Jugendliche und ihr Umgang mit Konflikten in sozialen Netzwerken

Soziale Netzwerkdienste wie facebook.com, lokalisten.de oder youtube.com sind für Jugendliche wichtige Räume für die Kommunikation und Interaktion mit Gleichaltrigen, für Unterhaltung, für Rezeption und Weiterverbreitung von Informationen aber auch Teilhabe am kulturellen Leben. Sie bilden wichtige Orte, an denen Jugendliche heute altersspezifische Entwicklungsaufgaben wie Identitätsarbeit, die Gestaltung sozialer Beziehungen sowie soziale Einbettung und Partizipation verhandeln. In den von Jugendlichen genutzten Online-Angeboten führen sie soziale Kontakte aus den realweltlichen Lebenszusammenhängen weiter, knüpfen aber ebenso neue Kontakte zu Menschen, um z. B. gemeinsame Interessen zu verfolgen. In diesen sozialen Beziehungen treten auch immer wieder Konflikte auf.

Dabei ist die Gleichsetzung von Cybermobbing mit Online-Konflikten unzutreffend und birgt die Gefahr, dass in der pädagogischen Arbeit mit Jugendlichen die Ursachen für bestimmte Konfliktverläufe und -phänomene nicht wahrgenommen und keine adäquaten Unterstützungsformen entwickelt werden können. Eine differenzierte Betrachtung von Konflikten in Sozialen Netzwerkdiensten, wie Jugendliche sie erleben, ist folglich eine wichtige Voraussetzung, um sie zu souveränem Konfliktlösen zu befähigen und auch Cybermobbing vorzubeugen.

Auszüge aus der Studie „Wo der Spaß aufhört … Jugendliche und ihre Perspektive auf Konflikte in Sozialen Netzwerkdiensten“ von Ulrike Wagner, Niels Brüggen, Peter Gerlicher, Mareike Schemmerling im Auftrag der Bayerischen Landezentrale für neue Medien:
“ … In sozialen Netzwerkdiensten haben die befragten Jugendlichen vor allem mit ihren eigenen Freundinnen und Freunden und daneben auch mit einer Reihe weiterer Personengruppen Kontakt. Konflikte, die sie dort erleben und austragen, sind aber überwiegend Auseinandersetzungen unter Gleichaltrigen. Die mit Abstand gewichtigste Personengruppe, mit der bereits online Konflikte erlebt wurden, sind jedoch die �Freunde von Freunden‘. Zu dieser Gruppe haben die Befragten über den eigenen Freundeskreis Kontakt, sie zählen sie aber nicht zu den eigenen Freundinnen und Freunden. Während Jugendliche offline – also im direkten, nicht über Medien vermittelten Austausch – nicht unbedingt mit dieser Personengruppe, die sie teils lediglich vom Sehen kennen, kommunizieren würden, ist dies in Online-Communitys durchaus üblich. …

