Auszüge aus dem Plädoyer für eine genderbewusste Ausbildungsförderung in Deutschland. Anforderungen an eine zukünftige Bundespolitik:
„(…) Während junge Frauen beim Erlangen der Hochschulreife und bei der Aufnahme eines Studiums noch mit mindestens 50 Prozent vertreten sind, ist ihre Beteiligung in den jeweiligen „Ausbildungsbranchen“ sehr unterschiedlich. (…) Im Gegensatz zum geringen Anteil der jungen Frauen an den betrieblichen Berufsausbildungen kehrt sich das Bild bei den schulischen Berufsausbildungen im Gesundheits-, Erziehungs- und Sozialbereich um: Hier sind Frauen mit knapp 78 Prozent an den neu aufgenommenen Berufsausbildungen besonders stark vertreten. Allerdings gibt es für diejenigen, denen der erfolgreiche Abschluss einer Berufsausbildung schwer fällt, hier kaum Unterstützungsangebote. Hinzu kommt, dass es bisher regelhaft nur in der Krankenpflege eine Ausbildungsvergütung gibt, in einigen anderen schulischen Ausbildungsberufen in diesem Segment muss sogar Schulgeld bezahlt werden.
Obwohl der Fachkräftemangel hier längst um sich gegriffen hat und wir bereits in den Dienstleistungsangeboten für kranke und ältere Menschen, für Kinder und Familien den Fachkräftemangel nachweislich spüren, sind die Ausbildungsunterstützenden Maßnahmen in den schulischen Ausbildungsverhältnissen noch nicht angekommen. Die Zuständigkeit für diese Berufsausbildungen liegt in der Regel, in unserem föderalistischen System, auf Landesebene, und da sind die üblichen bundesweiten Ausbildungsunterstützungen offensichtlich nicht gefragt.
In der Bundespolitik ist der Fokus auf die duale Ausbildung gelegt, die Allianz für Aus- und Weiterbildung und die Bundesagentur für Arbeit richten ihr Handeln allein auf die duale Ausbildung aus und begründen dies mit der fehlenden Zuständigkeit für die vollzeitschulischen Berufsausbildungen im Gesundheits-, Erziehungs- und Sozialbereich. (…)
Der erweiterte Blick auf alle Berufsausbildungen – duale und vollzeitschulische – ist in Zeiten von bestehendem und prognostiziertem Fachkräftemangel und zurückgehenden Schulabgänger-Zahlen dringend notwendig. Es würde den jungen Menschen und den Berufsfeldern gut tun und könnte den Weg frei machen für eine Gleichwertigkeit aller Berufsausbildungen – unabhängig von der Form, in der sie durchgeführt werden.
Wenn es dann noch gelänge, die vollzeitschulischen Berufsausbildungen in der Rentenversicherung so zu berücksichtigen, wie es mit betrieblichen Berufsausbildungen geschieht, könnten bestehende Benachteiligungen insbesondere von Frauen bei Gesetzen, wie der Rente mit 63 Jahren, vermieden werden. Es ist mehr als unverständlich, warum Pflegefachkräfte und Erzieher/-innen nicht im gleichen Maße ohne Abzüge nach 45 Berufsjahren die Altersrente in Anspruch nehmen können. Und last but not least sind die Verdienstmöglichkeiten in den frauendominierten Berufen im Sozial-, Gesundheits- und Erziehungsbereich oft niedriger als in der Wirtschaft. Diese Tatsache macht die Berufe vor allem für Männer unattraktiv. Denn es sind nach wie vor Frauen, die sich trotz geringer Entlohnung von dem Arbeitsfeld mit dem Anforderungsprofil hoher sozialer Kompetenzen angezogen fühlen und so der Wirtschaft als mögliche Fachkräfte im betrieblichen Alltag verloren gehen.
Es muss unser aller Anliegen sein, allen jungen Menschen eine Berufsausbildung zu ermöglichen, die ihren Fähigkeiten und Wünschen entspricht. Daher ist es unbedingt notwendig, die verschiedenen Berufsausbildungswege – dual und schulisch – für beide Geschlechter verstärkt zu öffnen. Instrumente der Ausbildungsförderung müssen für alle Berufsausbildungen – auch für die schulischen – zur Verfügung stehen. Nur so wird es gelingen, (weiblichen oder männlichen) Jugendlichen mit Unterstützungsbedarf einen erfolgreichen Berufsabschluss zu ermöglichen. (…)
Die nächste Bundesregierung braucht ein bildungspolitisches Umdenken in der Berufsausbildung – duale und vollzeitschulische Berufsausbildung verdienen die gleiche Wertschätzung.
Es braucht ebenso ein Umdenken in der Allianz für Aus- und Weiterbildung und in der Arbeit der Bundesagentur für Arbeit. Die Arbeitgeber und Schulträger im Sozial-, Gesundheits- und Erziehungsbereich sowie die Landesschulministerien müssen in die Arbeit einbezogen werden, um den vollzeitschulischen Berufsausbildungen den gleichen Stellenwert wie den betrieblichen Berufsausbildungen einzuräumen.“
Der Zwischenruf in vollem Textumfang steht im Anhang zum Download zur Verfügung.
Link: http://www.jugendsozialarbeit-paritaet.de
Link: www.paritaet.org
Quelle: Paritätischer Gesamtverband
Dokumente: Zwischenruf_Genderbewusste_Ausbildungsfoerderung_01_09_2017_.pdf