An- und Ungelernte zu qualifizieren, ihnen eine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu ermöglichen und gleichzeitig dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, ist eine wichtige Aufgabe nicht nur für Träger von beruflichen oder arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. Im Rahmen von Modellprojekten zur Nachqualifizierung, wie beispielsweise WeGebAU und IFLAS oder die Spätstarter-Kampagne der Bundesagentur für Arbeit, wird die abschlussorientierte modulare Nachqualifizierung erprobt. Abschlussorientierte modulare Nachqualifizierung umfasst alle Formen der Qualifizierung von (jungen) Erwachsenen, die zu einem anerkannten Berufsabschluss führen und auf vorhandene fachliche Kompetenzen und berufliche Erfahrung aufbauen. Durch die einzelnen Bausteine sind die Möglichkeiten zum Erreichen des Abschlusses und/oder der Integration in den Arbeitsmarkt flexibel. Christoph Eckhardt von qualiNETZ Beratung und Forschung stellt unterschiedliche Methoden in einem Beitrag in „forum arbeit“ vor. Dabei identifiziert er ungenutzte Chancen, beschreibt die wachsende Anforderung an das Bildungspersonal und hinterfragt die finanzielle Ausstattung.
Auszüge aus dem Beitrag von Christoph Eckhardt in „forum arbeit“ 3/15:
„Besondere Qualitätsmerkmale
Auf den Berufsabschluss zielende Nachqualifizierung zeichnet sich durch verschiedene Qualitätsmerkmale aus: Die bereits vorhandenen Berufs- und Arbeitserfahrungen werden aktiv in den Lernprozess einbezogen. Durch fachliche Kompefenzfeststellungen wird zu Beginn ermittelt, welche beruflichen Kompetenzen bereits vorhanden sind und welche Module noch absolviert werden müssen (…) Integrierte Lern- und Sprachförderung sowie arbeitsplatznahes Lernen ermöglichen auch bildungsfernen Menschen den Erfolg bei der Abschlussprüfung. Insbesondere profitieren hiervon Menschen mit mangelhaften Schulabschlüssen und geringen Deutschkenntnissen. Gemischte Lerngruppen tragen zu einer schnelleren sprachlichen und kulturellen Integration bei. Arbeitsplatznahes Lernen erleichtert das Verständnis und die Umsetzung theoretischer Inhalte. (…)
Chancen werden oft nicht genutzt
Mit diesen besonderen Qualitätsmerkmalen können auch Zielgruppen auf dem Weg zum Berufsabschluss gefördert werden, die als bildungsbenachteiligt gelten oder nicht über ausreichende Deutschkenntnisse verfügen. Allerdings gibt es in der Praxis noch viele Zugangshürden. Diejenigen, die über die Ausstellung von Bildungsgutscheinen entscheiden, tun dies noch zu oft anhand von formalen Kriterien. Ein schon Jahre zurückliegendes Schulabschlusszeugnis gilt als Indiz dafür, dass die Nachqualifizierung voraussichtlich nicht erfolgreich abgeschlossen werden könnte. Von Personen mit Zuwanderungsgeschichte wird oft mindestens das Sprachniveau B2 in Deutsch erwartet. (…)
Solche hohen Eingangshürden verkennen, dass die Zuwanderer in erster Linie an einer Berufstätigkeit interessiert sind und keine sprachwissenschaftlichen Diskurse führen wollen. Sie verkennen vor allem, dass in den letzten Jahren eine Reihe von Strategien erprobt worden sind, den Erwerb von Fachsprache als integrierten Bestandteil der Nachqualifizierung zu betreiben. (…) Das Ausbildungspersonal kann die mündliche und schriftliche Kommunikation im Beruf in einfacher Sprache, mit vielen Bildern und mit Sprachbrücken zur jeweiligen Muttersprache gestalten. Dies führt schneller zum Erfolg als die bisher oft übliche Praxis, die betreffenden Menschen immer wieder in Warteschleifen zu verweisen, wo sie Grundbildung betreiben und richtig Deutsch lernen sollen, bevor sie eine Chance auf einen Berufsabschluss bekommen. (…)
Wachsende Anforderungen an das Bildungspersonal
(…) Aber es werden auch hohe Anforderungen an das Ausbildungspersonal gestellt. Beschäftigte in der beruflichen Weiterbildung müssen in hohem Maße differenzierte und individuelle Lernprozesse strukturieren können. Sie müssen Coachingkompetenzen zur Begleitung von Lernprozessen haben und sich auch Kompetenzen zur Förderung von Fachsprache aneignen. Solche hohen Anforderungen lassen sich nur in Teams realisieren, in denen Ausbilder mit Lehrkräften und pädagogischen Fachleuten für die Lernprozessbegleitung und Sprachförderung zusammenarbeiten. Diese hohe Qualität würde sich bezahlt machen, weil dadurch die oft mehrjährigen Warte- und Lernschleifen verkürzt werden können.
