Reaktionen junger Männer auf Harzt IV Sanktionen

Auszüge aus dem IAB-Kurzbericht: Wirkungen von Sanktionen für junge ALG-II-Bezieher von Gerard J. van den Berg, Arne Uhlendorff und Joachim Wolff:
„ALG-II-Bezieher sind verpflichtet, gegenüber den Jobcentern ein kooperatives Verhalten zu zeigen und sich um eine Arbeit oder Ausbildung zu bemühen. Kommen sie diesen Pflichten nicht nach, sieht das Gesetz Sanktionen vor, die für junge ALG-II-Bezieher sehr strikt sind. (…) Junge Leistungsbezieher werden nicht nur besonders streng, sondern auch vergleichsweise häufig sanktioniert. (…)

Für Personen mit mindestens einer Sanktion liegt der Anteil der Übergänge in ungeförderte versicherungspflichtige Beschäftigung bei 25,5 bzw. fast 28 Prozent und für Personen mit mindestens zwei Sanktionen (…) bei rund 20 Prozent. Ein Abgang aus dem Arbeitsmarkt kommt in der Stichprobe mit 6,1 Prozent für Personen in Einpersonenbedarfsgemeinschaften und rund 5 Prozent der Personen in Mehrpersonenbedarfsgemeinschaften weit seltener vor als ein Übergang in Beschäftigung. (…) Ein solcher Abgang kann z. B. durch einen Umzug in den elterlichen Haushalt oder den Haushalt von Verwandten oder einer Partnerin zustandekommen oder aufgrund einer finanziellen Unterstützung durch Freunde und Verwandte möglich werden. Der Abgang kann z. B. mit Aktivitäten wie schulischer Ausbildung, unentgeltlicher Hilfe im Haushalt oder Betrieb von Familienmitgliedern, einer selbstständigen Tätigkeit, einer weiteren nicht vom Jobcenter begleiteten Arbeitsuche, aber auch Obdachlosigkeit und/oder Aktivitäten in der Schattenwirtschaft verbunden sein. (…)

Beschäftigungsaufnahme beschleunigt sich
(…)Die Abgangsraten einer Person in Beschäftigung infolge der ersten und der ersten beiden Sanktionen fallen jeweils höher aus als ohne die erste bzw. die zweite Sanktion. Dies steht im Einklang mit der Hypothese, dass ALG-II-Bezieher wegen Sanktionen verstärkt nach Arbeit suchen und eher bereit sind, Stellenangebote zu akzeptieren. Für Personen aus Singlebedarfsgemeinschaften verdoppelt sich ihre Übergangsrate in Beschäftigung infolge der ersten Sanktion. (…)

Rascherer Rückzug aus dem Arbeitsmarkt
Auch die Abgangsrate der jungen ALG-II-Bezieher aus dem Arbeitsmarkt und dem ALG-II-Bezug erhöht sich durch Sanktionen. Im Vergleich zu einer Situation ohne Sanktionierung liegt sie infolge der ersten Sanktion für Personen aus Singlebedarfsgemeinschaften fast vier Mal so hoch. Eine zweite Sanktion innerhalb eines Jahres verdoppelt die Abgangsrate noch einmal. (…) Die ermittelten Sanktionswirkungen auf die Abgangsrate aus dem Arbeitsmarkt und ALG-II-Bezug von Personen in Mehrpersonenbedarfsgemeinschaften sind im Vergleich zu denen für Personen in Einpersonenbedarfsgemeinschaften sehr gering und statistisch nicht signifikant. (…)

Ausbildungsabschluss hat begrenzt Einfluss auf die Sanktionseffekte
Mit den verwendeten Daten war es möglich zu ermitteln, ob die Effekte der ersten Sanktion mit bestimmten Merkmalen der Personen variieren. (…)

Was die Abgangsrate in Beschäftigung und die Tagesentgelte angeht, sprechen die Befunde für beide Haushaltstypen nicht für statistisch gesicherte unterschiedliche Sanktionswirkungen für Personen mit oder ohne Berufsausbildung. Ebenso wenig bestätigen sie eine unterschiedliche Reaktion der Abgangsrate aus dem Arbeitsmarkt und ALG-II-Bezug von Personen mit und ohne abgeschlossene Berufsausbildung, die in Singlebedarfsgemeinschaften leben. Für Personen in Mehrpersonenbedarfsgemeinschaften hingegen zeigt sich eine steigernde Wirkung der Sanktion auf diese Abgangsrate ausschließlich für Personen mit einem Berufsausbildungsabschluss. Eine mögliche Erklärung dafür wäre, dass Personen mit Berufsausbildungsabschluss zeitweise auf eine finanzielle Unterstützung von Verwandten aus anderen Haushalten zurückgreifen können, die über hinreichend hohe Einkommen verfügen. (…)

