten ist es wichtig, im Sinne eines ganzheitlichen und anwaltschaftlichen Ansatzes, durch welchen sich die Jugendsozialarbeit auch gegenüber anderen Unterstützungssystemen auszeichnet, sämtliche Lebensbereiche der jungen Menschen in den Blick zu nehmen.“
In der Einwanderungsgesellschaft ankommen
Klare Aussagen gibt es zur Diversität der Jugend, die aus Perspektive der Jugendmigrationsdienste relevant sind. „In Deutschland leben 22 Millionen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit unterschiedlichen Nationalitäten, ethnischen Identifikationen und kulturellen Zugehörigkeiten – in verschiedenen Kombinationen und mit einem individuellen Maß der persönlichen Identifizierung. Mit den unterschiedlichen Zugehörigkeiten gehen unterschiedlich starke Privilegien und Benachteiligungen einher, bis hin zu expliziter Geringschätzung und rassistischen Anfeindungen“, heißt es in der Stellungnahme. Und weiter: „Das hat Auswirkungen auf das Zusammenleben aller jungen Menschen in Deutschland, unabhängig von einer Einwanderungsgeschichte. Die Bundesregierung teilt die Einschätzung, dass es Aufgabe aller ist, in dieser Einwanderungsgesellschaft „anzukommen“.“
Quelle: 17. Kinder- und Jugendbericht, hier Stellungnahme der Bundesregierung