Differenzierte Sicht auf Konfliktformen
Die befragten Jugendlichen thematisieren eine Bandbreite an Konfliktformen, die von spaßhaften Streitigkeiten und Meinungsverschiedenheiten bis hin zu ernsthaften Streitigkeiten und aggressiven Auseinandersetzungen, die sie als selbst Mobbing bezeichnen, reichen. Der Einschätzung der Jugendlichen zufolge sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Konfliktformen offensichtlich und sie gehen selbstverständlich davon aus, dass innerhalb ihrer Peergroup diese Einschätzung geteilt wird. … ## �Spaß-Streit‘: Als �Spaß-Streit‘ bezeichnen die Befragten �scheinbare‘ Auseinandersetzungen, die in einem Sozialen Netzwerkdienst ausgetragen werden. … Schwierig wird es, wenn Äußerungen spaßhaft gemeint sind, jedoch vom Gegenüber nicht als Spaß wahrgenommen werden. …
## Meinungsverschiedenheiten: Meinungsverschiedenheiten sind für die Jugendlichen ebenso alltäglich wie spaßhafte Streitereien und sie beziehen sich dabei auf das verbale Austragen inhaltlicher Differenzen. Auch wenn derartige Diskussionen einen ernsthaften Inhalt besitzen, bedeutet dies nicht, dass sie den Schülerinnen und Schülern deswegen keinen Spaß machen. Einige Jugendliche zeigen sich geradezu diskussionsfreudig, während andere versuchen, verbale Auseinandersetzungen in Sozialen Netzwerkdiensten zu vermeiden.
## Streit: Im Gegensatz zu Meinungsverschiedenheiten betrifft ein Streit aus Sicht der Jugendlichen weniger eine inhaltliche Auseinandersetzung als vielmehr die Beziehungsebene von Konflikten. Er wird folglich als etwas Emotionales und Ernsthaftes beschrieben. Derartige Probleme bei der Gestaltung sozialer Beziehungen offenbaren Spannungen zwischen den Konfliktparteien, beispielsweise weil das Gegenüber andere Einstellungen und Werthaltungen hat. Die Jugendlichen nennen vor allem Missverständnisse, die daraus resultieren, dass die andere Konfliktpartei kritische oder spaßhaft gemeinte Äußerungen fälschlicherweise als persönlichen Angriff interpretiert oder Aussagen fehlinterpretiert, die in der Folge falsch an Dritte weitergetragen werden, als häufigste Auslöser für einen Streit in der Online-Community.
## Mobbing: (Cyber-)Mobbing wird von den Jugendlichen als Sammelbegriff für ein aggressives Konflikthandeln gebraucht, das nach dem eigenen moralischen Verständnis zu weit geht. Teilweise haben sie in ihrem schulischen Umfeld bereits von Mobbingfällen gehört oder kennen diese zumindest aus der Medienberichterstattung. Oftmals assoziieren sie mit Mobbing und der damit verbundenen systematischen Aggression gegenüber anderen dramatische Folgen wie Schulverweis, Amoklauf oder auch (aus der medialen Berichterstattung) eine verzweifelte Selbsttötung. …
Handlungsoptionen im Konfliktfall
Konflikte als Teil des Alltags Jugendlicher werden auf unterschiedliche Weise verhandelt. Die Jugendlichen formulieren vor allem ihr Bestreben, Konflikte nicht eskalieren zu lassen, sondern sie frühzeitig zu lösen. Dies umfasst einerseits Strategien, Konflikte online oder offline zu thematisieren und dadurch mit der anderen Konfliktpartei gemeinsam zu lösen, andererseits aber auch Handlungsmöglichkeiten, die eher einer Schein-Lösung gleichen. …
Jugendliche kennen aber auch vielfältige Möglichkeiten des bloßstellenden, ausgrenzenden, einschüchternden und provozierenden Handelns, um Konflikte eskalieren zu lassen. Die einzelnen Handlungsoptionen und die differenzierten Erläuterungen, wann welches Vorgehen angemessen erscheint, verdeutlichen die Komplexität der Aufgabe, vor die Jugendliche mit dem Verhandeln von Konflikten und der Ausgestaltung ihrer sozialen Beziehungen gestellt sind. …

Ob und inwieweit verschiedene konflikteskalierende Handlungen zum Tragen kommen, hängt maßgeblich von individuellen Wertvorstellungen und im sozialen Umfeld anerkannten Verhaltensweisen ab. Dabei lässt sich ein Zusammenhang zwischen den lebensweltlichen Bedingungen des Aufwachsens und bestimmten bevorzugten Handlungsweisen, die im vertrauten sozialen Umfeld etabliert sind, erkennen. Die Orientierung an sozial Anerkanntem aber auch an Peergroupspezifischem Handeln kann für die Ausgestaltung von Konflikten ebenfalls richtungsweisend sein. … Ebenso spiegelt sich durch den Bildungshintergrund geprägtes Handeln, wie subtile Provokationen in den Gruppendiskussionen durch Gymnasiastinnen und Gymnasiasten und Realschülerinnen und Realschüler, wie auch das Handeln gemäß sozial erwünschter Normen und Regeln in den Äußerungen der Befragten. …

Mit der Erweiterung ihres Kreises von Kommunikationspartnerinnen und -partnern in den (Teil-)Öffentlichkeiten der Sozialen Netzwerkdienste ist ein weiteres Potenzial zur Eskalierung von Konflikten verbunden: Streit kann den Jugendlichen zufolge mit �Freundesfreunden‘ leichter entstehen. Eine unerwünschte Öffentlichkeit kann in bestimmten Situationen auch einen Konfliktanlass darstellen oder Öffentlichkeit kann als konflikteskalierende Variable bedeutsam werden, wenn z. B. andere gezielt in einen Konflikt hineingezogen werden. So deuten die Ergebnisse auch darauf hin, dass Jugendliche die unterschiedlichen Bedeutungen von Öffentlichkeit und die Rolle weiterer potenzieller Akteurinnen und Akteure reflektieren und in ihre Handlungsoptionen und Lösungsstrategien bewusst mit einbeziehen. …