Qualität hat ihren Preis
Wenn die integrierte Lern- und Sprachförderung, das Bildungs- und Kompetenzentwicklungscoaching und ein erhöhter Differenzierungsaufwand – zum Beispiel aufgrund von Anleitungsprozessen an betrieblichen Lernorten oder aufgrund hoher Anteile von Zuwanderern – in die Kalkulation aufgenommen werden, entstehen Kosten weit über dem jeweiligen Bundesdurchschnittskostensatz (nach § 180 Abs. 3 SGB 111). Leistbar ist das im Moment im Grunde nur in Projekten, die über den ESF kofinanziert werden.
Der Bundesdurchschnittskostensatz (B-DKS) ist in seiner bisherigen Form nicht auf eine Differenzierung in unterschiedlicher Durchführungsqualität ausgelegt. Wer aufgrund seiner individuellen Biografie ein Mehr an Beratungs- und Betreuungsaufwand benötigt, würde streng genommen nicht über die erforderliche Eignung zum Erreichen des Maßnahmenziels verfügen, auf der dem Bundesdurchschnittskostensatz entsprechenden niedrigeren Qualitätsstufe. (…) Mehr in abschlussorientierte Nachqualifizierung zu investieren würde den allermeisten Teilnehmenden die Chance bieten, schneller und dauerhafter in Lohn und Brot zu kommen. (…)
Früher konnten die Zertifizierungsstellen begründete Überschreitungen der Kostensätze bis zu einem Drittel zulassen. Nach der AZAV muss jede Kostensatzüberschreitung zentral bei der Bundesagentur für Arbeit beantragt werden. (…) Bisher ist nur in Ausnahmefällen bekannt geworden, dass auch Begründungen für erhöhte Kostensätze akzeptiert wurden, die sich aus den beschriebenen Qualitätsstandards der Nachqualifizierung ergeben. (…)
Verbesserung der Finanzierungsmöglichkeiten
Um Arbeitgebern die weitere Fortsetzung der Nachqualifizierung bis zum Berufsabschluss zu erleichtern, hat die Bundesagentur für Arbeit im Rahmen des WeGebAU-Programms eine progressive Staffelung des Arbeitsentgeltzuschusses bei Teilnahme an berufsanschlussfähigen Teilqualifikationen beschlossen: Bei der ersten Teilqualifikation sollen mindestens 50 Prozent Arbeitsentgeltzuschuss für die Dauer der Freistellung gewährt werden, bei der zweiten und dritten Teilqualifikation kann dann auf mindestens 60 bzw. 75 Prozent des Arbeitgeberbruttobetrages erhöht werden. Ab der vierten Teilqualifikation kann der Lohn sogar vollständig erstattet werden.
Diese Regelung gilt allerdings nur noch bis 31.12.2015 und auch nur für das SGB III. (…) Erstrebenswert wäre, Übergänge aus einer nach dem SGB II geförderten Weiterbildungsmaßnahme in ein Arbeitsverhältnis durch WeGebAU-Förderung zu erleichtern, wenn tarifliche Mindeststandards erfüllt sind. Derzeit erhält der Arbeitgeber keinen Arbeitsentgeltzuschuss nach dem WeGebAU-Programm, wenn die betreffenden Beschäftigten weiterhin (aufgrund der Familiengröße) ergänzendes Arbeitslosengeld II erhalten.
Auch eine Aufstockung des Arbeitslosengeldes II in Form eines Mehrbedarfszuschlages (…) würde erheblich dazu beitragen, die Weiterbildungsbeteiligung An- und Ungelernter zu erhöhen. Denn die oft beklagten hohen Abbruchquoten, die häufig als Argument für die Nichtbewilligung von Bildungsgutscheinen angeführt werden, haben ihre Ursachen meistens darin, dass die Betroffenen ihre Familien über so lange Zeit hinweg nicht allein vom Arbeitslosengeld II ernähren können. (…)“
Quelle: forum arbeit 3/15