Vorzeitige Vertragslösungen in der dualen Berufsausbildung

Auszüge aus dem Wissenschaftlichen Diskussionspapier des BIBB zu vorzeitigen Vertragslösungen in der dualen Berufsbildung von Alexandra Uhlig:
Klare Begriffsabgrenzung erforderlich
Die Begriffe „vorzeitige Vertragslösungen“ und „Ausbildungsabbruch“ werden häufig synonym verwendet. Dies ist eine inadäquate Begriffsverwendung, da sie nicht zwischen Vertragslösungen, die mit einem Ausscheiden aus der dualen Berufsausbildung, und solchen, die mit Vertragswechsel innerhalb des dualen Systems einhergehen, unterscheidet (siehe 2.1 und 2.2). Zudem geht nicht jeder Abbruch mit einer Vertragslösung einher. Ausbildungsverträge sind befristete Verträge und müssen im Falle des Nicht-Bestehens einer Abschlussprüfung nicht verlängert werden. Abbrüche können auch dann erfolgen, wenn keine Abschlussprüfung erfolgreich bestanden wird. Beide Phänomene haben unterschiedliche Konsequenzen für das duale System, die Ausbildungsbetriebe und die Jugendlichen. (…)

Was sind die Ursachen für vorzeitige Vertragslösungen und Ausbildungsabbrüche?
Diese Frage wird auch heute noch vor allem mit Fokus auf die Auszubildenden diskutiert, obwohl eine Öffnung hin zu Fragen der Ausbildungsqualität zu beobachten ist. Vor dem Hintergrund der Datenlage und der Heterogenität der Phänomene, die sich hinter vorzeitigen Vertragslösungen in der dualen Berufsausbildung verbergen, ist diese Frage nicht einfach zu beantworten; die Ursachen sind vielfältig und komplex. (…)

Unterschiede im Lösungsrisiko zwischen den Berufen bestehen auch unabhängig vom Schulabschluss der Auszubildenden. Das Vertragslösungsrisiko variiert deutlich mit dem höchsten allgemeinbildenden Schulabschluss, was jedoch nicht bedeutet, dass die Leistungsfähigkeit der Auszubildenden die alleinige oder vorherrschende Ursache ist. Jugendliche mit geringeren Schulabschlüssen findet man auch in bestimmten Berufen und bestimmten Betrieben mit höherem Vertragslösungsrisiko. Sie können auch weniger wahrscheinlich einen Ausbildungsplatz in ihrem Wunschberuf realisieren und das Risiko, dass eine Ausbildung ohne Abschluss beendet wird, ist deutlich höher, wenn Auszubildende keinen Ausbildungsvertrag im Wunschberuf realisieren konnten; insbesondere wenn aufgrund der Marktlage noch ein Vertrag in einem eher präferierten Beruf realisiert werden kann. Zudem lässt sich feststellen, dass die betrieblichen Ausbildungsbedingungen in den verschiedenen Berufen (wie geringere betriebliche Ausbildungsinvestitionen) zu einem signifikant höheren Vertragslösungsrisiko führen.

Das vorherrschende Bild über Jugendliche als „die Ausbildungsabbrecher“, denen es an Ausbildungsreife und/oder Durchhaltevermögen mangelt, ist eine einseitige und verengte Sicht auf die komplexen und vielfältigen Phänomene, die hinter den vorzeitigen Vertragslösungen stehen. Nicht jede vorzeitige Lösung eines Ausbildungsvertrags ist als ein Scheitern der Auszubildenden oder überhaupt als Scheitern zu betrachten.