Fazit
Konflikte und das Konflikthandeln von Jugendlichen erweisen sich als zunehmend mediatisiert. Angesichts der fortschreitenden medialen Durchdringung der Lebenswelt von Jugendlichen fallen verstärkt auch Fragen der interpersonalen Kommunikation in medialen Strukturen in medienpädagogische Aufgabenfelder, auch wenn interpersonale Konflikte kein genuin medienpädagogisches Thema sind. …

Mit den Ergebnissen der vorliegenden Teilstudie können folgende Aktualisierungen und Konkretisierungen für die pädagogische Arbeit mit Jugendlichen in diesen Handlungsfeldern bestimmt werden. ## 1. Die Perspektive und die Begriffe von Jugendlichen als Grundlage für die Arbeit nutzen. Unumgänglich ist, die Perspektive von Jugendlichen, ihr Verständnis von Konflikten und von adäquaten Handlungsoptionen als Grundlage für pädagogische Arbeit zu nutzen. …
## 2. Wertorientierungen im Konflikthandeln reflektieren. In Konflikten findet auch eine Auseinandersetzung mit gesellschaftlich akzeptierten Werten und Normen statt, die teilweise in einem Spannungsfeld zur eigenen Lebenssituation und den eigenen Erfahrungen stehen. Deutlich wurde dies am Beispiel der Bewertung unterschiedlicher Gewaltformen in Konfliktsituationen. Dies bietet auch für die pädagogische Arbeit mit Jugendlichen Ansatzpunkte, Reflektionen über diese Wertorientierungen anzustoßen. Den Jugendlichen wichtige Themenbereiche sind Freundschaft und Solidarität sowie Selbstbestimmung, Autonomie und Würde.
## 3. Nicht Konflikte an sich, sondern eskalierendes Konflikthandeln problematisieren. Das Spektrum an Konflikterfahrungen mit Jugendlichen zu thematisieren, ist notwendigerweise auch mit der Haltung verbunden, Konflikte nicht grundsätzlich als etwas Problematisches anzusehen. Vielmehr ist eine Haltung hilfreich, wie sie in der Literatur zu Konfliktmediation zu finden ist. Dort werden Konflikte als Phänomene des menschlichen Zusammenlebens angesehen, „die es nicht zu vermeiden, sondern in �angemessener Art und Weise‘ auszutragen gilt“. Diese Perspektive bricht mit gängigen Vorstellungen nach dem Täter-Opfer-Schema und betont, dass die Konfliktparteien sich für angemessene Wege entscheiden sollten, einen Konflikt auszutragen. Selbstbestimmung und Autonomie, die den Jugendlichen in der Bewertung von Handlungsoptionen wichtig sind, werden mit einem solchen Verständnis explizit gefördert. … „
Die Studie ist eine Teilstudie der Untersuchung „Das Internet als Rezeptions- und Präsentationsplattform für Jugendliche“. Die Konflikt bzw. das Verhalten Jugendlicher im Hinblick auf Konflikte im social weg wurde nicht aus der Einzelperspektive, sondern als soziale Phänomene in einer Gruppenperspektive erforscht. Gruppenerhebungsverfahren sind dabei besonders geeignet, um soziale Normen und Wertvorstellungen zu eruieren, die die Interaktionen begleiten und mitbestimmen.Befragt wurden insgesamt 61 Heranwachsende im Alter von 13 bis 16 Jahren mit qualitativen Gruppenerhebungsverfahren. Diese Gesamtzahl der Befragten umfasst 30 Hauptschülerinnen und Hauptschüler mit formal niedrigerem Bildungshintergrund (15 Mädchen und 15 Jungen) und 31 Jugendliche mit formal höherem Bildungshintergrund (Realschule und Gymnasium; 11 Mädchen und 20 Jungen). Die Erhebungen wurden im Sommer 2011 in Münchner Schulklassen der achten Klassenstufe durchgeführt.

Die Untersuchung in vollem Textumfang entnehmen Sie bitte aufgeführten Links.

www.jff.de
www.jff.de/studie_online-konflikte
www.jff.de/?BEITRAG_ID=6446

Quelle: JFF – Institut für Medienpädagogik

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