Sind Minijobs eine Sackgasse für qualifizierte Arbeitskräfte?

Auszüge aus den DGB Vorschlägen und Forderungen, damit Minijobs keine Sackgasse für qualifizierte Arbeitskräfte bleiben:
“ (…) Insgesamt arbeiteten im Dezember 2014 rd. 3,1 Mio. Beschäftigte alleine in Minijobs. Hierbei handelt es sich um eine relativ gut qualifizierte Beschäftigtengruppe. Mindestens die Hälfte dieser Zielgruppe verfügt über einen beruflichen oder akademischen Abschluss. Von ca. 1,1 Mio. (36 Prozent) ist das Qualifikationsniveau unbekannt. Geht man davon aus, dass die Minijobbenden aus dieser unbekannten Gruppe ein ähnliches Qualifikationsniveau aufweisen, wie die Minijobbenden, deren Qualifikationsniveau man kennt, kommt man zu dem Ergebnis, dass rund 2,5 Mio. Arbeitskräfte mit Abschluss nur in Minijobs beschäftigt sind. Selbst wenn man in der Gruppe, in der das Qualifikationsniveau unbekannt ist, einen höheren Anteil an Personen ohne Berufsabschluss unterstellen würde, wäre das Potential an gut qualifizierten Arbeitskräften, die nur Minijobs ausüben, immer noch beachtlich.

Doch trotz des großen beruflichen Potentials dieser Beschäftigtengruppe gibt es im Zusammenhang der Fachkräftediskussion kaum eine ausreichende Wahrnehmung der beruflichen Fähigkeiten von Minijobbenden. (…) Was ist also zu tun, um berufliche Aufstiegschancen in reguläre sozialversicherte Beschäftigung für diese Zielgruppe am Arbeitsmarkt zu schaffen und somit die in dieser Zielgruppe vorhandenen Potentiale zur Fachkräftesicherung zu heben?

Aus DGB-Sicht braucht es einen klugen Mix aus kurzfristigen Maßnahmen zielgerichteter nachhaltiger Arbeitsförderung einerseits und mittelfristig der systematischen Beseitigung des negativen Klebeeffektes durch eine rechtliche Neuregelung der Minijobs andererseits.

Vorschläge: Wege in sozialversicherte Beschäftigung durch zielgerichtete Arbeitsförderung
(…) Der Arbeitsmarkt sendet derzeit günstige Signale, um die Arbeitsmarktintegration ausschließlich geringfügig entlohnter Beschäftigter im Erwerbsalter durch berufliche Ein- und Aufstiegsmöglichkeiten aus Minijobs in reguläre sozialversicherte Beschäftigung zu verbessern und einen Beitrag zur Fachkräftesicherung zu leisten. Noch steigt die Beschäftigung und der Arbeitsmarkt ist relativ robust. In einigen Branchen und Regionen gibt es Fachkräfteengpässe. Im Zuge dieser Entwicklung sinkt die Zahl der Frauen in ausschließlich geringfügiger Beschäftigung – aber bislang noch völlig unzureichend. Jetzt ist Handeln gefragt, damit die prekär Beschäftigten Minijobber/innen besser in den Arbeitsmarkt integriert werden können. (…)

Umwandlung von Minijobs in sozialversicherte und existenzsichernde Beschäftigung:
(…) Die Mehrheit der ausschließlich in Minijobs Beschäftigten wünscht sich eine Ausweitung der Arbeitszeit und damit einhergehend eine Erhöhung des Einkommens. Es wird Zeit, dass die Umwandlung von Minijobs in sozialversicherte und existenzsichernde Beschäftigung in den Fokus aller arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitischen Akteure rückt und diese sich dieser Aufgaben annehmen. Diese arbeitsmarktaktuell-Analyse hat gezeigt, dass das Potential hierfür bei rd. 2,5 Mio. Arbeitskräften mit beruflichen oder akademischen Abschluss zwischen 25-64 Jahren liegt. Im Rahmen bisheriger Projekte zur Umwandlung hat sich der zweiseitige Beratungsansatz – Beratung der Arbeitnehmer/innen und der Arbeitgeber – bewährt: ## Zielgruppe direkt ansprechen und motivieren:
(…) Eine neue Beschäftigungsform kann mit neuen Herausforderungen im Alltag einhergehen, bspw. wenn Betreuungspflichten (Kinder/Pflege von Angehörigen) vorhanden sind. Um die Zielgruppe zu motivieren, müssen Bedenken und Ängste ernst genommen werden und für die Ratsuchenden ein gangbarer Weg entwickelt werden.
## Beratung von kleineren und mittleren Unternehmen:
Viele kleinere und mittlere Unternehmen, in denen viele Minijobbende arbeiten, haben Minijobs als „Flexibilisierungsinstrument“ genutzt und durchaus bestehende Alternativen außer Acht gelassen, so eine Erfahrung aus den Modellprojekten. In diesen Unternehmen gibt es oftmals wenig Kenntnis über die vorhandenen Qualifikationen dieser Beschäftigtengruppe. Deshalb ist eine Unterstützung der Unternehmen hinsichtlich der Personalentwicklungsarbeit, die die geringfügig Beschäftigten miteinbezieht, notwendig. Überzeugen konnte das Argument, dass gute Beschäftigungsbedingungen einen positiven Effekt auf die Qualität der Arbeit und auf die Kundenbindung haben. (…) Insgesamt sollten gute Praxisbeispiele der Arbeitnehmer- und der Arbeitgeberberatung in die Breite transportiert und in die alltägliche Praxis der Arbeitsagenturen und Jobcenter implementiert werden.
## Flankierende Medienarbeit:
Eine flankierende Medienarbeit (…) hat sich ergänzend zu dem zweiseitigen Beratungsansatz als unterstützend erwiesen. Mittels Kampagnen im öffentlichen Raum kann der betroffene Personenkreis informiert und sensibilisiert sowie dessen Zugang zu umfangreichen Informationen erleichtert werden.
Potentiale durch eine Qualifizierungsoffensive besser erschließen:
Doch nicht alle ausschließlich geringfügig entlohnten Beschäftigten können durch eine Umwandlung oder durch eine Vermittlung in sozialversicherte, existenzsichernde Beschäftigung integriert werden. Oftmals sind nicht vorhandene oder nicht mehr verwertbare Qualifikationen die Ursache dafür. Hier kann eine entsprechende Qualifizierung helfen. (…)

