Kaum ein Thema bewegt Eltern und Kinder mehr als die Bewertung der Leistung der Schülerinnen und Schüler durch die Lehrkräfte. Es gibt eine Fülle von anekdotischen Belegen dafür, dass die Leistungsbewertung oftmals ungerecht ist, und die erlebte Ungerechtigkeit wirkt oft noch lange nach. Besonders relevant sind Leistungsbewertungen, wenn sie unmittelbare Konsequenzen für die weitere Schullaufbahn der Schülerinnen und Schüler haben. In einer Expertise der Vodafone-Stiftung steht die Frage im Mittelpunkt, inwieweit bei der Leistungsdiagnostik auch Effekte des sozialen Hintergrunds der Schülerinnen und Schüler eine Rolle spielen. Wie stark hängt die Bewertung der Leistung einer Schülerin/eines Schülers – auch – davon ab, welchen familiären Hintergrund sie/er besitzt? Werden Schülerinnen und Schüler mit eher ungünstigem sozialen Hintergrund bei vergleichbaren Leistungen ungünstiger bewertet als ihre Mitschülerinnen und Mitschüler mit günstigerem sozialen Hintergrund?
Daten belegen: Bei gleicher Leistung werden unterschiedliche Schulnoten vergeben
Bei gleicher Leistung in einem standardisierten Test erhalten Kinder aus sozial benachteiligten Familien in der Schule schlechtere Noten als Kinder aus sozial begünstigten Elternhäusern. Im Durchschnitt erhalten Mädchen bessere Noten als Jungen. So das Ergebnis einer aktuellen Studie im Auftrag der Vodafone Stiftung Deutschland mit dem Titel „Herkunft zensiert? Leistungsdiagnostik und soziale Ungleichheiten in der Schule„.
Durchgeführt wurde die Studie von den Bildungsforschern Prof. Dr. Kai Maaz (Universität Potsdam), Prof. Dr. Ulrich Trautwein (Universität Tübingen) und Prof. Dr. Franz Baeriswyl (Universität Freiburg/Schweiz). Auf Grundlage vorliegender Daten haben die Wissenschaftler in einer umfassenden Analyse den Zusammenhang zwischen Schulnoten und den Effekten der sozialen Herkunft ermittelt. Die Befunde basieren auf Daten der TIMSS-Übergangsstudie (Trends in International Mathematics and Science Study), der Berliner ELEMENT-Studie (Erhebung zum Lese- und Mathematikverständnis) sowie der TOSCA-Studie (Transformation des Sekundarschulsystems und akademische Karrieren) sowie aus einer aktuellen Übergangsstudie aus der Schweiz.
Korrelationen auch mit sozialem Status und elterlichem Bücherbesitz
Um den Effekt der unterschiedlichen Faktoren wie Familienhintergrund und Geschlecht zu messen, verglichen die Wissenschaftler die Schulnoten mit den Ergebnissen eines standardisierten, schriftlichen Leistungstests, der sowohl mathematisch-naturwissenschaftliche als auch sprachliche Kompetenzen misst. Hier zeigte sich bei gleichem Testergebnis ein deutlicher Effekt des sozioökonomischen Hintergrunds auf die vergebenen Zensuren. Die Notenvergabe lässt sich zu 49,4 Prozent mit der Leistung der Schülerinnen und Schüler erklären, aber die Noten korrelieren auch mit dem sozialen Status der Eltern und dem elterlichen Bücherbesitz als Anzeichen für die Bildungsnähe.
Für die manchmal geäußerte Vermutung, dass die Schüler aus sozial schwachen Familien die schlechteren Noten bekommen, weil sie weniger Anstrengungsbereitschaft zeigen, konnten die Forscher keine Belege finden. Sie betonten aber die Notwendigkeit, dieser Frage genauer nachzugehen.
Herkunftseffekte gibt es schon zu Beginn der Schullaufbahn
Beim tatsächlichen Übergang auf die weiterführende Schulform basiert der soziale Herkunftseffekt zu 29,9 Prozent auf sozialschichtabhängiger unterschiedlicher Benotung und Schulempfehlung bei gleicher Leistung. Auch das elterliche Entscheidungsverhalten (28,6 Prozent des Herkunftseffektes) spielt eine wesentliche Rolle. Schichtabhängige Leistungsunterschiede machen 41,6 Prozent des Herkunftseffektes aus. Diese Analyse zeigt insgesamt, dass soziale Ungleichheit auch, aber nur zu einem gewissen Teil an der Übergangssituation zur weiterführenden Schule entsteht. Der Anteil des sozialen Herkunftseffektes, der unmittelbar am Übergang zum Tragen kommt, macht etwas mehr als ein Viertel (28,6 Prozent) des gesamten Herkunftseffektes aus. Leistungsunterschiede und ungleiche Benotung während der Grundschulzeit sorgen schon sehr viel früher für soziale Disparitäten.
Die Befunde konnten zeigen, dass Interventionen oder bildungspolitische Maßnahmen, die ausschließlich die Übergangssituation in den Blick nehmen, zu kurz greifen, da ein Großteil des Herkunftseffektes viel früher angelegt ist. Selbst wenn alle sekundären Herkunftseffekte vermieden werden könnten, würde Ungleichheit weiterbestehen, da Leistungsunterschiede, die zum Beispiel schon zum Beginn der Schullaufbahn bestehen und im Bildungssystem nicht abgebaut werden könnten, immer zu primären Herkunftseffekten führen werden.
Quelle: Vodafone-Stiftung; bildungsklick.de