Wie lässt sich eine Ausbildungsgarantie in deutsches Recht umsetzen?

Der Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit hat die rechtlichen Möglichkeiten und Grenzen einer Ausbildungsgarantie bewerten lassen. Die vom Internationalen Bund (IB) beauftragte Expertise stützt die Forderung des Verbunds nach einer rechtlich verbindlichen Garantie. Diese ermöglicht es allen Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen, eine anerkannte Berufsausbildung nach BBiG/HwO und Landesrecht (Schulberufe) abzuschließen. Sie soll für alle Jugendlichen und jungen Erwachsenen bis 27 Jahre gelten. Ihre Grundlage bilden die verfassungsrechtlichen Rahmenvorgaben wie die freie Wahl der Ausbildungsstätte und die freie Berufswahl. Ebenfalls gelten die Grundrechte der Unternehmer und Unternehmen, denen die Entscheidung zur Ausbildung ebenso wie die freie Wahl des Vertragspartners zugesichert bleiben. Um den Garantieanspruch umzusetzen, sind betriebliche Ausbildungsplätze durch ein bedarfsgerechtes Angebot an außerbetrieblichen Ausbildungsplätzen zu ergänzen.

Auszüge aus der Expertise von Anna Rosendahl und Christina Düsseldorff von der Universität Duisburg-Essen:

„(…) Zum inhaltlichen Verständnis der Ausbildungsgarantie, der Versuch einer Definition

Die Begriffe Ausbildungsgarantie oder Ausbildungsplatzgarantie erfahren zurzeit unter dem Druck des drohenden bzw. bereits eingesetzten Facharbeitermangels und des demografischen Wandels bei gleichzeitigem Rückzug der Wirtschaft aus der dualen Ausbildung und dem damit verbundenen Ausbildungsplatzmangel eine politische Renaissance. So haben alle im Bundestag vertretenen Parteien dieses Thema auf ihrer jeweiligen politischen Agenda ebenso wie auch die Gewerkschaften, Sozialverbände, Kirchen und freien Träger. Vergleicht man jedoch die jeweiligen Konzeptvorstellungen für eine Ausbildungsgarantie bzw. Ausbildungsplatzgarantie, so wird deutlich, dass diese je nach Nutzer bzw. Zugehörigkeit zu einem politischen Lager inhaltlich weit auseinanderliegen. Insbesondere der Grad der Verbindlichkeit eines Anspruchs auf einen Ausbildungsplatz, die Zielgruppen und die Definition, was unter dem Begriff der Ausbildung in diesem Zusammenhang verstanden wird, verweisen auf eine große Spannweite definitorischer Ansätze und Konzepte. Von einem einheitlichen Begriffsverständnis oder gar von einem gemeinsamen Modell kann deshalb also keinesfalls die Rede sein. (…)

