Kinderarmut und Familienpolitik in Deutschland

Deutschland gehört unzweifelhaft zu den reichsten Ländern der Welt. Ungeachtet dessen gibt es hier gegenwärtig rund 2,5 Millionen Kinder und Jugendliche, die in Armutslagen aufwachsen. Bei der Darstellung von Armut reicht es jedoch nicht aus, nur die ökonomische Situation der Betroffenen zu betrachten. Um die Lebenswirklichkeit von Kindern und Jugendlichen hinreichend abbilden und gezielte Gegenmaßnahmen ergreifen zu können, müssen nach Ansicht der AGJ weitere Armutsdimensionen und Handlungsfelder in den Blick genommen werden. Hierfür wäre es auch hilfreich im Rahmen der Armuts- und Reichtumsberichterstattung unter Einbezug des zuständigen Beraterkreises und des Wissenschaftlichen Gutachterkreises umfassendere Indikatoren für die Beschreibung von Armutsdimensionen zu entwickeln.

Für die AGJ müssen das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen sowie die Verwirklichung ihrer Rechte Richtschnur des politischen Handelns in Bund, Ländern und Kommunen sein. Das bedeutet im Kern auch, die Armut von Kindern und Jugendlichen in allen Dimensionen zu erfassen und wirksam zu bekämpfen und dafür Sorge zu tragen, dass Kindern und Jugendlichen Verwirklichungschancen geboten werden, damit sie zu selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Menschen heranzuwachsen können.

Um diesem Anspruch Rechnung zu tragen, braucht es nach Ansicht der AGJ eine familienpolitische Gesamtstrategie, die als Querschnittsaufgabe konzipiert ist und alle gesellschaftlichen Akteure und Ebenen einbezieht.

Die Empfehlungen der AGJ bieten eine Grundlage für die Ausgestaltung einer solchen Gesamtstrategie: ## Monetäre Förderung: Kinderzuschlag und Wohngeld
(…) Um das Ziel des Kinderzuschlags zu erreichen, ist aus Sicht der AGJ eine Qualifizierung des Kinderzuschlags notwendig. Diese sollte u. a. aus einer Streichung der Höchsteinkommensgrenze sowie der Einführung eines Mehrbedarfszuschlags für Alleinerziehende bestehen. Zudem sollte über eine Anhebung der Leistung sowie eine Altersstaffelung nachgedacht werden. Das Wohngeld sollte neben der Heizkostenkomponente auch eine Komponente für die sonstige Haushaltsenergie einschließlich der Stromkosten enthalten und in einem Zweijahresrhythmus angepasst werden. Nach Ansicht der AGJ bietet ein reformierter Kinderzuschlag in der Kombination mit Kindergeld und Wohngeld die Möglichkeit für einen Einstieg in eine bedarfsabhängige existenzsichernde Kindergrundsicherung.

##Monetäre Förderung: Unterhaltsvorschuss
(…) Angesichts des bestehenden Armutsrisikos gerade von Alleinerziehenden ist es für die AGJ unverständlich, dass die notwendigen Anpassungen beim UVG nach wie vor nicht erfolgt sind. Die AGJ spricht sich daher für eine deutliche Anhebung der maximalen Dauer des Leistungsbezuges sowie der Altersgrenze über die bestehenden 72 Monate bzw. das 12. Lebensjahr aus.

##Monetäre Förderung: Kindergeld und Kinderfreibetrag
(…) Nach Ansicht der AGJ muss das Kindergeld so ausgestaltet werden, dass es Eltern mit geringem oder keinem Einkommen besser fördert als bisher. Hierzu sind auch die verschiedenen Anrechnungspraxen, etwa beim Unterhaltsvorschuss oder bei SGB II und SGB XII Leistungsempfängern einer kritischen Überprüfung zu unterziehen.

##Bildung und Infrastrukturangebote
(…) Nach Ansicht der AGJ ist Familienpolitik aufgefordert, dazu beizutragen, für alle Kinder und Jugendlichen gleiche Bildungschancen herzustellen und damit Armutslagen nachhaltig entgegenzuwirken. Hierzu ist eine systematische und kontinuierliche Zusammenarbeit mit dem formalen Bildungsbereich notwendig, um zu einer stärkeren Einbeziehung und Verzahnung formaler und non-formaler Bildungsangebote für Kinder und Jugendliche und deren Familien beizutragen. Die Angebote der Kindertagesbetreuung gilt es weiterhin bedarfsgerecht auszubauen sowie die Qualität der Angebote zu verbessern und zu sichern, so dass alle Kinder bereits von Anfang an gleiche Chancen für ihre (Selbst-)Bildungsprozesse erhalten.

