Passend zum Coming-Out-Tag am 11. Oktober 2023 beschäftigten sich über 60 Teilnehmende bei der online Fachtagung „Queere Jugendliche Willkommen! Pädagogisches Handeln in der Jugendsozialarbeit“ unter anderem mit der Frage, welche (Diskriminierungs-)Erfahrungen den Alltag junger queerer[1] Menschen prägen und wie diese durch eine queer sensible Jugendsozialarbeit unterstützt werden können. Diese Veranstaltung wurde von IN VIA Deutschland e.V. im Netzwerk der Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit (BAG KJS) durchgeführt.
Die Selbstbezeichnungen der jungen Menschen ernst nehmen
Im ersten Input „‘Wie ein Kreis im Meer von Quadraten‘ – Begriffsklärung und Lebenswelten von jungen LSBT*I*“ referierte Wibke Korten, Beraterin in der NRW-Fachberatungsstelle „gerne anders!“, zu den unterschiedlichen Begriffen hinter der aktuell meistgenutzten Buchstabenkette LSBT*I*[2]. In der Praxis der Jugendsozialarbeit sollten die Selbstbezeichnungen der jungen Menschen immer Vorrang haben und ernst genommen werden. Queere Jugendliche seien eine besonders vulnerable Gruppe, weil ihre Lebenslagen mit Herausforderungen und vielfältigen Diskriminierungen verbunden sind. [3] Deren Bedarfe müssen in der sozialpädagogischen Arbeit berücksichtigt werden.
Regenbogenkompetenz in den Einrichtungen der Jugendsozialarbeit etablieren
Leonie Achterhold, Referentin im Lesben- und Schwulenverband Deutschland e.V. (LSVD), ging in ihrem Vortrag auf die Rolle und Aufgaben von Fachkräften ein. Sie machte sich für die Etablierung einer sogenannten Regenbogenkompetenz[4] in der Arbeit mit queeren jungen Menschen stark und stellte heraus, inwiefern diese eng mit verschiedenen Teilkompetenzen wie zum Beispiel einer Sachkompetenz über Lebenslagen und Diskriminierungserfahrungen junger queerer Menschen sowie einer Reflexionsfähigkeit von Fachkräften über eigene Gefühle, Vorurteile und Werte zusammenhängt. Der Kinder- und Jugendhilfe komme in der Unterstützung dieser jungen Menschen eine klare Zuständigkeit zu, welche über das neue SGB VIII § 9 rechtlich verankert sei. In der Arbeit mit Jugendlichen gebe es vielfältige Handlungsmöglichkeiten, sich als Fachkraft gegen Diskriminierungen einzusetzen: Konkret wird vorgeschlagen, dass Fachkräfte zum Beispiel bei LSBTIQ*-feindlichen Vorfällen einschreiten, Weiterbildungsangebote nutzen und Verbündete bei Leitungen und in Teams suchen. Es sei grundsätzlich wichtig, sich immer aktiv einzusetzen und nicht über Diskriminierungen hinwegzuschauen.
Ramona Kielblock, Bildungsreferentin der Katholischen Junge Gemeinde Köln und Vorstandsmitglied der Bewegung „OutInChurch“, warf einen kritischen Blick auf die Haltung und gelebte Praxis der katholischen Kirche zu queeren Menschen. Konkret wurden das diskriminierende kirchliche Arbeitsrecht sowie ausgrenzende Formulierungen in der Grundordnung des kirchlichen Dienstes genannt. Die Referentin unterstrich, dass es von großer Relevanz sei, sich aktiv gegen die teils ausgrenzende Haltung und Regelungen der katholischen Kirche im Hinblick auf queere Menschen zu positionieren und sich dazu klar als Organisation abzugrenzen. Zudem müsse die (junge) queere katholische Community ermächtigt werden, sich selbst für ihre Rechte und Bedürfnisse einsetzen zu können und damit auch Gehör finden.
