Europäische Mobilitätsangebote für sozial benachteiligte junge Menschen

Den besonderen Nutzen europäischer Mobilitätsangebote für sozial benachteiligte junge Menschen an den Übergängen stellt eine Expertise der Service- und Transferstelle für die EU-Jugendstrategie in Deutschland heraus. Die Autor/-innen analysieren Evaluationen bestehender Programme, Initiativen und Projekte ebenso wie Expertenmeetings. In ihren Auswertungen kommen Hans Brandtner und Ulrike Wisser zu dem Schluss, dass sozial benachteiligten jungen Menschen durch ihre Teilnahme an grenzüberschreitenden Maßnahmen Erfahrungsräume und informelle Lernsituationen geöffnet werden, die ihnen aus ihren Lebenskontext heraus sonst nicht zugänglich wären. Diese Lernsituationen leisten einen wichtigen Beitrag für die soziale und berufliche Integration dieser Jugendlichen. Leider ist die „gute Praxis“ grenzüberschreitender Angebote für Benachteiligte viel zu wenig bekannt. Eine flächendeckende Umsetzung erfolgreicher Konzepte scheitert an vielen hinderlichen Rahmenbedingungen.

Die Expertise wurde beauftragt von der Bund-Länder-AG, die für die Umsetzung der EU-Jugendstrategie zuständig ist. Auszüge aus den Ergebnissen der Expertise „Grenzüberschreitungen – Europäische Mobilitätsangebote für sozial benachteiligte junge Menschen“ von Hans Brandtner und Ulrike Wisser:

Intensive Erfahrungen der Selbstwirksamkeit im Kontext internationaler Begegnungen

„(…) Die positiven Wirkungen grenzüberschreitender Aktivitäten auf die persönliche und soziale Entwicklung junger Menschen werden von allen Untersuchungen bestätigt. (…) Dieses trifft auch für die Evaluationen von arbeitsmarktorientierten Angeboten zu, die den Erwerb personaler und sozialer Kompetenzen im Vergleich zur Entwicklung berufsspezifischer Qualifikationen deutlich höher gewichten. Durchgehend wird konstatiert, dass sich junge Menschen in Lernsituationen im Ausland (…) auf ein unbekanntes und nicht durch bekannte Muster und Gewohnheiten geprägtes Feld begeben und sich ihnen neue Handlungsoptionen eröffnen. Sie erleben in der Bewältigung der neuen und oft schwierigen Herausforderungen intensiv ihre Selbstwirksamkeit und verändern ihre Wahrnehmung von sozialen Prozessen genauso wie von der eigenen Person. (…)

In vielen Untersuchungen wird auf die besonders ausgeprägten Lerneffekte für die Zielgruppe der sozial benachteiligten jungen Menschen verwiesen, die sie aus der Teilnahme an grenzüberschreitenden Maßnahmen mitnehmen. (…)

Daraus kann gefolgert werden, dass sozial benachteiligte junge Menschen im Kontext internationaler Begegnungen intensive Erfahrungen der Selbstwirksamkeit machen und soziale Kompetenzen erwerben, die für Jugendliche aus anderen sozialen Schichten und Kontexten mehr oder weniger eine Selbstverständlichkeit darstellen oder einfacher zugänglich sind.“

Grenzübergreifende Angebote haben nachsozialisierenden Charakter

„Grenzübergreifende Angebote gewährleisten so mehr Teilhabe junger Menschen und entwickeln einen deutlich nachsozialisierenden Charakter. Sie spielen damit eine wichtige Rolle beim Ausgleich sozialer und struktureller Benachteiligen für junge Menschen und tragen zu mehr Chancengleichheit bei. (…)

Auch wenn junge Menschen sich durch Auslandsaufenthalte positiv verändert haben, das prägende soziale Umfeld hat sich in der Regel nicht verändert und behält seinen restriktiven Einfluss bei. Umso schwerer ist es, mögliche veränderte Verhaltensmuster aufrecht zu erhalten, auch, weil die alten Zwänge weiter existieren. Insofern sind weiterführende strukturell verankerte pädagogische Begleitangebote nach der Rückkehr wichtig, um die neuen Sichtweisen und Handlungsoptionen dauerhaft zu festigen. Grenzüberschreitende Maßnahmen müssen pädagogisch gestaltet sein, um positive Wirkungen für den jungen Menschen zu gewährleisten. Dies stellt einerseits besondere Anforderungen an fachliche Konzepte und an die Projekte selbst, erfordert andererseits eine qualifizierte Einbindung internationaler Maßnahmen in die Trägerorganisationen und die örtlichen Jugendhilfestrukturen. (…)“

