Empfehlungen der EU-Kommission zur deutschen Arbeitsmarktpolitik

Der Europäische Rat hatte am 17. Juni 2010 die Strategie „Europa 2020“ für Beschäftigung und Wachstum beschlossen. Jährlich legen die EU-Mitgliedsstaaten in einem Nationalen Reformprogramm (NRP) dar, wie sie diese Europa-2020-Strategie umsetzen wollen. Dieses NRP wird im Frühjahr eines Jahres gemeinsam mit dem Stabilitäts- und Konvergenzprogrammen vorgelegt. Die EU-Kommission hat nun Empfehlungen zu Haushaltsplan und Wirtschaftspolitik 2011/2012 der Mitgliedsstaaten herausgegeben. Jedem Land wurden Maßnahmen empfohlen, die es ergreifen soll, um das Wachstum anzuregen, mehr Arbeitsplätze zu schaffen und die Kontrolle über die öffentlichen Finanzen zu behalten.

Deutsches NRP berücksichtigt einige wichtige Fragen gar nicht oder nur unzureichend

Damit hat die EU-Kommission eine Bewertung des Nationalen Reformprogramms Deutschland 2011 abgegeben. Deutschlands Bildungsziele werden als wenig ambitioniert bewertet und dem Bildungssystem Mängel bescheinigt. Das NRP mit seinen Maßnahmen trage nur teilweise dazu bei, die sozialen Unterschiede zwischen Jugendlichen oder Menschen mit Migrationshintergrund oder Behinderung abzubauen.

Auszüge aus der Bewertung der politischen Vorhaben Deutschlands aus dem Bereich der Arbeitsmarktpolitik:

„Neben den konjunkturellen Engpässen, die im Kontext des derzeitigen Aufschwungs auftreten könnten, implizieren auch die negativen Auswirkungen des demografischen Wandels, dass ein quantitativ ausreichendes und entsprechend qualifiziertes Arbeitskräfteangebot in den nächsten Jahren eine Priorität für Deutschland darstellen wird. (…) Insbesondere für Arbeitskräfte mit mittlerem und hohem Qualifikationsniveau werden jedoch Engpässe prognostiziert. Dies zeigt, wie wichtig weitere Maßnahmen sind, um das Arbeitskräftepotenzial voll ausschöpfen zu können. Erreicht werden könnte dies durch die Beseitigung von Hindernissen bei der Erwerbsbeteiligung, insbesondere für bestimmte Gruppen (ältere Arbeitnehmer, Frauen, gering qualifizierte Arbeitskräfte, Personen mit Migrationshintergrund und Langzeitarbeitslose) und die Weiterentwicklung von Humankapital. (…) Insgesamt werden im NRP einige der für den deutschen Arbeitsmarkt relevanten Fragen behandelt, andere werden jedoch nur unzureichend angeschnitten oder nicht berücksichtigt, insbesondere die Aspekte Steuer- und Abgabenbelastung, Kinderbetreuung, berufsqualifzierende Abschlüsse und Mängel im Bildungssystem. (…)

Verbesserung von Bildung und Ausbildung

Wie im NRP erläutert, müssen zur Verbesserung des gleichberechtigten Zugangs zu einem hochwertigen Bildungsangebot und Bildungs- und Ausbildungssystem zusätzliche Reformen umgesetzt werden, um sicherzustellen, dass ein angemessenes Angebot an qualifizierten Arbeitskräften vorhanden sind. (…)

Im NRP werden einige Initiativen der Länder im Primar- und Sekundarbereich genannt. Es könnten jedoch weitere Maßnahmen notwendig sein, um die ökonomischen und sozialen Auswirkungen des geringen Bildungsgrads und des höheren Risikos eines Schulabbruchs bei bestimmten gesellschaftlichen Gruppen systematisch anzugehen. Reformen zur Verbesserung der unteren Ebenen des Bidungssystems, u. a. zur Verbesserung des Zugangs zu hochwertiger Vorschulbildung und -betreuung, wirken sich auch auf die Ergebnisse im Sekundar- und Tertiärbereich und in der Berufsausbildung positiv aus. Der Anteil der Schulabbrecher und Schüler mit schwachen Leistungen könnte weiter verringert werden, z. B. durch den Ausbau der frühen Sprachförderung, bessere individuelle Betreuung für gefährdete Schüler (Beratung, Unterricht, Sozialarbeiter), den Ausbau von Ganztagsschulen und umfassende Maßnahmen zur Erleichterung des Übergangs von der Schule in den Beruf. (…)

Die Schulabbrecherquote in Deutschland liegt zwar unter dem EU-Durchschnitt, geht aber nur langsam weiter zurück. Das Risiko eines Schul- oder Ausbildungsabbruchs ist bei sozial benachteiligten Gruppen, u. a. bei jungen Menschen mit Migrationshintergrund, wesentlich höher als bei einheimischen Jugendlichen. Darüber hinaus bleibt der Bildungsgrad dieser Gruppen im Allgemeinen niedrig, wobei hier auch den traditionell kurzen Schultagen Rechnung zu tragen ist. (…)

Vor dem Hintergrund des Status quo sind Deutschlands Bildungsziele nicht sehr ambitioniert.

