Schulabsentismus als vernachlässigtes Phänomen – warum wir belastbare Daten brauchen

Schulsozialarbeiter*innen und Fachkräfte der schulbezogenen Jugendsozialarbeit haben – auch in Corona-Zeiten – sowohl digitale als auch analoge Wege gefunden, Kontakte zu Schüler*innen aufrecht zu erhalten. Sie stärken, beraten und fördern sie. Trotzdem sind einige Schüler*innen momentan nicht (mehr) erreichbar – sowohl für Lehrer*innen als auch für Schulsozialarbeiter*innen. Es ist zu befürchten, dass die Schuldistanz noch weiter zunimmt – nicht nur bei schon länger schulabsenten jungen Menschen.

Wir haben es hier mit einem grundsätzlichen Problem im Bildungssystem zu tun, dass bildungspolitisch nicht ernst genug genommen wird. Am 11.05.2020 hat die FDP-Bundestagsfraktion die Anregung aus Verbänden der Jugendsozialarbeit aufgegriffen und den Antrag „Evidenzbasis zum Schulabsentismus schaffen – Forschungsvorhaben verwirklichen“ eingereicht. BAG KJS und BAG EJSA begrüßen diesen Schritt sehr. Für den im Antrag geforderten strukturierten Abstimmungsprozess mit Fachverbänden zu diesen Anliegen steht die Jugendsozialarbeit gerne zur Verfügung!

Ein grundsätzliches Problem im Bildungssystem

Eine konstant hohe Zahl von jungen Menschen nimmt aus verschiedenen Gründen nicht regelmäßig am Unterricht teil. Das kann an Schwierigkeiten beim Lernen, mit Mitschüler*innen oder Lehrkräften aber auch familieninternen Konflikten liegen. Die Folgen für die jungen Menschen sind hochproblematisch. Nicht selten erwerben sie keinen Schulabschluss. Eine erfolgreiche berufliche Integration und die Chancen auf ein erfülltes Leben sind bedroht. Der Anteil der Jugendlichen, die die Schule ohne Abschluss verlassen, liegt seit vielen Jahren bei ca. sechs Prozent der gleichaltrigen Bevölkerung (www.bildungsbericht.de).

Fakt ist, dass das Phänomen „Schulabsentismus“ bildungspolitisch bisher nicht ernst genug genommen wird. Das tatsächliche Ausmaß ist statistisch weder flächendeckend noch systematisch erfasst. Von Schule zu Schule und von Bundesland zu Bundesland werden Fehlzeiten unterschiedlich dokumentiert und, wenn überhaupt, kaum ausgewertet. Eine flächendeckende verlässliche und repräsentative Datenlage zum Phänomen Schulabsentismus gibt es bisher nicht. Es gibt punktuelle Erhebungen in einzelnen Schulen oder Städten. Dabei wird tendenziell deutlich, dass in städtischen Ballungsgebieten, in Schulen, die zum Hauptschulabschluss führen sowie mit höherem Alter der Absentismus verstärkt auftritt.

FDP fordert eine Evidenzbasis zum Schulabsentismus zu schaffen

Mit den vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) zu ermöglichenden Vorhaben könnte erstmals in Deutschland eine verlässliche Datenlage zum Phänomen erstellt werden – ein erster Schritt, um die Problematik systematisch aufzugreifen und einen vertieften, aktuellen Einblick in Ursachen, Formen und Folgen von Schulabsentismus zu erhalten.

Ergänzendes Bundesmodellprogramm notwendig

Aus Sicht der Jugendsozialarbeit ist ergänzend ein begleitendes Bundesmodellprogramm notwendig, das die vielfältigen und innovativen Arbeitsansätze der Jugendhilfe zur Geltung bringt. Angebote der Jugendsozialarbeit zur Prävention von und (insbesondere frühen) Intervention bei Schulabsentismus können so weiterentwickelt, in die Breite getragen und nachhaltig gestärkt werden.

Eine Vielfalt erfolgreicher Ansätze in der Kinder- und Jugendhilfe, von Schulsozialarbeit über Werkstattangebote bis hin Angeboten an alternativen Lernorten freier Träger, ist unabdingbar, um schulabsente junge Menschen in ihrer gesamten Lebenssituation in den Blick zu nehmen. Ziele dabei sind die Entwicklung der Persönlichkeit und nachhaltiger Lebenschancen.

Quelle: Julia Schad-Heim (BAG KJS), Claudia Seibold (BAG EJS)

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