Offenheit für queere Jugendliche im Leitbild verankern
Im zweiten Teil der Veranstaltung kamen die Teilnehmenden in selbst organisierten Räumen ins Gespräch und formulierten vielschichtige fachliche Forderungen bzw. Statements. Es sei zentral, das Thema sexuelle und geschlechtliche Vielfalt im Team zu besprechen. Zudem sollten Einrichtungen eine interne Positionierung entwickeln, welche bis in das Leitbild des Trägers reicht. Fachkräfte können eine aktive Rolle in diesem Prozess einnehmen und sich für ein Trägerbild einsetzen, das Offenheit und Respekt gegenüber queeren (jungen) Menschen formuliert. Grundlage dafür sei es, Selbstreflexion über eigene Gefühle und Vorurteile über sexuelle und geschlechtliche Vielfalt zu pflegen, Möglichkeiten zur Fortbildung wahrzunehmen und Expert*innen-Netzwerke zu nutzen. Im Umgang mit queeren Jugendlichen sei es wichtig, ihnen zuzuhören, sie in ihrer Lebenswelt ernst zu nehmen und safe places für sie in Einrichtungen der Jugendsozialarbeit zu schaffen.
Die formulierten Forderungen machen einen aktuellen Handlungsbedarf im Feld der Jugendsozialarbeit deutlich.[5] Es besteht weiter die Notwendigkeit, auf allen politischen Ebenen Diversität in der Jugendsozialarbeit zu fördern. Es ist notwendig, sich für queere junge Menschen zu öffnen und darüber eine Kultur der Offenheit und Vielfalt zu schaffen, die ein klares dahinterstehendes Konzept hat; ein Konzept, das alle jungen Menschen einschließt- unabhängig von ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität. Auf Bundesebene möchte sich die BAG KJS im Rahmen der Themenfeldbearbeitung weiter für die Bedarfe aller jungen Menschen einsetzen. Durch politische Lobbyarbeit möchte sie u.a. zur Stärkung eines diskriminierungsfreien und gleichwertigen Verständnisses für die Vielfalt der partnerschaftlichen Beziehungen, sexuellen Orientierungen und geschlechtlichen Identitäten beitragen.
Quelle: BAG KJS – IN VIA Deutschland
[1] Der englische Begriff queer wird in diesem Beitrag für alle Personen verwendet, die aufgrund ihrer Geschlechtsmerkmale, ihrer Geschlechtsidentität, ihres Geschlechtsausdrucks und / oder ihrer sexuellen Orientierung auf heteronormative Barrieren stoßen. Dazu gehören inter*, trans*, genderqueere, nicht-binäre, lesbische, schwule, bisexuelle und pansexuelle Menschen. Mehr unter: https://kommunen.kinderrechte.de/artikel/queer-inklusives-paedagogisches-handeln-praxishilfe-jugendeinrichtungen/
[2] Bei der Buchstabenkette handelt es sich einerseits um die sexuelle Orientierung (lesbisch, schwul, bisexuell), andererseits um die geschlechtliche Identität einer Person (trans* / nicht-binär sowie inter*). Damit handelt es sich immer um Personen, die sich außerhalb von Hetero- sowie Cisnormativität bewegen.
[3] Vgl. Oldemeier, K., Krell, C. (2018). „Coming-out – und dann …?!“. In: Lange, A., Reiter, H., Schutter, S., Steiner, C. (eds) Handbuch Kindheits- und Jugendsoziologie. Springer Reference Sozialwissenschaften. Springer VS, Wiesbaden.
[4] Hierbei handelt es sich um ein Konzept aus der Sozialen Arbeit nach Prof. Dr. Ulrike Schmach (Frankfurt University of Applied Sciences), welches auf die berufliche Handlungsfähigkeit im Hinblick auf sexuelle und geschlechtliche Vielfalt abzielt. Mehr unter: https://www.lsvd.de/media/doc/8503/queer-papier-1-regenbogenkompetenz-faltblatt.pdf
[5] Entsprechend wird auch im kürzlich veröffentlichen Positionspapier der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe klaren Handlungsbedarf in der pädagogischen Praxis formuliert. Vgl. Positionspapier: Mehr queer! Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt im Jugendalter. Queer-sensibles pädagogisches Handeln in der Jugendarbeit. (agj.de)