Weltweit sind rund 51 Millionen Menschen auf der Flucht. In Deutschland werden im Jahr 2015 400.000 Erstanträge auf Asyl erwartet. Die Hälfte der Asylerstantragsteller in Deutschland in den vergangenen Jahren kommt aus von Krieg und Verfolgung stark betroffenen Ländern, die zweite große Gruppe bilden Menschen aus den Westbalkanstaaten. Ein Drittel der Asylerstantragsteller sind Frauen, ebenfalls ein Drittel unter 18 Jahre. Die Arbeitsmarktintegration dieser Menschen verläuft häufig schwierig. Obwohl auch viele Asylbewerber hohe Bildungsabschlüsse besitzen, ist der Anteil ohne abgeschlossene Berufsausbildung sehr hoch. Langfristig liegt der Erwerbstätigenanteil bei rund 55 Prozent, kurzfristig sehr viel niedriger. Die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen und Asylbewerbern könnte durch eine breitere Sprachförderung, die Förderung der Qualifikationsfeststellung und durch den Erwerb von Bildungs- und Ausbildungsabschlüssen in Deutschland verbessert werden. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat in einem aktuellen Bereich die Problematik der Fluchtmigration beschrieben und Handlungsoptionen für eine besser Arbeitsmarktintegration formuliert.
Das Grundrecht auf Asyl ist eine Frage der Humanität und wirkt sich gleichzeitig auf Arbeitsmarkt und Sozialstaat aus
Ziel der Asyl- und Flüchtlingspolitik ist die Gewährung von Schutz vor politischer Verfolgung und gewaltsamen Konflikten. Die Mitgliedsstaaten der EU haben sich mit der Unterzeichnung der Genfer Flüchtlingskonvention auf gemeinsame Werte verständigt, Deutschland hat im Grundgesetz das Recht auf Asyl zu einem Grundrecht erhoben. Die Asyl- und Flüchtlingspolitik folgt also humanitären Motiven, nicht primär wirtschaftlichen oder anderen Nützlichkeitserwägungen. Sie hat aber auch Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und den Sozialstaat. Nachfolgend vorgeschlagene Handlungsoptionen sollen dazu dienen, Lösungen zu finden, die die sozialen und wirtschaftlichen Kosten der Flüchtlingsmigration sowohl für die Asylbewerber und Flüchtlinge als auch für den Staat und die Bevölkerung in den Zielländern senken.
Auszüge aus den Handlungsoptionen des IAB-Berichts „Asyl- und Flüchtlingsmigration in die EU und nach Deutschland“ von Herbert Brücker, Andreas Hauptmann und Parvati Trübswetter:
„(…) Entlastung des Asylverfahrens durch Arbeitsmigration
(…) Eines der zentralen Probleme für die Asyl- und Flüchtlingspolitik in Deutschland und der EU ist die starke Zuwanderung von Menschen, die nicht primär wegen Krieg oder politischer Verfolgung in die EU wandern, aber Asyl beantragen. Rund der Hälfte der Menschen in Deutschland, über deren Anträge im Asyl- und Flüchtlingsverfahren entschieden wird, wird kein Schutz gewährt. Gegenwärtig kommen die meisten dieser Menschen aus den Staaten des Westbalkans. (…) Für die Menschen sind die Aussichten auf einen langfristigen Verbleib in Deutschland gering und die Integrationschancen in den ersten Arbeitsmarkt, unabhängig von ihrer Bildung und anderen persönlichen Voraussetzungen, schlecht. (…) Es stellt sich die Frage, ob der Zuzug von Asylbewerbern und Flüchtlingen mit geringen Erfolgsaussichten ihrer Anträge nicht auch dadurch begrenzt werden kann, dass andere Zugangswege wie die Migration zu Erwerbszwecken stärker geöffnet werden. Das würde die Anreize senken, über das Asyl- und Flüchtlingsrecht einen Zugang nach Deutschland oder in andere EU-Staaten zu bekommen und die Kosten für den Staat und die (potenziellen) Asylbewerber senken. Gegenwärtig erhalten nur rund ein Zehntel der Zuwanderer aus Drittstaaten einen Aufenthaltstitel zu Erwerbszwecken. Aus arbeitsmarktpolitischer Sicht bietet es sich deshalb schon grundsätzlich an, diese Hürden zu senken. Dies könnte z.B. dadurch erreicht werden, dass Personen, die über eine abgeschlossene Berufsausbildung oder einen Hochschulabschluss verfügen und eine verbindliche Arbeitsplatzzusage vorlegen können, die einen tariflichen Mindestverdienst garantiert, ein zunächst befristetes Aufenthaltsrecht eingeräumt wird. (…)
Politikmaßnahmen in Deutschland
- Verteilung der Flüchtlinge auf die Bundesländer und Kommunen