Die grenzüberschreitenden Angebote an den richtigen Stellen nachhaltig verankern

„Die fachliche Verankerung grenzüberschreitender Angebote sollte querschnittlich in allen Strukturen und Handlungsabläufen des Übergangssystems (Jugendhilfe, Arbeitsmarktpolitik, Schule) verortet werden. Dies würde eine Voraussetzung schaffen, die ein reibungsloses Zusammenspiel der unterschiedlichen Akteure gewährleistet, personelle und finanzielle Ressourcen bündelt und die effektive Nutzung ermöglicht sowie das fachpolitisch Gewicht stärkt. Diese Querschnittlichkeit sollte sich dabei sowohl hinsichtlich der verschiedenen unmittelbar involvierten Politikfelder als auch hinsichtlich der kommunalen Ziele und Belange verstanden werden, in die sie sich einfügen müssen.

Eine weitere Schlussfolgerung (…) ist, dass europäische und internationale Jugendarbeit als Rahmen grenzüberschreitender Angebote auch politisch verankert werden muss. Diese Verankerung muss in den kommunalen Gremien genauso Voraussetzung sein, wie auf Landesebene, da dort wesentliche Fragen der politischen Schwerpunktsetzung und der konkreten Finanzierung beantwortet werden.

Insgesamt stellt sich damit auch die Frage nach den zentralen Akteuren, die die Verankerung grenzüberschreitender Angebote für sozial benachteiligte junge Menschen voranbringen können. Dieses könnten sowohl die politische Landesebene sein als auch Landesjugendhilfeausschüsse, Verbände der Jugendhilfe oder Jugendverbände genauso wie Jobcenter, Schulen und kommunalpolitische Akteure. Wichtig wird es sein, diese(n) Adressaten zu benennen und mögliche Strategien zur breiteren Verankerung grenzübergreifender Angebote abzustimmen und voranzubringen. (…)

Weiteres Vorgehen

Auf der Grundlage dieser Überlegungen hat sich die Bund-Länder AG zur Umsetzung der EU-Jugendstrategie in Deutschland darauf verständigt, die grenzüberschreitende fachliche Weiterentwicklung von Angeboten im Übergangssystem in fünf Handlungsfelder anzuregen und Orientierungslinien zu erarbeiten:

  • Information, Beratung, Kommunikation
  • Sensibilisierung der Fachkräfte
  • Ressortübergreifende Zusammenarbeit
  • Kommunale Verankerung
  • Förderprogramme und Finanzierung.

(…) Die Bund-Länder AG wird (…) bestehende Aktivitäten zur Förderung von Gelingensbedingungen für grenzüberschreitende Mobilität als Lernfeld für benachteiligte junge Menschen im Übergang zwischen Schule und Beruf fachlich begleiten und Orientierungshilfen entwickeln. Die Erarbeitung der Orientierungshilfen erfolgt in folgenden Schritten:

  • die Auswahl laufender oder geplanter beispielhafter Aktivitäten von Bund, Ländern, Kommunen und anderer Akteure in den oben genannten Handlungsfeldern (Referenzprojekte),
  • die Beschreibung von Beiträgen aus diesen Aktivitäten für die grenzübergreifende Öffnung des Übergangssystems für sozial benachteiligte Jugendliche und junge Erwachsene und die Beobachtung ihrer Entwicklungsfortschritte in den kommenden Jahren bis Ende 2018,
  • die Identifizierung von Elementen zur konzeptionellen Ausgestaltung der Angebote und zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für ihre erfolgreiche Implementierung,
  • die Formulierung von Anregungen, mit denen die Akteure der Bund-Länder AG die Weiterentwicklung der Praxis wirkungsvoll unterstützen können(Orientierungshilfen). (…)“

Quelle: JUGEND für Europa

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