  • Ziel der Ausbildungsgarantie:
    Ziel der Ausbildungsgarantie ist es, allen Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen rechtlich verbindlich den Zugang zu einer beruflichen Mindestausbildung auf dem Niveau einer vollwertigen Facharbeiterausbildung zu ermöglichen. Die bereitzustellende Berufsausbildung soll einen Start in ein qualifiziertes Berufsleben und damit eine Chance zum Eintritt in den Arbeitsmarkt mit einer möglichst stabilen Erwerbsbiographie eröffnen. Auf diese Weise sollen die Voraussetzungen für eine gesellschaftliche Teilhabe und einen uneingeschränkten Zugang zu den Sozialversicherungssystemen gelegt werden. (…)
  • Zielgruppe:
    Zielgruppe der Ausbildungsgarantie sind alle Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen nach Verlassen der allgemeinbildenden Schule. Dabei ist es unerheblich, ob zuvor ein und – falls ja – welcher allgemein bildende Schulabschluss erworben wurde. Die Ausbildungsgarantie gilt insoweit auch für Jugendliche und junge Erwachsene mit einer Hochschulzugangsberechtigung ebenso wie für Studienabbrecher ohne vollqualifizierenden ersten Berufsausbildungs-/Studienabschluss.
  • Art der garantierten Ausbildung:
    Mit der Ausbildungsgarantie sollen Jugendliche Zugang zu einer vollqualifizierenden Berufsausbildung und zu einem Berufsausbildungsabschluss erhalten. Unter Beruf in diesem Sinne werden alle bundesweit nach Berufsbildungsgesetz (BBiG) und Handwerksordnung (HWO) anerkannten Berufsausbildungen im Rahmen des Dualen Systems verstanden ebenso wie alle Schulberufe nach Landesrecht, die im Rahmen einer vollzeitschulischen Ausbildung ausgebildet werden. (…)
  • Lernorte der garantierten Ausbildung und die Rollenverteilung der Akteure:
    Übergeordnete Prämisse des favorisierten Konzepts der Ausbildungsgarantie besteht darin, Jugendliche, wann immer möglich, in eine anerkannte vollqualifizierende Berufsausbildung einmünden zu lassen, die an den dafür regulär vorgesehenen Lernorten durchgeführt wird. (…) Gelingt dies bspw. aufgrund unzureichender betrieblicher Ausbildungsplatzangebote nicht, sollen überbetriebliche Ausbildungsstätten bzw. außerbetriebliche Träger die Rolle des Ausbildungsbetriebes übernehmen. Im Falle einer überbetrieblichen Ausbildung soll diese durch ausreichend Praxisphasen bzw. Betriebspraktika ergänzt werden, die unmittelbar in Betrieben oder in überbetrieblichen Ausbildungsstätten absolviert werden können. Eine vollzeitschulische Ausbildung soll nur in denjenigen Fällen erfolgen, in denen die Berufsausbildung in der Regel vollzeitschulisch vorgesehen ist. (…)
  • Ausbildungsplatzgarantie und Wahlmöglichkeiten der Jugendlichen:
    Zur Umsetzung einer Ausbildungsplatzgarantie gehören zwei zentrale Elemente. Zum einen muss die Zahl der Ausbildungsplatzangebote die Zahl der Ausbildungsplatzbewerber um 12,5 % überschreiten, um eine ausreichende Wahlmöglichkeit für die Jugendlichen in Bezug auf den Ausbildungsberuf und den Ausbildungsbetrieb zu garantieren. Zum anderen muss gewährleistet sein, dass die Jugendlichen ihre Ausbildungsstelle frei wählen können. (…)
  • Beratung statt Zuweisung:
    Um Jugendliche bei der Berufs- und Ausbildungsplatzwahl zu unterstützen, bedarf es einer entsprechenden Beratungsinfrastruktur. Angestrebt wird eine zentrale Anlaufstelle auf regionaler Ebene, die im Sinne eines Fallmanagements die Gesamtverantwortung für die Beratung der Ausbildungsplatzsuchenden übernimmt. (…) Eine Zuweisungsfunktion zu einem bestimmten Ausbildungsplatz bzw. einem bestimmten Ausbildungsberuf hat sie ausdrücklich nicht. Ziel ist vielmehr die Herausarbeitung des Berufswunsches des Jugendlichen und eine Beratung, inwieweit seine individuellen Voraussetzungen dem durchschnittlichen Anforderungsprofil an die Ausbildung entsprechen. Wird im Rahmen einer individuellen Fallberatung festgestellt, dass das bestehende Kompetenzspektrum des Jugendlichen für eine Aufnahme der angestrebten Berufsausbildung noch nicht ausreicht, dann sollen seitens der Beratungsstelle Bildungsangebote zur Erlangung der notwendigen Zugangsvoraussetzungen aufgezeigt werden. In diesem Zusammenhang können die Berater u. a. auf die verschiedenen Maßnahmen des nicht vollqualifizierenden beruflichen Übergangssystems hinweisen, sofern sich diese zur Erlangung der für die jeweils angestrebte Berufsausbildung notwendigen Zugangsvoraussetzungen eignen. (…)
  • Flankierende Maßnahmen für eine Ausbildungsgarantie:
    Ergänzend zu einem garantierten Zugang in eine vollqualifizierende Ausbildung soll das Konzept der Ausbildungsgarantie Elemente beinhalten, die einen erfolgreichen Abschluss der Berufsausbildung für Jugendliche ermöglichen. Aus diesem Grund ist vorgesehen, die garantierte Berufsausbildung um flankierende, auf die Bedarfe der Jugendlichen und Ausbildungsbetriebe abgestimmte Zusatzangebote zu ergänzen. (…)

