Wie inklusive Schule gelingt: 20 Empfehlungen

Auszüge aus den Empfehlungen des Beirats „Inklusive Schule in Berlin“:
“ Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) ist eine der zentralen Herausforderungen für die Schulen nicht nur in Deutschland, sondern auch in allen 106 unterzeichnenden Staaten.

Für die Berliner Schule bedeutet dieser Umstellungsprozess eine Fortsetzung der bereits vor mehr als zwanzig Jahren eingeleiteten gemeinsamen Erziehung von behinderten und nicht behinderten Kindern. … Die Schulen müssen grundsätzlich bereit sein, alle Kinder ihrer Region aufzunehmen – gleich welcher sozialen, ethnischen, kulturellen Herkunft und ob mit oder ohne Behinderung. Ein Konzept für eine inklusive Schule muss sich längerfristig auf einen solch umfassenden Auftrag beziehen. …

Ausgangssituation
Die Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft hat als Schritt zur Realisierung der Verpflichtung von Bund und Ländern, entsprechend der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), im Januar 2011 ein Gesamtkonzept „Inklusive Schule – Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ vorgelegt. Darin wurde dargestellt, wie der Ausbau der gemeinsamen Erziehung bei Gewährleistung des Elternwahlrechts durch Umsteuerung der sonderpädagogischen Förderung und unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Ressourcen gestaltet werden kann und es wurden Vorschläge gemacht, wie eine Gegenfinanzierung für entstehende Mehrbedarfe aus systemisch bedingt freiwerdenden Ressourcen erfolgen kann.
Sowohl die Vorschläge als auch die daraus resultierenden Kostenschätzungen wurden unterschiedlich und zum Teil auch kontrovers in der Öffentlichkeit erörtert. Es war daher zielführend, in einem abgestimmten Verfahren das Konzept konstruktiv zu beraten mit dem Ziel, konsensuale Entscheidungen anzustreben. …

Dazu wurde der Beirat „Inklusive Schule in Berlin“ unter Leitung von Frau Sybille Volkholz eingerichtet. Dieser sollte auf Grundlage des Senatskonzepts unter Berücksichtigung und Würdigung der Stellungnahmen, Bedenken und Sorgen der Verbände, der Betroffenenvertretungen und Schulen eine Empfehlung erarbeiten. Dazu zählt selbstverständlich, dass in der offen angelegten Debatte das Konzept ergänzt und auch geändert werden kann. … Die Empfehlungen folgen in ihrer Struktur den zentralen thematischen Punkten, die im Beirat bearbeitet wurden.

Empfehlungen

1. Das Recht auf Inklusion. Empfehlung zur Änderung des Schulgesetzes
Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) ist seit März 2009 innerstaatliches Recht in Deutschland. Dieser rechtliche Rahmen ist auch länderspezifisch zu verankern. Entsprechend muss auch in einem Berliner Konzept für eine inklusive Schule die Umsetzung einer inklusiven Bildung und die Verwirklichung des Rechts für jede Schülerin und jeden Schüler, eine – möglichst wohnortnahe – allgemeine Regelschule besuchen zu können, im Schulgesetz verankert werden. Die bisherige Regelung sieht zwar ein Wahlrecht für Eltern vor, allerdings kann die Schule die Aufnahme ablehnen, „wenn für eine angemessene Förderung die personellen, sächlichen und organisatorischen Möglichkeiten nicht vorhanden sind“ (BerlSchG § 37.3). Für die Phase des Übergangs bis zur flächendeckenden Realisierung der Inklusion bleibt das Elternwahlrecht, wird aber stärker als Recht auf den Besuch der allgemeinbildenden Schule festgeschrieben. … Das Recht jeder Schülerin und jedes Schülers auf Inklusion ist im Berliner Schulgesetz zu verankern. Der Vorbehalt im BerlSchG § 37.3 muss daher entfallen. …

4. Schwerpunktschulen – Förderschwerpunkte Hören, Sehen, Geistige Entwicklung,Körperliche und Motorische Entwicklung und Autismus
… Schwerpunktschulen sind allgemeine Schulen aller Schulstufen und Berufsschulen, die zusätzlich zu der Ausstattung für die Förderbereiche LES Schülerinnen und Schüler mit den übrigen Förderbereichen aufnehmen und dafür eine entsprechende Konzeption und Ausstattung haben. Sie nehmen im Durchschnitt nicht mehr als drei Kinder pro Klasse mit diesen anderen, auch unterschiedlichen Förderschwerpunkten auf. Im Einzelfall, insbesondere bei gehörlosen Kindern, kann von dieser Regel abgewichen werden. Die erforderlichen räumlichen und materiellen Mindestausstattungen für die Förderung dieser Schülerinnen und Schüler müssen vorhanden sein. Dazu gehört auch ein angemessenes Ethos der Schule sowie eine personelle Ausstattung mit entsprechender sonderpädagogischer Kompetenz. … Grundsätzlich sollten weiterhin auch andere allgemeinbildende Schulen für die Kinder mit diesen Förderschwerpunkten offen, Schwerpunktschulen also keine Insellösung sein. Um einem Abdrängen in Schwerpunktschulen entgegenzuwirken, werden die ambulanten Unterstützungssysteme gestärkt. Das geschieht, indem behinderungsübergreifend Sach- und Hilfsmittelpools sowie für blinde und sehbehinderte Kinder ein Zentrum zur medialen Versorgung aufgebaut werden. …