##Sozialraum und Wohnen
(…) Die sozialräumlichen Entwicklungen stellen die zuständigen Akteure auf den verschiedenen föderalen Ebenen vor die Aufgabe, gleichermaßen zukunftsfähige wie auch integrative Strategien zu konzipieren, um den sozialen Verwerfungen und der Kinderarmut entgegenzuwirken. Aus Sicht der AGJ sollten sich Strukturpolitik, Konzepte und Maßnahmen dabei jedoch nicht allein auf die Arbeitsmarkt- und Wohnraumpolitik beschränken. Erforderlich ist zugleich eine armutspräventiv angelegte Familien- und Bildungspolitik im Sozialraum, die der Mehrdimensionalität von Armutslagen Rechnung trägt. Gerade Kindern in Unterversorgungslagen sollte von Anfang an der Zugang zu kulturellen Ressourcen in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld eröffnet werden. Die familien- und kindbezogenen Angebote in den benachteiligten Quartieren sind so zu gestalten, dass sie gesundheitsund resilienzförderlich sind. Hierbei sollte den vielfältigen Gesichtern der lokalen Armut durch die Entwicklung passgenauer Angebote Rechnung getragen werden. Notwendig ist es darüber hinaus, die präventiven Ansätze in ein dauerhaftes Monitoring, in Verbindung mit einer strukturierten Jugendhilfeplanung, einzubinden, das Entwicklungen kleinräumig, problemorientiert und frühzeitig erkennt und den beteiligten Akteuren auf diese Weise differenzierte Steuerungsmöglichkeiten eröffnet.

##Gesundheit und Sicherheit
(…) Nach Ansicht der AGJ ergeben sich dringende Anforderungen an die Gesundheitspolitik, möglichst früh in Prävention und Gesundheitsförderung von Kindern und Jugendlichen, die aus sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen kommen, zu investieren und damit gezielt zu einem Ausgleich der Gesundheitschancen beizutragen. Allerdings gilt auch hier, dass die Gewährleistung gesundheitlicher Chancengleichheit nach Ansicht der AGJ nicht allein die Aufgabe der Gesundheitspolitik ist, sondern Gegenstand einer familienpolitischen Gesamtstrategie zur Bekämpfung von Armut von Kindern und Jugendlichen und deren Familien sein muss. (…)

##Umwelt- und Freizeitbedingungen
(…) Aus Sicht der AGJ müssen Kommunen stärker finanziell dabei unterstützt werden, ihren Gestaltungsspielraum im Sinne von Kindern und Jugendlichen mehr zu nutzen und die Infrastruktur im Interesse von Kindern und Jugendlichen auszubauen. Dabei ist es empfehlenswert, Kinder und Jugendliche in die Entscheidungsfindung mit einzubeziehen. Die Leitlinien des Vereins „Kinderfreundliche Kommune“ können als Orientierung dienen. Die Mobilität von Kindern und Jugendlichen sollte gefördert werden, damit sie die Möglichkeit bekommen, Freizeit- und Erholungsangebote wahrzunehmen und ihren Sozialraum aktiv erleben und mitgestalten können. Dazu gehört neben einer Subventionierung der Benutzung des öffentlichen Nahverkehrs auch die Bereitstellung sicherer und beleuchteter Fuß- und Radwege. Offene Kinder- und Jugendarbeit und andere non-formale Bildungsangebote schaffen weitere offene Räume und Freizeitangebote, die auf Teilhabe und bürgerschaftliches Engagement ausgerichtet sind und zum Ausprobieren verschiedener Rollen außerhalb der Familie einladen. Auch Kinder- und Jugendverbände sind solche Räume, die Mitbestimmungserfahrungen ermöglichen. Sie bedürfen einer strukturellen Absicherung auf kommunaler, Landes- und Bundesebene. (…)“Das Diskussionspapier in vollem Textumfang entnehmen Sie bitte dem Anhang.

Link: www.agj.de

Quelle: AGJ

Dokumente: Diskussionpapier_Kinderarmut.pdf

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