Verfassungsrechtliche Prüfung

Eine Ausbildungsgarantie widerspricht nicht grundsätzlich dem bundesdeutschen Verfassungsrecht. Insbesondere stellt eine Besserstellung von Jugendlichen mit niedrigeren Bildungsabschlüssen im Vergleich mit Studienberechtigten, die eine Hochschulausbildung anstreben und keine Studienplatzgarantie haben, keine verfassungsrechtlich unzulässige positive Diskriminierung dar. Die Gesetzgebungskompetenz liegt beim Bund, sofern dies den betrieblichen Teil der Ausbildung betrifft. Dieser darf jedoch in Bezug auf schulische Anteile dieser Garantie nur insoweit in die Kulturhoheit der Länder eingreifen, als dies im Rahmen einer Annexkompetenz erlaubt ist. Im Übrigen sind die Länder zuständig. Die Freiheitsrechte der Jugendlichen sind bei ihrer Berufswahl in jedem Fall zu wahren, denn ihnen ist ein verfassungsrechtlich begründetes Entscheidungsrecht darüber eingeräumt, ob und welche Ausbildung sie aufnehmen wollen. Ebenso können Unternehmer und Unternehmen frei darüber entscheiden, ob sie Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen und, wenn ja, welcher Jugendliche diesen Platz erhält. Zwar besteht kein Kontrahierungszwang in Bezug auf Ausbildungsverträge im Dualen System oder in Bezug auf Praktikumsplätze, eine Ausbildungsplatzabgabe ist jedoch als Finanzierungsinstrument einer Ausbildungsgarantie verfassungsrechtlich unbedenklich, sofern diese die Leistungsfähigkeit der Unternehmen nicht überbeansprucht. (…)

Möglichkeiten zur rechtlichen Implementierung

Die Implementation der Ausbildungsgarantie sollte aus rechtssystematischen Gründen im SGB III erfolgen. Die Zielstellung und die Instrumente dieses Gesetzes umfassen bereits wesentliche Elemente der Ausbildungsgarantie und erfordern daher keine Veränderungen aus rechtssystematischer Sicht. Im Wesentlichen bestehen die Änderungen in der Erweiterung der Zielgruppe auf alle ausbildungsplatzsuchenden, unversorgten Jugendlichen in Bezug auf alle Instrumente, die bereits für benachteiligte Jugendliche vorgesehen sind. Allerdings erscheint die verbindliche Einrichtung einer regionalen/lokalen Arbeitsgruppe/Beirat (…) zwingend notwendig, um ein auswahlfähiges Angebot für die unversorgten Jugendlichen bereitstellen zu können. (…)

Eine grundrechtliche Verankerung der Ausbildungsgarantie kommt grundsätzlich ebenso in Frage und würde damit ein Grundrecht auf eine Mindestausbildung schaffen, was aus bildungspolitischer Sicht wünschenswert wäre. Zudem hätte eine verfassungsrechtliche Regelung den Vorteil, bei Veränderung in den politischen Mehrheiten oder in der Haushaltslage nicht ohne Weiteres gestrichen werden zu können. Es hätte aber den Nachteil, dass damit für die Regulierung der Durchführung des Vorhabens ein breiter inhaltlicher wie auch zeitlicher politischer Spielraum geschaffen würde, der wenig geeignet erscheint, dem akuten Handlungsbedarf Rechnung zu tragen.

Eine gesetzliche Regelung der Ausbildungsgarantie im Berufsbildungsgesetz sowie dem SGB VIII kommt aus rechtssystematischen Gründen nicht in Betracht, da der jeweilige Regelungsgehalt dieser Gesetze nicht der Zielstellung der Ausbildungsgarantie entspricht. So regelt das Berufsausbildungsgesetz zwar die betriebliche wie auch die außerbetriebliche Ausbildung, hier steht jedoch die geordnete Durchführung im Mittelpunkt. Bei der Ausbildungsgarantie liegt der Schwerpunkt hingegen letztlich im Fördergedanken. Dieser wiederum entspricht nicht dem Gesetzesgedanken des Berufsbildungsgesetzes. Der Fördergedanke ist hingegen zwar im SGB VIII verankert und zwar in Bezug auf die Zielgruppe der Jugendlichen. Diesem Gesetz fehlt jedoch der Ausbildungsbezug, denn der Schwerpunkt der Regelung liegt auf der Erziehung insbesondere im Verhältnis zwischen Eltern und Kindern. (…)