Zusammenfassung und Diskussion
Sanktionen sollen als Druckmittel und Anreiz bewirken, dass ALG-II-Bezieher ihren gesetzlichen Pflichten nachkommen und sich um ein Arbeitsaufnahme bemühen. Besonders einschneidende Sanktionen für Unter-25-Jährige führen unseren Befunden zufolge dazu, dass die Abgangsrate junger ALG-II-Bezieher in ungeförderte versicherungspflichtige Beschäftigung bei einer ersten Sanktion deutlich ansteigt. Eine wiederholte Sanktion innerhalb eines Jahres verstärkt diese Wirkung. Eine Arbeitsaufnahme infolge von Sanktionen ist aber mit Einbußen bei den Tagesentgelten verbunden, allerdings nur aufgrund der ersten Sanktion. (…)

Im Vergleich zur Abgangsrate in Beschäftigung ist die Abgangsrate von ALG-II-Beziehern aus dem Arbeitsmarkt weit geringer. Aber auch diese steigt infolge der Sanktionierung deutlich an.

Die verschiedenen Sanktionswirkungen fallen für Personen in Singlehaushalten tendenziell höher aus als für Personen in Mehrpersonenhaushalten. Hier mag eine Rolle spielen, dass sanktionierte Personen in Mehrpersonenhaushalten stärker auf Ressourcen anderer Haushaltsmitglieder zurückgreifen und damit nachteilige Folgen der Sanktion für ihre Lebensbedingungen abfedern können. (…)

Die Schätzergebnisse der Verweildaueranalyse für junge Leistungsbezieher unterstreichen, dass Sanktionen Anreize zur Arbeitsuche verstärken. Allerdings sind sie mit unerwünschten Nebenwirkungen verbunden, da es auch zu einem beschleunigten Rückzug aus dem Arbeitsmarkt kommt. (…)

Eine qualitative Befragung von Fachkräften in einigen Jobcentern deutet darauf hin, dass die besonders schweren Sanktionen wegen wiederholter Pflichtverletzungen von Fachkräften tendenziell kritisch gesehen werden. Es besteht die Gefahr, dass sie zu Wohnungslosigkeit führen, was nicht zuletzt die Integration der Betroffenen in den Arbeitsmarkt beeinträchtigt. Zudem verdeutlichen die Befunde einer qualitativen Befragung von unter-25-jährigen Sanktionierten, dass mit Sanktionen erhebliche Einschränkungen der Lebensbedingungen einhergehen: Dazu gehörten unter anderem eine teils eingeschränkte Ernährung, teils Zahlungsrückstände verbunden mit der Sperrung der Energieversorgung und bei einigen Totalsanktionierten der Verlust ihrer Wohnungen.

Vor dem Hintergrund dieser Forschungsergebnisse wäre eine Reform des Sanktionssystems denkbar, die sehr einschneidende Leistungsminderungen durch Sanktionen vermeidet, aber Anreize zur Arbeitsuche aufrechterhält. So könnten die Sonderregelungen für Unter-25-Jährige abgeschafft werden und für alle Sanktionierten die Regelungen der Ab-25-Jährigen gelten, bei denen eine erste Sanktion wegen Pflichtverletzungen bei 30 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs liegt und die erste wiederholte Sanktionierung mit 60 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs auch weniger hoch ausfällt. (…)

Ferner sollte im Falle der verschärften Sanktionen bei wiederholten Pflichtverletzungen, aber auch weil mehrere Sanktionen gleichzeitig zu sehr hohen Leistungsminderungen führen, eine Obergrenze für die Sanktionshöhe festgesetzt werden. Das ist nicht zuletzt deshalb wichtig, weil alleinlebende Personen keine Möglichkeiten haben, im Falle einer Sanktionierung auf Ressourcen von anderen Haushaltsmitgliedern zurückzugreifen. Strengere Sanktionen bei wiederholten Pflichtverletzungen müssten auch nicht zwingend durch eine höhere Leistungsminderung pro Monat erfolgen. Stattdessen könnte die Sanktionshöhe unverändert bleiben und eine Sanktionsdauer von vier oder fünf Monaten statt drei Monaten vorgesehen werden. (…)“

Link: http://doku.iab.de/kurzber/2017/kb0517.pdf

Quelle: IAB; epd

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