5. Förderschwerpunkte Lernen, Emotionale und Soziale Entwicklung und Sprache (LES)

Es ist sinnvoll, für die große Gruppe der Schülerinnen und Schüler mit den Förderschwerpunkten LES Regelungen für die integrative/inklusive Förderung in den allgemeinbildenden und beruflichen Schulen zu finden – ohne dass damit inhaltliche oder zeitliche Prioritäten hinsichtlich anderer Förderschwerpunkte verbunden sein dürfen. … Eine Quotenregelung bei LES als verlässliche Grundausstattung ist grundsätzlich sinnvoll, aber es müssen hierbei individuelle Bedürfnisse und Ansprüche berücksichtigt werden. Um auch im Hinblick auf die UN-BRK die individuellen Rechte, bezogen auf die sonderpädagogischen Fördermaßnahmen und auf berechtigte Nachteilsausgleiche (u. a. beim Übergang von der Grundschule in die weiterführende Schule), auch im Bereich LES zu gewährleisten, muss es für Eltern wie auch für Schulen gegeben sein, (neben der Förderdiagnostik) eine entsprechende Feststellungsdiagnostik bei Schülern zu veranlassen. Darüber hinaus werden hiermit objektivierte Grundlagen für Nachsteuerungsprozesse bereitgestellt. Diese Option für Feststellungsverfahren soll nach einer Übergangsphase erneut geprüft werden. … Für den Inklusionsprozess muss eine längerfristige Zeitschiene festgelegt werden, nach der man zuverlässig planen kann. Fördermittel für Integration/Inklusion müssen als Grundausstattung bis 2018 gesichert werden. …

8. Qualifizierung, Weiterbildung sowie ergänzende Förderung und Betreuung
… Es wird … als unerlässlich erachtet, mehr Kolleginnen und Kollegen für die Sache der Integration/Inklusion zu gewinnen. Es müssen sowohl breitere Basisqualifikationen sichergestellt als auch mehr fachspezifische Qualifikationen vermittelt werden. Vor allem muss an Haltungen und Einstellungen aller an diesem Prozess professionell Beteiligten gearbeitet werden. Das kann auch schon mittelfristig nicht nur Sache der Fort- und Weiterbildung bleiben, sondern muss Konsequenzen vor allem für die Reform der Lehrerbildung haben. … Erfahrungen aus anderen Ländern belegen eindrücklich, dass alle am Prozess beteiligten Kolleginnen und Kollegen als Team an den Fort- und Weiterbildungen teilnehmen müssen. Das erfordert verpflichtende Module für alle. Daher sind entsprechenden Vertretungsreserven für die Schulen zu berücksichtigen. Diese Mittel müssen vorgehalten werden. …

Schlussbemerkung und Ausblick
… Für das Gelingen sind Bedingungen notwendig, die die Reformen in den Schulen Berlins befördern und als selbstverständlicher Auftrag von den Beteiligten akzeptiert werden. So ist es in der Vergangenheit häufig nicht gelungen, den notwendigen Konsens und die Bereitschaft der Beteiligten im ausreichenden Maße zu erreichen. Sei es bei der Einführung des jahrgangsübergreifenden Unterrichts wie des Vorziehens des Schuleintrittsalters wie auch der Gestaltung der Ganztagsschulen – vielfach fühlen sich vor allem Lehrkräfte überfordert, mit den zahlreichen Veränderungen so umzugehen, dass sie sich noch als gestaltende Subjekte der pädagogischen Prozesse wahrnehmen. Dies aber muss erreicht werden – sonst ist das Misslingen vorprogrammiert.

Auch in der Entwicklung der inklusiven Schule sollte … auf Freiwilligkeit und positive Motivation der Beteiligten gesetzt werden und eher mit Anreizen als mit Sanktionen gearbeitet werden. Zudem muss es ein begleitendes Unterstützungssystem geben, das die Akteure in die Lage versetzt, Herausforderungen positiv anzunehmen. Allerdings müssen Kinder und Eltern auch klare Rechte erhalten. Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf und ihre Eltern dürfen nicht zu Bittstellern werden, die ihre Inklusion immer selbst erkämpfen müssen. … “

www.berlin.de/sen/bildung/bildungspolitik/inklusive-schule/

Quelle: DCV; Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft Berlin

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