Produktionsschulen: Förderung und Kompetenzentwicklung in betriebsnahen Strukturen

Ein Integrationsansatz zwischen Schule und Arbeitswelt – Auzüge aus der Beschreibung von Martin Mertens (Bundesverband Produktionsschulen e. V.):

“ Produktionsschulen (PS) zeichnen sich durch eine besondere Lern- und Organisationskultur aus. Gerade Jugendliche, die verfestigte Verweigerungsmuster entwickelt haben, finden hier tragfähige Beziehungsangebote. Produktionsschulen verfolgen damit nicht nur besondere pädagogische Ziele, sondern sie artikulieren auch eine explizit sozialpolitische Dimension: Die Förderung von Inklusion.
Hauptziel aller Produktionsschulen ist es, jungen Menschen – und explizit denen mit großem Förderbedarf – eine reale Chance auf berufliche und soziale Integration zu eröffnen. Bildungspolitischer Hintergrund dieses Ziels ist das Erfahrungswissen um die prekäre Situation dieser Zielgruppe am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. Zur Verwirklichung dieser Idee wird die Methodik des Produktionsschulansatzes zugrunde gelegt unter der Prämisse „Bildung durch gesellschaftlich nützliche Arbeit“. Die Verrichtung produktiver Arbeit steht im didaktischen Zentrum von Produktionsschulen und soll dazu beitragen, die Jugendlichen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung positiv zu unterstützen. Darüber hinaus will Produktionsschule klassische Tugenden und demokratische Grundwerte vermitteln, um junge Menschen in die Gesellschaft zu integrieren. […]

Klare Abgrenzung vom staatlichen Schulsystem
Insgesamt liegt das Hauptaugenmerk auf der Situation der Jugendlichen. Ihre ungleich schwierigeren Chancen auf dem Arbeitsmarkt sollen verbessert werden, indem
Produktionsschulen Rahmenbedingungen schaffen, die auf ihre individuelle Lage gezielt eingehen. Hier erfolgt eine entschiedene Abgrenzung vom staatlichen Schulsystem, dem vorgeworfen wird, „Maßnahmenkarrieren“ zu unterstützen, anstatt die Chancen zur beruflichen und gesellschaftlichen Integration aufzugreifen und zu fördern. Die Verantwortung für die Ist-Situation Jugendlicher wird daher nicht nur in den biographischen Voraussetzungen der Jugendlichen gesehen, sondern auch dem staatlichen Schulsystem zugeschrieben. So ist es aus der Perspektive der Produktionsschule unangemessen, wenn von diesen Jugendlichen immer wieder erwartet wird – trotz des Wissens um ihre Anpassungsschwierigkeiten – sich dem klassischen „Rhythmus“ der Regelschulen unterzuordnen und bei Verstoß mit Sanktionen zu reagieren. […]

Imperative des Marktes als didaktisches Gestaltungsproblem
Die curriculare Gestaltung von Produktionsschulen erfolgt analog der Auftragssituation vor Ort: Produktionsschulen strukturieren ihre Lernprozesse vor dem Hintergrund realer Aufträge, die die Schulen von externen Kunden erhalten bzw. selbst akquirieren. Dieser Marktbezug öffnet die Produktionsschule in besonderer Weise gegenüber ihrem gesellschaftlichen Umfeld, erzeugt aber zugleich auch das pädagogische Gestaltungsproblem zwischen didaktischer Herausforderung und betriebswirtschaftlicher Notwendigkeit. Bei der Produktion gebrauchs- und verkaufsfähiger Gegenstände und Dienstleistungen muss einerseits die Produktionsschule pädagogisch differenzieren, indem sie am individuellen Entwicklungsstand des einzelnen Produktionsschülers ansetzt und ihn mit Arbeitsaufgaben konfrontiert, die ihn fordern und fördern. Andererseits gibt es Imperative des Marktes, Kundenwünsche, Qualitätsansprüche und Terminvorgaben, die nicht folgenlos ignoriert werden dürfen.

Das Gestaltungsproblem der anregenden Kombination von Arbeiten und Lernen wird dadurch komplexer, dass es keine festen Einstellungs- und Entlassungstermine gibt. Produktionsschüler treten zu beliebigen Terminen als Neulinge in die Produktionsschule ein und verlassen diese nach etwa einem bzw. drei bis dreieinhalb Jahren wieder. In der Regel sind sie deutlich qualifizierter und motivierter, wenn sich eine passende Ausbildungs- bzw. Arbeitsstelle gefunden hat. Fakt ist: Es existiert in Deutschland kein einheitlicher Typus von Produktionsschulen; gleichwohl gibt es zentrale Gemeinsamkeiten. So kann in Produktionsschulen die Schulpflicht der allgemein bildenden Schule bzw. der Berufsschule erfüllt werden. Produktionsschulen nehmen in einigen Bundesländern von Ausgrenzung bedrohte Schüler (Schulverweigerer) ab Klasse 8 auf, bereiten sie auf die Rückkehr in Regelschulen vor und / oder vermitteln ihnen außerhalb des Regelschulangebotes einen Schulabschluss.

Anschlussperspektiven auf dem Arbeitsmarkt
Produktionsschulen bieten auch den nicht mehr schulpflichtigen, noch nicht ausbildungsreifen“ jungen Menschen, die im ersten Arbeitsmarkt weder eine Berufsausbildung noch eine Beschäftigung finden oder eine Ausbildung abgebrochen haben, arbeitsmarktliche Anschlussperspektiven. Produktionsschulen können auch als außerbetriebliche Ausbildungsstätten und als soziale Betriebe des zweiten Arbeitsmarktes im Rahmen der Nachqualifizierung fungieren. Wir finden in deutschen Produktionsschulen Jugendliche und junge Erwachsene in einer Altersspanne von 14 – 27 Jahren. […] „

Der vollständige Aufsatz ist in der von der bag arbeit herausgegebenen Zeitschrift „forum arbeit“ (Heft 02/2014) erschienen und kann unter dem angegebenen Link kostenlos herunter geladen werden.

www.bagarbeit.de/data/forum-arbeit/fa-02-14-Produktionsschule.pdf

Quelle: Bundesarbeitsgemeinschaft Arbeit e. V. / bag arbeit

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