(…) Gegenwärtig werden die Asylbewerber und Flüchtlinge nach dem Königsteiner Schlüssel unter dem Gesichtspunkt der Bevölkerungsgröße und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auf die Bundesländer verteilt, die sie wiederum auf die Kommunen verteilen. Dies geschieht in der Regel nicht nach wirtschaftlichen oder sozialen, sondern administrativen Kriterien. Dadurch werden viele Flüchtlinge und Asylbewerber zunächst auf Kommunen und Regionen verteilt, in denen ihre Chancen auf Arbeitsmarktintegration schlecht sind. Grundsätzlich wäre unter dem Gesichtspunkt der Arbeitsmarktintegration (…) die freie Wahl des Wohn- und Arbeitsorts einer administrativen Verteilung der Flüchtlinge vorzuziehen. Angesichts des häufig geringen Informationsstands kann eine Beratung sinnvoll sein. Die finanziellen Lasten müssten allerdings fair verteilt werden. Ordnungspolitisch würde sich eine Finanzierung durch den Bund anbieten. (…) - Schnellere Schaffung von Rechtssicherheit
Eines der zentralen Probleme für die Betroffenen, aber auch die Arbeitgeber, ist die geringe Rechtssicherheit während des Anerkennungsverfahrens. Auch wenn Asylbewerber und Flüchtlinge seit dem 6. November 2014 nach drei Monaten erwerbstätig sein können, wird die Erwerbstätigkeit vielfach nicht möglich sein: Für Arbeitgeber ist es häufig zu riskant, jemanden einzustellen, der kurzfristig abgeschoben werden kann. (…) Die Lösung wäre die schnelle Abwicklung der Verfahren, was angesichts der stark gestiegenen Zahl der Asylerstanträge praktisch schwer umsetzbar ist. (…) Während der Asylverfahren entsteht auch dadurch Rechtsunsicherheit, dass für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht nur die BA nach einer Vorrangprüfung, sondern auch die Ausländerämter zustimmen müssen. Dadurch ist die Entscheidung gleichermaßen von arbeitsmarkt- wie auch innenpolitischen Erwägungen abgängig, die zur Rechtsunsicherheit für die Betroffenen, die Unternehmen und die Arbeitsvermittler beiträgt. Wünschenswert wäre eine gesetzliche Regelung, die klärt, unter welchen Bedingungen einer Erwerbstätigkeit nachgegangen werden kann.
Arbeitsmarkt- und Teilhabepolitik
- Verbindliche Sprachförderung
(…) Insbesondere bei den Asylbewerbern aus den von Krieg und politischer Verfolgung betroffenen Ländern, also denjenigen mit einer hohen Bleibewahrscheinlichkeit, sind die sprachlichen Voraussetzungen besonders schlecht. Nach dem geltenden Recht ist eine verpflichtende Teilnahme an den Integrationskursen und den damit verbundenen Sprachkursen erst nach der Anerkennung als Asylberechtigter oder anderer Schutzbedürftiger möglich.21 Grundsätzlich ist eine verbindliche und bedarfsorientierte Sprach- und Integrationsförderung von Asylbewerbern und Flüchtlingen unmittelbar nach der Einreise sinnvoll. - Qualifikationsfeststellung und Anerkennung beruflicher Qualifikationen
Auch wenn nur ein Teil der Asylbewerber über ein abgeschlossenes Hochschulstudium und andere berufsqualifizierende Abschlüsse verfügt, so ist die Anerkennung dieser Abschlüsse eine Schlüsselfrage für die erfolgreiche Arbeitsmarktintegration. Das gilt auch für nichtreglementierte Berufe. (…) Die Arbeitsmarktpolitik kann die Anerkennung von Abschlüssen etwa durch die Übernahme von Kosten für die Qualifikationsfeststellung und die Begleitung der Anerkennungsprozesse fördern. Angesichts der häufig fehlenden Zertifikate ist die Qualifikationsfeststellung für Asylbewerber und Flüchtlinge von besonders hoher Relevanz. - Rechtskreisübergreifende Arbeitsvermittlung und Betreuung
Arbeitsmarktpolitisch ist es sinnvoll, dass Flüchtlinge und Asylbewerber unmittelbar nach ihrem Zuzug betreut und auf die spätere Vermittlung in den Arbeitsmarkt vorbereitet werden. Angesichts der besonderen Probleme dieser Gruppe bedarf dies eines spezifischen Know-hows. Derzeit wechseln Asylbewerber und Flüchtlinge im Verlauf des Anerkennungsverfahrens nicht nur ihren rechtlichen Status, sondern auch die Leistungsträger. Um zu vermeiden, dass die Betreuungspersonen wechseln, ist die Einrichtung einer rechtskreisübergreifenden Task Force sinnvoll, der neben Angehörigen der Arbeitsagenturen und der Jobcenter auch Vertreter der Ausländerämter und kommunalen Sozialarbeiter angehören. (…) Da besonders viele Asylbewerber und Flüchtlinge deutlich unter ihrer Qualifikation beschäftigt werden, ist eine gezielte Nachbetreuung durch die BA notwendig, um die qualifikationsadäquate Beschäftigung zu fördern. - Bildung und Ausbildung fördern
Angesichts des hohen Anteils von Kindern und Jugendlichen unter den Asylbewerbern und Flüchtlingen sowie eines hohen Anteils von Personen, die zwar über eine längere Schulbildung, aber keine berufsqualifizierenden Abschlüsse verfügen, ist die Förderung von Bildung und Ausbildung von wesentlicher Bedeutung für die spätere Arbeitsmarktintegration. Dies ist zuerst eine Aufgabe für die Schulen und Hochschulen, die durch maßgeschneiderte Angebote die Integration erleichtern können. Eine Förderung des Erwerbs oder der Fertigstellung von berufsqualifizierenden Abschlüs-sen ist aber auch eine zentrale Aufgabe der Arbeitsmarktpolitik.“
Quelle: IAB