Bisher fehlen in Deutschland detaillierte Daten zu Diskriminierungserfahrungen. Die Beschwerden, die der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) gemeldet werden, sowie Gerichtsurteile geben nur einen unzureichenden Einblick. Das liegt vor allem daran, dass Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind, diese häufig nicht melden. Auch bisherige Umfragen weisen Lücken auf. Dabei sind Erfahrungen mit Diskriminierung in Deutschland weit verbreitet. Eine neue Studie der Antidiskriminierungsstelle gibt Aufschluss über die Häufigkeit von Diskriminierung und darüber, im Zusammenhang mit welchen Merkmalen sie vorkommt.
Fast die Hälfte der ermittelten Fälle von Diskriminierung wurden beim Zugang zu Beschäftigung oder am Arbeitsplatz erlebt
Am häufigsten wurde in einer repräsentativen Befragung von Diskriminierung aufgrund des Alters berichtet. 14,8 Prozent fühlten sich davon in den vergangenen zwei Jahren betroffen. An zweiter Stelle stand Diskriminierung aufgrund des Geschlechts (9,2 Prozent). 8,8 Prozent erlebten Benachteiligung wegen ihrer Religion oder Weltanschauung, 8,4 Prozent aufgrund der ethnischen Herkunft. Wenn auch die vom Gesetz nicht geschützten Merkmale, etwa die „soziale Herkunft“, der Familienstand oder das Aussehen, hinzugezählt werden, berichten 35,6 Prozent von Diskriminierungserfahrungen. Diskriminierung kommt in allen Lebensbereichen vor, besonders häufig jedoch beim Zugang zu Beschäftigung und am Arbeitsplatz. Von Benachteiligungen in diesem Bereich berichteten fast die Hälfte (48,9 Prozent) der Menschen, die in den vergangenen zwei Jahren Diskriminierung erlebt haben.
Auszüge aus den Ergebnissen der Umfrage „Diskriminierungserfahrungen in Deutschland“ im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes:
„Wer erfährt Diskriminierung? (…)
Insgesamt geben 31,4 Prozent an, dass sie in diesem Zeitraum aufgrund eines oder mehrerer der im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geschützten Merkmale diskriminiert wurden (…). Berücksichtigt man auch Diskriminierung aufgrund anderer, gesetzlich nicht geschützter Merkmale, wie zum Beispiel der sozioökonomischen Lage, so steigt der Anteil der Personen mit Diskriminierungserfahrungen auf 35,6 Prozent. Rund ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland hat also in den letzten 24 Monaten nach eigener Wahrnehmung Diskriminierung erlebt. (…)
Dabei sind Diskriminierungen aufgrund des Lebensalters in Deutschland am weitesten verbreitet. 14,8 Prozent geben an, in den letzten 24 Monaten wegen ihres Alters diskriminiert worden zu sein. Dabei können Diskriminierungen sowohl aufgrund der Einstufung als zu jung als auch der Einstufung als zu alt stattfinden. So haben 5,8 Prozent der Befragten angegeben, in den letzten 24 Monaten aufgrund eines zu jungen Alters diskriminiert worden zu sein und 9,9 Prozent aufgrund eines zu hohen Alters (…)
Jeweils knapp ein Zehntel der Befragten hat sich aus einem der anderen Schutzgründe des AGG diskriminiert gefühlt, also aufgrund des Geschlechts bzw. der Geschlechtsidentität (9,2 Prozent), wegen der Religion oder Weltanschauung (8,8 Prozent), aus rassistischen Gründen bzw. wegen der ethnischen Herkunft (8,4 Prozent) oder wegen einer Behinderung bzw. Beeinträchtigung (7,9 Prozent). Deutlich geringer ist der Anteil derjenigen, die aufgrund der sexuellen Orientierung Diskriminierung erfahren haben: Er liegt bei 2,4 Prozent. (…)
In der Repräsentativbefragung wurde auch nach Diskriminierungserfahrungen aufgrund der sozioökonomischen Lage gefragt. Dabei handelt es sich sowohl um Diskriminierungen, die wegen eines niedrigen Bildungsstands erfolgen, als auch wegen eines geringen Einkommens. Insgesamt geben 10,1 Prozent aller Befragten an, eine solche Diskriminierung in den letzten 24 Monaten erlebt zu haben. Damit finden Diskriminierungen aufgrund der sozioökonomischen Lage nach Ungleichbehandlung aufgrund des Lebensalters am zweithäufigsten statt. (…)
8,2 Prozent der Befragten berichten zudem, wegen eines anderen Merkmals als den im AGG aufgeführten Schutzgründen oder der sozioökonomischen Lage diskriminiert worden zu sein. Darunter finden sich zum Beispiel Diskriminierungserfahrungen aufgrund der familiären Situation. (…) Zum anderen werden viele Diskriminierungen beschrieben, die sich auf das äußere Erscheinungsbild beziehen, etwa das Gewicht, die Körpergröße oder Tätowierungen. (…)