Befunde auf Basis der Berufsbildungsstatistik
Der Anteil vorzeitig gelöster Ausbildungsverträge liegt nach einem sehr starken Anstieg im Verlauf der 1980er-Jahre seit Beginn der 1990er-Jahre bei 20 bis 25 Prozent aller begonnenen Ausbildungsverträge und schwankt im Zeitverlauf deutlich mit der Ausbildungsmarktlage. (…) Die Abbruchquote – die allerdings nur grob kalkuliert werden kann – liegt mit ca. 16 Prozent für das Berichtsjahr 2012 (17% für 2013) deutlich darunter.
Die Vertragslösungsquote variiert deutlich nach Regionen, Merkmalen der Auszubildenden und nach Berufen. Sehr hohe Vertragslösungsquoten zeigen sich insbesondere in Ostdeutschland, bei Auszubildenden mit maximal Hauptschulabschluss und in Dienstleistungsberufen aus dem Hotel- und Gaststättengewerbe sowie bei Dienstleistungsberufen der Tätigkeitsbereiche Körperpflege, Transport und Reinigung; auch bei einigen Bauberufen und Lebensmittelberufen des Handwerks liegen sehr hohe Lösungsquoten vor. Sehr niedrige Lösungsquoten zeigen sich in den Ausbildungsberufen des öffentlichen Dienstes, in kaufmännischen Dienstleistungsberufen, wie Bankkaufleuten/Medienkaufleuten und in den technischen Ausbildungsberufen der Industrie. (…)

Betrachtet man nicht nur das Ausmaß von Vertragslösungen, sondern deren Auftreten im Zeitverlauf der Ausbildung, wird deutlich, dass fast zwei Drittel aller Lösungen innerhalb der ersten zwölf Monate nach Vertragsbeginn erfolgen, und gut ein Drittel bereits innerhalb von vier Monaten (Probezeit). Nach 2005 hat insbesondere der Anteil der Probezeitlösungen an allen Vertragslösungen stetig zugenommen. In das zweite Jahr nach Ausbildungsbeginn fallen weitere 25 Prozent der Vertragslösungen. Danach werden nur noch wenige Verträge vorzeitig gelöst. (…)

Für diejenigen mit vorzeitiger Vertragslösung bleibt der weitere Ausbildungsverlauf zwar unbekannt, allerdings kann man Fragestellungen des weiteren Verlaufs nach einer Vertragslösung für solche Auszubildenden betrachten, die nach einer Vertragslösung (eines irgendwann zuvor begonnenen Vertrages) im Jahr 2008 erneut einen Ausbildungsvertrag abgeschlossen haben. Von diesen Auszubildenden erfahren 30 Prozent wiederum eine Vertragslösung. Von denjenigen ohne weitere Vertragslösung hatten bis zum 31.12.2012 98 Prozent die Abschlussprüfung bestanden. (…) Dieses Ergebnis zeigt, dass Erfolgsquoten, die ausschließlich auf Basis eines (des ersten) Vertragsverhältnisses ermittelt werden – wie dies im nationalen Bildungsbericht 2014 erfolgt – den Ausbildungserfolg im dualen System erheblich unterschätzen. (…)

Welche Maßnahmen sind erforderlich?
(…) Allein auf Basis der Analysen der Berufsbildungsstatistik kann man erforderliche Maßnahmen nicht eindeutig ableiten. Die Befunde auf Basis der Statistik sowie der vorliegenden Studien machen aber deutlich, dass erfolgreiche Maßnahmen auch bei den Betrieben, der Ausbildungsqualität und dem Umgang mit Konflikten ansetzen sollten. Unterstützungsleistungen, die auch bei den Betrieben ansetzen, sollten ausgebaut werden; erfolgreiche Praxismodelle sind hierbei die assistierte Ausbildung in Baden-Württemberg, der Hamburger Mediationsservice Ausbildung oder „Qualifizierte berufspädagogische Ausbildungsbegleitung in Berufsschule und Betrieb“ (QuABB) in Hessen. (…) Für die betriebliche Ausbildungspraxis erscheint insbesondere von Bedeutung, dass Jugendliche zu Ausbildungsbeginn systematisch in den Betrieb aufgenommen sowie Strukturen, Anforderungen und Abläufe erklärt werden. Auszubildende erwarten Rückmeldung über die erbrachten Leistungen und ihr Verhalten. Insgesamt ist insbesondere in der Probezeit eine intensive Kommunikation erforderlich. (…)“

www.bibb.de

Quelle: BIBB

Dokumente: Vorzeitige_Vertragsloesungen_und_Ausbildungsverlauf.pdf

Ähnliche Artikel

Cover des Kinder- und Jugendhilfereports

Kinder- und Jugendhilfereport 2024 erschienen

Der „Kinder- und Jugendhilfereport“ (KJH-Report) bündelt wichtige statistischen Daten zur gesamten Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland und verdichtet sie zu Kennzahlen. Basierend darauf liefert der

Skip to content