Neue Konzepte für den Übergang in Ausbildung

Die Situation am Übergang von der allgemeinbildenden Schule in eine Berufsausbildung stellt sich derzeit höchst widersprüchlich dar. Während einerseits Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben, bemühen sich andererseits viele Jugendliche vergeblich um eine Ausbildungsstelle. Vor allem Jugendliche ohne oder mit einem (schlechten) Hauptschulabschluss haben nach wie vor nur bedingt Zugang zu einem Ausbildungsplatz im dualen System. Daran haben auch die zahllosen Förderprogramme nichts geändert. Vor diesem Hintergrund untersucht eine Studie von Gerhard Christe die Reichweite aktueller Förderprogramme, analysiert anhand von Beispielen neue Möglichkeiten des Zugangs zu einer Berufsausbildung und leitet daraus Folgerungen für die (Berufs-)Bildungspolitik und die Konzipierung von Förderprogrammen ab. Die Studie wurde im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung durchgeführt, die sie unter dem Titel „Neue Konzepte für den Übergang in Ausbildung“ veröffentlicht hat.

Auszüge aus der FES Publikation Neue Konzepte für den Übergang in Ausbildung:

Zugang zu betrieblicher Ausbildung für benachteiligte Jugendliche weiterhin erschwert

„(…) Die aktuellen Daten zeigen, dass es trotz der demografischen Entwicklung und der allgemeinen Entspannung auf dem Ausbildungsstellenmarkt nach wie vor erhebliche Hürden für benachteiligte Jugendliche beim Zugang in eine reguläre betriebliche Ausbildung gibt. Viele Betriebe zeigen sich in ihrem Einstellungsverhalten gegenüber Jugendlichen mit niedrigen Schulabschlüssen nach wie vor sehr zurückhaltend oder ziehen sich ganz aus der Ausbildung zurück. Der institutionell geregelte marktwirtschaftliche Zugang zu einer dualen Berufsausbildung perpetuiert oder verstärkt sogar die bereits durch das Schulsystem bewirkte Chancenungleichheit. Dabei dürfte der Schulabschluss beim Übergang in Ausbildung gar keine Rolle spielen, denn für eine berufliche Ausbildung unterhalb der Hochschulausbildung gibt es keine gesetzlich geregelten formalen Voraussetzungen.

Auch die seit Jahrzehnten immer wieder neu entwickelten und erprobten Förderprogramme haben nicht dazu geführt, mehr Chancengleichheit für Jugendliche mit besonderem Förderbedarf herzustellen. Zwar tragen sie dazu bei, die Übergangschancen für einen begrenzten Teil von benachteiligten Jugendlichen zu verbessern, (…) wirken gleichzeigig selektiv und trag zur Stigmatisierung und Ausgrenzung von Jugendlichen bei.

Vor diesem Hintergrund ist auch die Zersplitterung der Förderlandschaft in unzählige Förderprogramme und -angebote, ihre in der Regel zeitliche Befristung und die Verortung außerhalb des Berufsbildungssystems im Hinblick auf notwendige Reformen des Beruflichen Bildungssystems eher kritisch zu beurteilen. (…)“

Drei konzeptionell unterschiedliche Ansätze…

„Im Mittelpunkt der Studie stehen drei konzeptionell unterschiedliche Ansätze. Sie werden hinsichtlich ihrer konkreten Gestaltung, ihrer bisherigen Wirkungen, ihrer Erfolgsbedingungen und ihres verallgemeinerbaren Beitrags zur Verbesserung des Übergangs Schule–Beruf für benachteiligte Jugendliche beschrieben und analysiert:

  • Das Beispiel der Göttinger Bildungsregion bietet verschiedene strukturelle und inhaltliche Anregungen zur Gestaltung von Übergängen und zur Verbesserung der Übergangschancen für benachteiligte Jugendliche.
  • Die Jugendberufsagentur Hamburg steht für ein Organisationsmodell für Hilfen aus einer Hand und für eine Neustrukturierung der Zugangswege in Ausbildung. Es zeigt, wie es gelingen kann, alle Jugendlichen mit Förderbedarf zu erreichen und Förderlücken zu schließen.
  • Das Projekt carpo der „Assistierten Ausbildung“ in Baden-Württemberg zeigt, wie es auch für Jugendliche mit bislang geringeren Chancen möglich ist, eine reguläre betriebliche Berufsausbildung innerhalb des dualen Systems zu absolvieren. Es steht beispielhaft für die Organisation von Formen der Unterstützung innerhalb der Strukturen des bestehenden Berufsausbildungssystems, ohne dass Jugendliche auf ein Parallelsystem wie das Übergangssystem mit seinen unsicheren Anschlüssen verwiesen würden. (…)