Bei einer Einführung der Ausbildungsgarantie in das SGB III müssen mehrere Aspekte bei der gesetzgeberischen Konstruktion beachtet werden. So muss es sich um eine Formulierung handeln, die einen individuellen Rechtsanspruch aller unversorgt gebliebenen Ausbildungsplatzsuchenden ohne Ermessensspielraum vorsieht. Dem Jugendlichen muss eine entsprechende quantitative wie qualitative Auswahlmöglichkeit an Ausbildungsplätzen gewährt werden, wobei einer räumlichen Erreichbarkeit eine hohe Bedeutung zukommt, um eine Umsetzung des jeweiligen Ausbildungsziels zu ermöglichen. Jugendliche, die noch Unterstützung auf ihrem Weg in eine Ausbildung brauchen, erhalten diese in einer vorgeschalteten Phase, die auf die Ausbildung vorbereitet und den unmittelbaren Anschluss möglich macht. (…) Die Höhe der Kosten einer Ausbildungsgarantie kann nur geschätzt werden und hängt nicht zuletzt von der Höhe der Ausbildungsvergütung bzw. der Ausbildungskosten ab. Mit zu berücksichtigen bei der Finanzierung der Ausbildungsgarantie ist der überwiegende Wegfall der Kosten für das Übergangssystem und die langfristig zu erwartenden höheren Einnahmen aus Steuern und Sozialversicherung. (…)“

Die Ergebnisse der Expertise in der Diskussion

Die Ergebnisse der Expertise diskutierte der Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit mit

  • Michael Gerdes MdB (SPD)
  • Dr. Thomas Feist MdB (CDU)
  • Brigitte Pothmer MdB (Bündnis 90/Die Grünen)
  • Dr. Rosemarie Hein MdB (Die Linke)
  • Dr. Kirsten Kielbassa-Schnepp (ZdH)
  • Mario Patuzzi (DGB)
  • Walter Würfel (Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit)

Eine gesetzlich geregelte Ausbildungsgarantie war unter den Diskutanten umstritten. Kirsten Kielbassa-Schnepp sieht keine Notwendigkeit für eine gesetzliche Regelung. Das Handwerk habe 1,5% zusätzliche Ausbildungsplätze bereitgestellt. Dabei blieben 8,7% aller Ausbildungsstellen im Handwerk unbesetzt. Da bräuchte es andere Wege als eine gesetzliche Regelung, um Betriebe und Jugendliche zusammen zu bringen. Dr. Feist sprach sich ebenfalls für eine untergesetzliche Regelung aus. So bestünden mehr Spielräume, um nach praktischen Lösungen zu suchen. Brigitte Pothmer kritisierte, dass sich die Bundesregierung mit der „Allianz für Aus- und Weiterbildung“ von einer gesetzlichen Lösung verabschiede. Die Allianz biete quantitativ zu wenig. Anstatt 4 Milliarden Euro in das Übergangssystem zu investieren, sollte davon lieber eine Ausbildungsgarantie umgesetzt werden. Rosemarie Hein forderte mehr außerbetriebliche Ausbildungsplätze, um allen jungen Menschen eine Perspektive auf Ausbildung geben zu können. Hein votierte für eine gesetzliche Verankerung einer Ausbildungsgarantie. Ob diese in bestehenden Gesetzen erfolgen solle oder ob es dazu ein eigenes Gesetz bedarf, ließ Hein offen. Walter Würfel bekräftige die Forderung nach mehr außerbetrieblichen Ausbildungsplätzen. Er wies auf das Nachbarland Österreich hin, das eine Ausbildungsgarantie bereits umsetzt. Ein wesentliches Merkmal der österreichischen Garantie sind außerbetriebliche Ausbildungsplätze. Rechnet man die Platzzahl anhand der deutschen Bevölkerung hoch, wären in Deutschland 100.000 Plätze erforderlich.

Quelle: IB; Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit

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