Auf kommunaler Ebene gibt es lebenslagenbezogene Berichterstattungen im Rahmen der Jugendhilfeplanung, des Bildungsmonitorings, der kommunalen Armutsberichte oder auch in Berichten, die im Rahmen von Stadtentwicklung oder demografischen Fragestellungen verfasst werden. Das Spektrum an Berichten zu unterschiedlichen sozialen Problemlagen (z. B. Armut, Arbeitslosigkeit) und bestimmten Bevölkerungsgruppen (z. B. Familien, Menschen mit Migrationshintergrund) ist auch auf dieser föderalen Ebene in den letzten Jahren breiter geworden. Auf der Ebene der Kommunen findet sich ebenso wenig wie auf der Ebene der Bundesländer eine einheitliche Konzeption einer jugendbezogenen Sozialberichterstattung. Die Ausrichtung der Berichte ist sowohl sehr stark von den jeweils aktuellen Schwerpunktsetzungen und den Problembezügen abhängig, als auch durch die unterschiedlichen regionalen Bedingungen des Aufwachsens geprägt. Die Vielfalt der Berichte auf den unterschiedlichen Ebenen und ihr jeweiliger Umfang verdeutlichen die Komplexität, die mit einer Beschreibung der Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen verbunden ist. Allen Berichten gemeinsam ist zudem, dass sie in der Regel auf amtliche Statistiken Bezug nehmen und diese durch Studienergebnisse ergänzen.
Diese Expertise hat das Ziel, Anregungen über beteiligungsorientierte Möglichkeiten der empirischen Beschreibung von Lebenslagen Jugendlicher auf kommunaler Ebene zu geben, um so die Grundlage kommunaler jugendpolitischer Entscheidungen zu verbessern. Was letztendlich unter Jugendpolitik konkret verstanden wird, ist nicht Gegenstand dieser Expertise.
In der Expertise wird ein besonderer Fokus auf die Jugendhilfeplanung gelegt,da diese gesetzlich verpflichtend ist und auf einer Analyse der Lebenslagen von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien aufzubauen ist und damit explizit einen Adressatenbezug aufweist. Zudem istdie Kinder- und Jugendhilfe als Querschnittspolitik angelegt, weshalb sich auch die Jugendhilfeplanung nicht auf die Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe beschränken muss, obwohl sie dies de facto häufig tut.
Lebenslagen Jugendlicher als Ausgangspunkt kommunaler
Politikgestaltung
Aus dem Resümee der DJI-Expertise zur beteiligungsorientierten Erhebung von jugendpolitischen Bedarfen (von Liane Pluto, Eric van Santen, Mike Seckinger):
Im Mittelpunkt der Expertise steht die Frage nach den Möglichkeiten und der Bedeutung einer beteiligungsorientierten Erhebung von Lebenslagen von Jugendlichen als Grundlage kommunalpolitischer Entscheidungen. Nicht nur das Ziel, die Beteiligungsorientierung in der kommunalen (Jugend)Politik zu erhöhen, sondern auch die vielfältigen Dimensionen der Lebenslagen, die Besonderheiten kommunalpolitischer Steuerungsbedarfe und Verwendungszusammenhänge lassen eine Beschränkung auf eine ausschließlich von Experten vorgenommene Beschreibung von Lebenslagen zur empirischen Fundierung kommunalpolitischer Entscheidungen als dysfunktional erscheinen. Auch eine kommunenübergreifende Standardisierung von Erhebungen zu Lebenslagen Jugendlicher wird den kommunalen Bedarfen nach einer empirisch gestützten Politikentwicklung nicht in allen Fällen Rechnung tragen können…. Für den kommunalen Verwendungszusammenhang kommt es ganz besonders darauf an, Wissen über Lebenslagen von Jugendlichen in die kommunalen Handlungsstrategien zu übersetzen. …
In der Expertise wird der Standpunkt vertreten, dass Jugendliche in der Lage sind bzw. in die Lage gebracht werden können, sich an allen Phasen der Politikgestaltung (Zielformulierung, Erhebung, Interpretation, Umsetzung) zu beteiligen. Erst bei einer Beteiligung in allen Phasen kann von einem vollendeten Beteiligungsprozess gesprochen werden. Dieser führt quasi als Nebenwirkung auch dazu, dass junge Menschen Methoden- und Demokratiekompetenz sowie vertiefte Einsichten in die Lebenslagen von Anderen erwerben. …
Es geht dabei um Entscheidungen, von denen die Partizipationsbeteiligten unmittelbar betroffen sind. Ernstgemeinte Partizipation verändert die Entscheidungsprozesse sowie die -ergebnisse und wirkt sich auf die Lebenswelt der betroffenen Kinder und Jugendlichen aus. Das heißt, Partizipation, politische Beteiligung Jugendlicher soll sich vor allem auf die für Jugend prägenden Lebensbereiche beziehen (z. B. Schule, Ausbildung, Familie, Nachbarschaft, Wohnungssituation, umweltpolitische Themen, Freizeit). In diesen Bereichen müssen Möglichkeiten der Mitgestaltung, der Teilhabe von Jugendlichen geschaffen werden. Die kommunale Ebene der Politik ist besonders geeignet für Beteiligung – nicht nur Jugendlicher – in allen Phasen der Politikgestaltung. Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied im Vergleich zu anderen staatlichen Ebenen. Hier können sie unmittelbar erfahren, dass Politik tatsächlich etwas mit der eigenen Lebenswirklichkeit zu tun hat; sie selbst Akteur der Politikgestaltung sein können. Hier können Jugendliche vor Ort im öffentlichen Raum ihre Handlungsmächtigkeit entwickeln und erfahren. …
Eine konsequente Beteiligung von Jugendlichen an allen Phasen der Politikgestaltung durchbricht die klassische Rollenverteilung zwischen Auftraggeber, Auftragnehmer und Adressat/-innen der empirisch begründeten Politikgestaltung. Eine konsequente Beteiligung entgrenzt die verschiedenen Rollen und führt somit zu einem hohen Commitment der Akteure und zu größeren Chancen, tatsächlich die anvisierten Effekte der Politiksteuerung zu erzielen. Dies setzt allerdings voraus, dass Beteiligung ernst gemeint ist und Jugendliche nicht nur als abzuschöpfende, passive Informationsquelle genutzt werden. … Hierzu braucht es eine breit angelegte Beteiligungsstrategie der Kommunen, die auf allen Ebenen der kommunalen Politik und Administration mitgetragen und unterstützt wird. Als mögliches Korrektiv für die kommunale Politik könnte auch eine institutionalisierte Beschwerdemöglichkeit für Jugendliche dienen. Eine solche Option hätte eine positive Signalwirkung gegenüber Jugendlichen, weil sie Jugendliche mit Rechten ausstattet und damit ihre Subjekt-Position anerkennt und ihr eine Form gibt.
Das Wissen über die Dynamik, Herausforderungen und Fallstricke von Beteiligungsprozessen in den verschiedenen Phasen kommunaler Politikgestaltung ist bislang eher als gering zu qualifizieren, auch wenn die beschriebenen Folgewirkungen eine hohe theoretische Evidenz besitzen. Die kommunale Beteiligungspraxis bedarf aber der Reflektion und Evaluation des Erreichten, um Verbesserungsbedarf sichtbar werden zu lassen und Raum für Modifikationen zu schaffen.“
www.dji.de/jhsw
Quelle: Deutsches Jugendinstitut
Dokumente: Expertise_Lebenslagen_Jugendliche_end.pdf