Die drei regionalen Praxisbeispiele zeigen aus unterschiedlicher Perspektive und mit jeweils unterschiedlichen Ansätzen, wie die Zugangschancen für Jugendliche mit schlechteren Startbedingungen erhöht werden können. (…)

Regionales Übergangsmanagement der Bildungsregion Göttingen

(…) Zwar ist es inzwischen weit verbreitet, dass die am Bildungs- und Übergangsprozess beteiligten Institutionen miteinander kooperieren, um die Übergangschancen von benachteiligten Jugendlichen beim Übergang in eine Berufsausbildung zu verbessern, doch das Göttinger Beispiel weist hier eine Besonderheit auf. Hier ist der Kreis der Kooperationspartner deutlich weiter gezogen; einbezogen sind auch die Kinder- und Jugendhilfe sowie die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik bis hin zum Gesundheitsbereich.

Eine weitere Besonderheit des Göttinger Beispiels besteht in einer Vernetzung von städtischen und ländlichen Räumen, und zwar in einer Weise, dass insbesondere auch benachteiligte Jugendliche aus dem ländlichen Raum davon profitieren.

Eine wichtige Anregung ergibt sich auch aus der Praxis der Göttinger Bildungsregion, benachteiligte Kinder und Jugendliche nicht nur so frühzeitig wie möglich zu fördern, sondern die Förderung auch auf den medizinischen und sozialen Bereich auszudehnen. Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, dass die Förderung benachteiligter Jugendlicher in der Regel viel zu spät einsetzt und es darauf ankommt, die individuelle Bildungsbiografie ggf. bereits in der frühkindlichen Phase entscheidend zu korrigieren oder zumindest positiv zu beeinflussen. (…)

Schließlich kann auch die in Göttingen implementierte differenzierte Bildungsberichterstattung hervorgehoben werden. (…)

Jugendberufsagentur Hamburg

Der Zeitraum seit Einführung der Jugendberufsagentur in Hamburg ist noch zu kurz, um eine abschließende Bewertung bezüglich ihres Beitrags zur Herstellung von mehr Chancengleichheit für benachteiligte Jugendliche vornehmen zu können. Gleichwohl ist schon jetzt festzustellen, dass das Hamburger Konzept einer Jugendberufsagentur den seit Jahrzehnten im Rahmen der Benachteiligtenförderung propagierten Anspruch einer systematischen Vernetzung der Hilfsangebote am Übergang tatsächlich zu verwirklichen versucht. Dies ist ein wichtiger Schritt hin zur Verbesserung der Ausbildungsförderung für benachteiligte Jugendliche.

Die enge und abgestimmte Zusammenarbeit der an der Jugendberufsagentur beteiligten Partner, die kontinuierliche Reflexion der laufenden Erfahrungen und die darauf aufbauende Weiterentwicklung der Beratungs- und Begleitprozesse, z.B. durch die Entwicklung gemeinsamer Standards für alle Standorte der Jugendberufsagentur, partnerübergreifende Fallbesprechungen oder ein Maßnahmen-Portfolio, tragen dazu bei, die Übergangshilfen transparenter und effektiver zu machen. Durch die Erweiterung der Jugendberufsagentur um Ausbildungsspezialisten-Teams des Jobcenters und der Arbeitsagentur zur weiteren Verbesserung der Vermittlung in Ausbildung sowie die Einbeziehung von Ausbildungscoaching-Agenturen, (…) gelingt es, Jugendliche intensiver als bisher an eine Ausbildung heranzuführen und bestehende Barrieren abzubauen.

Dass auch die Handelskammer, die Handwerkskammer, der DGB und die Unternehmensverbände in Hamburg und Schleswig-Holstein (UV-Nord) über den Beirat der Jugendberufsagentur auf Landesebene beteiligt sind, fördert sicherlich ebenfalls die Zielerreichung der Jugendberufsagentur. Dazu trägt auch ein Unternehmenskuratorium bei, das für den fachlichen Austausch zwischen Hamburger Unternehmen und Betrieben und den Partnern der Jugendberufsagentur neu eingerichtet worden ist. (…)

Als durchaus zweischneidig wird die mit der Einführung von Jugendberufsagenturen verfolgte Zielsetzung, ausnahmslos alle Jugendlichen zu erreichen („Keiner darf verloren gehen.“), angesehen. Angesichts der dezidiert festgelegten Verfahrensschritte („Sicherstellung der Nachverfolgung des Bildungsweges“, „aufsuchende Beratung“) bestehe die Gefahr einer „fürsorglichen Belagerung“. Es sei zu befürchten, dass die reduzierte Betrachtung von Jugendlichen als potenzielle Arbeitskräfte selektiv wirke. (…)

„Assistierte Ausbildung“ – Modellprojekt „CARPO“ Baden-Württemberg

Das Modellprojekt „carpo“ zeigt, dass es bei der Schaffung entsprechender Strukturen und einem entsprechenden Förderkonzept möglich ist, dass auch Jugendliche und junge Erwachsene mit geringen Chancen auf dem allgemeinen Ausbildungsmarkt eine normale betriebliche Berufsausbildung absolvieren können.