Da die Förderchancen gerade von längeren Weiterbildungsmaßnahmen im Hartz-IV-System deutlich niedriger als in der Arbeitslosenversicherung sind, sollten zu WeGebAU und IFlaS vergleichbare Programme im Hartz-IV-System aufgelegt werden. Insgesamt sollte die Zielgruppe der ausschließlich geringfügig entlohnten Beschäftigten auch hinsichtlich der Weiterbildungsförderung stärker in den arbeitsmarktpolitischen Fokus der Arbeitsagenturen und besonders der Jobcenter rücken.
Weiterbildung muss sich aber auch finanziell für die Beschäftigten lohnen. Aus den Erfahrungen des Berliner Projektes Joboption ist bekannt, dass längst nicht alle Minijobbenden bereit sind, eine Weiterbildung zu durchlaufen, um eine Umwandlung zu erreichen. Dies ist nachvollziehbar, da Teilnehmende an einer Weiterbildung oftmals vorübergehend finanziell schlechter gestellt sind als wenn sie Hartz IV aufstocken. Eine finanzielle Unterstützung während der Weiterbildungsphase kann hier unterstützend wirken. (…)

Fachkräfte qualifikationsgerecht einsetzen:
Fachkräfte in ausschließlich geringfügig entlohnten Minijobs sollten – insbesondere von Arbeitsagenturen und Jobcentern – darin unterstützt werden, ausbildungsadäquat und insbesondere existenzsichernd in einer sozialversicherten Tätigkeit beschäftigt zu werden. Hier liegen Potentiale von ca. 850.000 qualifizierten Arbeitskräften brach, die am Arbeitsmarkt nicht entsprechend ihres Qualifikationsniveaus eingesetzt werden.

Forderungen: Klebeeffekt durch gesetzliche Neuregelung der Minijobs lösen
(…) ## Durchsetzung der Gleichbehandlung bei den Arbeitsbedingungen: Grundsätzlich gilt: Die arbeitsrechtlichen Ansprüche von Minijobbenden müssen durchgesetzt werden. Zur Verbesserung der Stellung am Arbeitsmarkt von Minijobbern und Minijobberinnen und zur Fachkräftesicherung durch gute Arbeitsbedingungen ist die rechtliche Gleichbehandlung bei den Arbeitsbedingungen unabdingbar. Unabhängig von der Arbeitszeit müssen alle Beschäftigte, selbstverständlich auch Beschäftigte in Minijobs, entsprechend ihrer Tätigkeit bei der Entlohnung (Eingruppierung, Gleichwertigkeit bei der Arbeit) und den übrigen Arbeitsbedingungen gleich behandelt werden. (…) Es werden Beschäftigten in Minijobs grundlegende Arbeitnehmerrechte wie bezahlter Urlaub und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall vorenthalten.
Die Beobachtung der Praxis zeigt zudem, dass es in Minijobs sogar zur Vorenthaltung des gesetzlichen Mindestlohnes kommen kann. Dieser systematische Rechtsbruch ist nicht hinnehmbar. Hier muss durch effektive Kontrollen gehandelt werden. (…)
## Gesetzliche Neuregelung der Minijobs auf der Basis des vollen Sozialversicherungsschutzes ab dem ersten Euro:
Nach dem DGB-Vorschlag sollen in Zukunft Beschäftigte ab dem ersten Euro voll in die Soziale Sicherung einbezogen werden. Diese Beiträge werden allerdings gleitend zwischen Arbeitgebern und Beschäftigten verteilt, sodass der Anteil der Beschäftigten steigt, während die Belastung für den Arbeitgeber abnimmt. Ab 850 Euro gilt dann die paritätische Finanzierung. Der DGB-Vorschlag knüpft an die derzeitige Gleitzonenregelung an, die derzeit von 450-850 Euro geht, und weitet diese nach vorne hin aus. Den Beiträgen stehen dann individuell zurechenbare Ansprüche der Sozialversicherungen gegenüber. Die volle Sozialversicherungspflicht ab dem ersten Euro bindet alle Beschäftigten in die Systeme der Sozialen Sicherung ein. Sie stärkt eigenständige Ansprüche und kontinuierliche Erwerbsverlaufe. Die „450-Euro-Mauer“ wird somit überwunden und es bestehen Anreize für die Arbeitgeber, die Arbeitszeit auszudehnen.
## Pauschale Besteuerung beenden: Darüber hinaus sollten Fehlanreize wie die pauschale Besteuerung der Minijobs beendet werden. Alle Arbeitsverhältnisse sollten in das allgemeine Besteuerungssystem eingegliedert werden. Um die monatlichen Abzüge für Ehepaare wirklichkeitsnäher vorzunehmen, braucht es auch eine gerechtere Verteilung der Steuern auf beide Ehepartner. (…)
Den ausführlichen Bericht „arbeitsmarktaktuelle“ entnehmen Sie dem Anhang.

Quelle: DGB arbeitsmarktaktuell 9/2015

Dokumente: aa_Fachkraeftepotentiale_in_Minijobs.pdf

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