Das Deutsche Kinderhilfswerk hat aus den Ergebnissen der Umfrage Handlungserfordernisse abgeleitet. Die Menschen in Deutschland erteilen Staat und Gesellschaft ganz klar den Auftrag, Kinderarmut entschiedener als bisher zu bekämpfen. Damit das gelingen kann, schlägt das Kinderhilfswerk fünf Punkte vor, die die Große Koalition beherzigen sollte, auch wenn sie im Koalitionsvertrag nicht vorkommen.
Auszüge aus den Handlungserfordernissen zur Bekämpfung von Kinderarmut in Deutschland:
… Die Bundesregierung soll dazu gemeinsam mit Ländern und Kommunen ein umfangreiches Maßnahmenpaket mit konkreten Zielvorgaben vorlegen, mit dem der Kinderarmut wirkungsvoll begegnet werden kann. Kinderarmut kann nur effizient und nachhaltig bekämpft werden, wenn alle Maßnahmen zu diesem Zweck unter einem Gesamtkonzept verknüpft und mit ausreichenden finanziellen Mitteln ausgestattet werden.
So wie die unterschiedlichen Lebenslagen ineinander greifen, muss auch die politische Strategie aufgestellt sein: Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik sind ebenso zu berücksichtigen, wie Familien- und Bildungspolitik, Gesundheits- und Sozialpolitik sowie Stadtentwicklungs- und Wohnungsbaupolitik. Wer Vollzeit arbeitet muss in der Lage sein, den Familienunterhalt aus eigener Kraft zu bestreiten. Deshalb brauchen wir armutsfeste Löhne in Deutschland. Weitere Maßnahmen sind aus Sicht des Deutschen Kinderhilfswerkes Beschäftigungsangebote für Langzeitarbeitslose, spezielle Unterstützung für Alleinerziehende sowie eine Stärkung des sozialen Wohnungsbaus. …
## Bedarfsgerechte Kindergrundsicherung einführen In Deutschland herrscht eine Diskrepanz zwischen der Leistung, die Familien für die Gesellschaft erbringen und dem, was die Gesellschaft tut, um Familien zu unterstützen. … Kindergeld und Elterngeld sind gute Instrumentarien, die die finanziellen Belastungen von Familien teilweise ausgleichen, jedoch bei Familien im Hartz IV-Bezug nicht greifen. Das Ehegattensplitting erfüllt diese Anforderungen nicht in dem Maße und sollte von daher reformiert werden. Der Kinderzuschlag ist ein wichtiger Baustein zur Bekämpfung der Kinderarmut, muss allerdings ebenfalls reformiert werden und in eine bedarfsgerechte Kindergrundsicherung münden. Diese soll den allgemeinen und individuellen Bedarfen von Kindern Rechnung tragen und den bestmöglichen Zugang zu Bildung, Freizeit und gesunder Ernährung sicherstellen. … Zudem dient die bedarfsgerechte Kindergrundsicherung der Verteilungsgerechtigkeit zugunsten von Familien mit Kindern. Die bedarfsgerechte Kindergrundsicherung sollte Familien mit Kindern zugute kommen, bei denen der Kinderfreibetrag im Einkommenssteuerrecht nicht zum Tragen kommt. So wird sichergestellt, dass Familien mit geringerem Einkommen stärker von der Kindergrundsicherung profitieren als Familien mit hohen Einkommen. Insgesamt soll durch eine bedarfsgerechte Kindergrundsicherung das derzeitige System familienunterstützender Leistungen ausgewogener gestaltet werden. …
## Mitbestimmungs- und Mitwirkungschancen schaffen Für Kinder und Jugendliche die von Armut betroffen sind, verringern sich die Möglichkeiten am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen – Existenzängste, Ausgrenzungs- und Stigmatisierungserfahrungen fördern Resignation und Rückzug und behindern eine wirksame Beteiligung. Armut ist oft auch „Partizipationsarmut“. Wichtig ist deshalb, dass Kinder und Jugendliche das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten wiedererlangen, in dem ihnen Möglichkeiten der Selbstgestaltung und des Kompetenzerwerbs geboten werden. Erst hierdurch ergeben sich Auswege aus dem Armutskreislauf.
Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, die von Armut betroffen sind, zeigt, dass viele es nicht gewohnt sind beteiligt zu werden. Kontinuität, Verlässlichkeit und Methodenkompetenz sind deshalb von noch größerer Bedeutung als bei allgemeinen Mitbestimmungs- und Mitwirkungsangeboten. Die Bereitschaft zu Beteiligung ist auch bei benachteiligten Kindern und Jugendlichen vorhanden, wenn es um konkrete greifbare Themen oder Aktionen geht, die ihre Lebenswelt betreffen. … Das Deutsche Kinderhilfswerk fordert die Schaffung gezielter Mitbestimmungs- und Mitwirkungschancen von benachteiligten Kindern und Jugendlichen sowie qualifizierte Begleitung bei ihrer Mitwirkung in Kommune, Schule und Kita durch interkulturelle, integrativ-pädagogische bzw. niederschwellige Beteiligungsangebote. …
## Bildungschancen sicherstellen Die Benachteiligung in der Bildung setzt schon im Vorschulalter ein: Kinder aus armen Familien haben häufiger Probleme beim Sprechen und Spielen. Diese Benachteiligung wird durch die Schule nicht aufgefangen, sondern häufig verstärkt. Die letzte Pisa-Studie zeigt weiterhin eine starke Abhängigkeit zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg auf. An dieser Stelle braucht es verstärkte politische Anstrengungen, allen Kindern gleiche Chancen für eine erfolgreiche Bildungslaufbahn zu ermöglichen. … Deshalb gilt es, sich gezielt um Kinder aus benachteiligten Familien zu kümmern, denen ihre Eltern nicht die gleichen Startbedingungen und damit Chancen auf Teilhabe bieten können. Zielstellung muss sein, das System der frühen sozialen Auslese zu überwinden und stattdessen ein durchlässiges und sozial gerechtes Schulsystem zu schaffen. … Für diesen Ansatz individueller Förderung braucht Schule mehr Zeit. Daher ist ein Schulsystem anzustreben, in dem Kinder und Jugendliche länger gemeinsam lernen. Sowohl das Modell der Ganztags- als auch das der Gemeinschaftsschule bieten hierfür neben den flexiblen Unterrichtszeiten ebenso Zeiten des sozialen Lernens und Erfahrens. Ganztagsschulen sind entsprechend flächendeckend auszubauen und gleichzeitig Lernmittelfreiheit einzuführen. Das alles kostet natürlich Geld. Deshalb sollte endlich Schluss sein mit dem Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern in der Schulpolitik. …
## Betreuungsqualitäten steigern Bessere Bildung und mehr Bildungsgerechtigkeit sind heute entscheidende Entwicklungsfaktoren unserer Gesellschaft. … Nach Ansicht des Deutschen Kinderhilfswerkes muss bereits im Bereich der frühkindlichen Bildung ein wesentlicher Fokus liegen. Hier fordert das Deutsche Kinderhilfswerk von Bund, Ländern und Kommunen ein Investitionsprogramm in Höhe von 50 Milliarden Euro für die nächsten zehn Jahre. Die öffentlichen Ausgaben für die Angebote der Kindertagesbetreuung sollten um mindestens ein Drittel gesteigert werden. … Langfristig brauchen wir eine vollständige staatliche Ausfinanzierung von Betreuungsangeboten vom vollendeten ersten Lebensjahr bis zum Beginn der Schule. Die Investitionen von Bund, Ländern und Kommunen führen dabei zwar kurzfristig zu deutlich höheren Ausgaben, können aber langfristig durch zu erwartende Einsparungen im schulischen und nachschulischen Bereich sowie höhere Steuereinnahmen, beispielsweise durch eine steigende Frauenerwerbstätigkeit, voll kompensiert werden. “
www.dkhw.de
www.facebook.com/dkhw.de
Quelle: Deutsches Kinderhilfswerk