Außerdem belegt dieses Beispiel, dass es mit dieser Form der Ausbildung gelingen kann, Betriebe (wieder) zur Ausbildung zu motivieren und neue Ausbildungsplätze zu schaffen. Eine wesentliche Bedingung hierfür ist die durch die Assistenz gegebene spezifische Unterstützungsstruktur mit ihrer kontinuierlichen, professionellen und verlässlichen Begleitung während des gesamten Ausbildungsprozesses. (…)

Eine wesentliche Folgerung aus diesem Beispiel ist unter anderem die Notwendigkeit der Schaffung vielfältiger und verlässlicher Zugangswege zu einer regulären Berufsausbildung innerhalb der Strukturen des bestehenden Berufsausbildungssystems. Dazu braucht es nicht zuletzt stabiler Strukturen, wie sie mit der Assistierten Ausbildung in Form von carpo entwickelt worden sind. Durch die Übernahme in das SGB III (Paragraph 130) hat die Assistierte Ausbildung eine neue Form bekommen. Hilfen aus einer Hand sind dadurch ebenso erschwert wie der Aufbau langfristiger Vertrauensverhältnisse zu einer festen Bezugsperson während der gesamten Dauer der Ausbildung. Hilfen aus einer Hand und Kontinuität in der Begleitung von Jugendlichen und Betrieben sind jedoch zentrale Bedingungen für den Erfolg der Assistierten Ausbildung. (…)

Anforderungen an die Bildungspolitik und die Ausrichtung von Förderprogrammen

Ausgehend von den Praxisbeispielen lassen sich folgende Empfehlungen festhalten:

  • Durchlässige Bildungswege mit flexiblen Übergängen – Notwendig sind mehr motivierend gestaltete Lern- und Bildungsangebote, verbunden mit besserer und flexibler Nutzung der für die Schulbildung vorgesehenen Zeit. Für benachteiligte Kinder und Jugendliche müssen Ganztagsangebote ausgeweitet und durch Angebote an Wochenenden oder in den Ferien ergänzt werden. Außerdem sollten mehr Angebote für das formelle Lernen gemacht werden. (…)
  • Mitwirkung der Jugendlichen bei der Gestaltung von Fördermaßnahmen – In der Regel sind Jugendliche selbst nicht in die Gestaltung der für sie konzipierten Fördermaßnahmen einbezogen; viel zu selten haben sie Mitsprache- und Wahlmöglichkeiten. (…)
  • Fördern und Fordern als pädagogisches Prinzip – Fördern und Fordern von Jugendlichen, das diese ernst nimmt und ihnen persönliche Anerkennung und Vertrauen entgegenbringt, ist eine grundlegende Voraussetzung von erfolgreichen Bildungsprozessen. Es ist anders als in seiner sozialpolitischen Deformation durch das SGB II ein grundlegendes pädagogisches Prinzip. Dies bedeutet konkret: Notwendig sind Optionen und Wahlmöglichkeiten für Jugendliche auch im Bildungssystem. Dies schließt auch Spielräume zum Ausprobieren sowie die Möglichkeit, eine Ausbildung in kleinere Teilschritte aufgliedern zu können, ein. Erforderlich ist außerdem, dass Jugendliche nicht gezwungen werden, erst Defizite kompensieren zu müssen, bevor sie eine subjektiv sinnvolle Berufswahlentscheidung treffen dürfen. Notwendig sind ergebnisoffene Beratungs- und Orientierungsprozesse ebenso wie eine flexible und individuelle Unterstützung. (…)
  • Förderung von Bildungsgerechtigkeit – In jeder Lebensphase sind Entscheidungen über den Bildungsverlauf gleichzeitig Entscheidungen über Berufs- und Lebenschancen. Um soziale Schließungsprozesse und Bildungsarmut zu vermeiden, müssen Bildungsoptionen und Lebenswege offen gehalten, Chancenzuweisungen dürfen nicht durch oftmals vordergründige Leistungskriterien gerechtfertigt werden. Dies erfordert u.a. eine Stärkung der institutionellen Durchlässigkeiten, die Ermöglichung unterschiedlicher Wege des Wiedereinstiegs und die Gestaltung von Bildungsgängen nach dem Prinzip „kein Abschluss ohne Anschluss“.

Quelle: Friedrich-Ebert-Stiftung

 

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