Wo wird Diskriminierung erfahren? (…)
Im Arbeitsleben ist das Diskriminierungsrisiko am höchsten (…): Fast jede_r Zweite mit Diskriminierungserfahrung (48,9 Prozent) gibt an, in diesem Bereich in den letzten 24 Monaten nach eigener Wahrnehmung häufig, gelegentlich oder zumindest selten Diskriminierung erlebt zu haben. Viele Personen geben zudem an, in der Öffentlichkeit oder Freizeit (40,7 Prozent) oder im Bereich Geschäfte und Dienstleistungen (32,8 Prozent) Diskriminierungen erfahren zu haben. (…)
Bei der Interpretation der Häufigkeiten, mit der bestimmte Lebensbereiche als Ort der Diskriminierungserfahrungen angegeben wurden, muss bedacht werden, dass die Teilnehmenden nach Diskriminierungserfahrungen in den beiden zurückliegenden Jahren befragt wurden. In dieser Zeit sind sie unterschiedlich häufig mit den einzelnen Lebensbereichen in Berührung gekommen. So ist beispielsweise der Wohnungsmarkt ein Lebensbereich, der für viele Befragte nicht notwendigerweise in den letzten 24 Monaten relevant war. Der Anteil von 18,6 Prozent aller Personen, die dort von Diskriminierungserfahrungen in den letzten 24 Monaten berichten, ist daher sogar sehr hoch. Ähnliches gilt auch für den Bildungsbereich (23,7 Prozent), da sich ein Großteil der befragten Personen in den letzten 24 Monaten nicht in Ausbildung befunden hat. (…)
Was passiert nach der Diskriminierung? (…)
Nachdem eine Diskriminierung stattgefunden hat, haben die Betroffenen verschiedene Möglichkeiten, damit umzugehen. Knapp sechs von zehn (59,6 Prozent) gaben an, in irgendeiner Weise auf die Benachteiligung reagiert zu haben, wobei die Handlungsstrategien unterschiedlich ausfallen können (…). Vergleichsweise viele Betroffene (27,4 Prozent) versuchen beispielsweise, auf die Diskriminierung aufmerksam zu machen. Jede_r sechste Betroffene (17,1 Prozent) gibt an, sich bei einer offiziellen Stelle beschwert zu haben. Beratungsangebote haben 13,6 Prozent genutzt und 6,2 Prozent der Personen mit Diskriminierungserfahrung haben Klage eingereicht. Etwa jede_r Siebte (14,6 Prozent) berichtet davon, in Folge der Diskriminierungserfahrung Hilfe in Anspruch genommen zu haben, wobei an dieser Stelle offen bleiben muss, um welche konkreten Hilfsangebote es sich im Einzelfall handelte. (…)
Rund ein Fünftel (21,5 Prozent) der Personen mit Diskriminierungserfahrungen hat zudem angegeben, auf andere Weise aktiv geworden zu sein. Darunter finden sich zum Beispiel Betroffene, die das Gespräch mit der Person gesucht haben, von der die Diskriminierung ausging oder die mit Familienangehörigen oder Freunden über die Erfahrung beraten haben.
Viele der Betroffenen haben aber in Folge von Diskriminierungserfahrungen noch keine der vorgegebenen Handlungsmöglichkeiten ergriffen. Die Repräsentativbefragung zeigt, dass dies auf 40,4 Prozent aller Personen, die in den letzten 24 Monaten Diskriminierung erlebt haben, zutrifft. (…)“
Zweiteiliges Verfahren, um an belastbare Erhebungswerte zu kommen
Die vorliegenden Ergebnisse beruhen auf zwei unterschiedlichen Erhebungen. In Zusammenarbeit mit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) entwickelte das Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) einen Fragebogen zur Erfassung von Diskriminierungserfahrungen. Dieser konnte entweder online oder auf Papier ausgefüllt werden. Da aber die Ergebnisse dieser Betroffenenbefragung nicht ohne weiteres auf die Gesamtheit der Menschen in Deutschland übertragen werden können, wurde das SOKO Institut für Sozialforschung und Kommunikation mit einer bundesweiten telefonischen Befragung von rund 1.000 Personen beauftragt.
Insgesamt haben 18.162 Menschen ab 14 Jahren in ganz Deutschland den Fragebogen ausgefüllt, von diesen haben 12.698 eigene Diskriminierungserfahrungen geschildert. Da jede Person bis zu zwei Erfahrungen ausführlich berichten konnte, ist so eine Sammlung von 16.918 ganz individuellen Diskriminierungserfahrungen entstanden.
Bei der telefonischen Befragung handelt es sich um eine bevölkerungsrepräsentative Erhebung. Die Auswahl der Befragten basierte auf einer Zufallsstichprobe. Zudem wurden die Daten gewichtet. Somit können die Ergebnisse unter Beachtung der für Stichprobenerhebungen üblichen Fehlertoleranzen auf die Bevölkerung in Deutschland verallgemeinert werden.
Quelle: Antidiskirminierungsstelle des Bundes