Wiedereingliederung von Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt

Angesichts der künftigen Entwicklung der Arbeitskräftesituation in Deutschland sind die dauerhaften Defizite bei den Arbeitsmarktergebnissen nicht tragbar. Die Arbeitslosenquote ist insbesondere unter gering qualifizierten Arbeitskräften hoch; in dieser Gruppe bleibt auch die Beteiligung am lebenslangen Lernen niedrig. Menschen mit Migrationshintergrund (rund ein Fünftel der Bevölkerung) sind aus verschiedenen Gründen – geringe Qualifikation, mangelnde Integration im Bildungssystem, Schwierigkeiten bei der Anerkennung von Berufsabschlüssen, mangelnde Sprachkenntnisse – doppelt so häufig von Arbeitslosigkeit betroffen. Angesichts des entstehenden Facharbeitermangels muss die Beteiligung von gering qualifizierten Arbeitskräften am lebenslangen Lernen gesteigert werden, u. a. durch Fortbildungen, die zu berufsqualifizierenden Abschlüssen führen, und die Steigerung des Bildungsgrads, insbesondere von Menschen mit Migrationshintergrund. Dieses Thema ist eng mit der notwendigen Verbesserung des Systems der schulischen Grundbildung verknüpft, das die sozialen Unterschiede zwischen Jugendlichen, u. a. von Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen mit Behinderungen, verstärkt. Die erläuterten Maßnahmen des NRP für den Bildungsbereich tragen teilweise dazu bei, diese Themen anzugehen.

Auch wenn die Langzeitarbeitslosigkeit in den letzten Jahren (…) gesunken ist, steht Deutschland bei der Integration einer Kerngruppe von Langzeitarbeitslosen zunehmend vor Problemen. Das Risiko des Qualifikationsverlusts aufgrund von Arbeitslosigkeit bei dieser Gruppe könnte durch zusätzliche Maßnahmen zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt gemindert werden. Im NRP wird hervorgehoben, wie wichtig die weitere Senkung der Langzeitarbeitslosenzahlen in Deutschland ist, doch das Potenzial der vorgeschlagenen Maßnahmen, stärkere Anreize zur Arbeitsaufnahme für Langzeitarbeitslose zu setzen, scheint begrenzt zu sein. Vor dem Hintergrund der beträchtlichen Einsparungen infolge der Konsolidierungsanstrengungen und des Hartz-IV-Kompromisses 2011 könnte die Entwicklung kostenwirksamer und effizienter Maßnahmen und Arbeitsvermittlungsdienste sowie ein gezielterer Einsatz der Instrumente in Abhängigkeit vom Marktbedarf in Erwägung gezogen werden.

Bekämpfung von Armut und Förderung der sozialen Integration

In den vergangenen zehn Jahren ist der Anteil der vom Armutsrisiko und sozialer Ausgrenzung betroffenen Bevölkerung auf 20% gestiegen. Im NRP werden daher zu Recht auch armutsbezogene Herausforderungen identifiziert: Langzeitarbeitslosigkeit, intergenerationale Übertragung von Armut, Altersarmut und die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund in die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt. (…) Langzeitarbeitslose stellen jedoch nur eine sehr kleine Gruppe der 16,2 Mio. Menschen in Deutschland dar, die von Armuts- oder Ausgrenzungsrisiken bedroht sind. Und obwohl immer mehr Menschen trotz Erwerbstätigkeit von Armut betroffen sind, wird dieses Thema nicht als Herausforderung eingestuft. Folgende Maßnahmen des NRP könnten zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit der von Armut und sozialer Ausgrenzung bedrohten Gruppen beitragen: (1) Steigerung der Erwerbstätigkeit von Frauen, insbesondere von Frauen mit Kindern und Alleinerziehenden; (2) Integration benachteiligter Menschen in den Arbeitsmarkt, vor allem von Langzeitarbeitslosen, Menschen mit Migrationshintergrund oder Menschen mit Behinderungen. Schließlich wird im NRP ein (quantitativ beschränktes) Maßnahmenpaket erläutert, das die schulische und kulturelle Teilhabe von Kindern aus sozial schwachen Familien verbessern soll. Die Inanspruchnahme dieses Pakets sollte überwacht werden.“

Quelle: IAB; Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie

Ähnliche Artikel

Ablehungskultur für Menschen auf der Flucht

Das europäische Parlament hat zuletzt seinen Beitrag geleistet, die Außengrenzen der Europäischen Union noch stärker als bisher abzuriegeln. In allen europäischen Nationalstaaten sind Geflüchtete nicht

Skip to content