Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) hat den Prozess zur Entwicklung einer Eigenständigen Jugendpolitik (EiJP) gestartet. Zurzeit ist das „Zentrum für die Entwicklung einer Eigenständigen Jugendpolitik und den Aufbau einer Allianz für Jugend“ noch in der Konstituierungsphase. Zugleich haben drei Fachforen stattgefunden und damit Startpunkte für die Auseinandersetzung mit den Schwerpunktthemen des Prozesses gesetzt. Das nimmt der Deutsche Bundesjugendring (DBJR) als Arbeitsgemeinschaft der Selbstorganisationen von Kindern und Jugendlichen zum Anlass, die eigene Position im Prozess und die Erwartungen an die Ergebnisse des Prozesses zu konkretisieren.
Besondere Herausforderungen und Aufgaben zu den Themenbereichen „Schule und außerschulische Lern- und Bildungsorte“, „Beteiligungschancen und -anlässe im politischen und öffentlichen Raum“ und „Übergangsgestaltung (1./2. Schwelle)“ aus Sicht des DBJR:
“ Schule und außerschulische Lern‐ und Bildungsorte
… Jugendpolitik muss Bedarfe von jungen Menschen in den Fokus nehmen und nicht die Bedarfe von Systemen.
Bildung, die junge Menschen befähigt, ihr Leben selbst zu gestalten, sich zu entfalten und die komplizierten Zusammenhänge unserer Gesellschaft zu verstehen, bedarf mehr als des hochgradig formalisierten Bildungsortes Schule. Schule hat das Ziel, Wissen und (messbare) Kompetenzen zu vermitteln; zum System gehören Leistungskontrolle und Selektion. Die Idee/das Konzept der lokalen und regionalen Bildungslandschaften geht davon aus, dass Bildung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist und somit alle dafür Verantwortung tragen, dass Bildung gelingt. Alle wichtigen Sozialisationsinstanzen sollten sich deswegen auf Augenhöhe unter Berücksichtigung der Eigenständigkeit und der Anerkennung der spezifischen Leistungen der jeweils anderen gegenseitig ergänzen und der gemeinsamen Verantwortung gerecht werden.
Bei der Verschmelzung der non-formalen und formalen Bildungsorte – vgl. Ganztagsschule – gilt es, die Chancen eines erweiterten ganzheitlichen Bildungsverständnisses und die Risiken (…) zu hinterfragen und abzuwägen. Zudem bestimmt Schule einen beträchtlichen Teil des Alltags junger Menschen. Stundenpläne und Stundenzahlen müssen am Wohl von Kindern und Jugendlichen ausgerichtet werden und dabei berücksichtigen, dass noch genügend Zeit für non-formale und informelle Bildung bleibt. …
Die Anerkennung und Unterstützung non‐formaler bzw. informeller Bildung unter Beachtung ihrer Besonderheiten ist ein wichtiger Meilenstein einer EiJP. Die Grundprinzipien wie Offenheit, Freiwilligkeit und Selbstorganisation – wie sie junge Menschen in Jugendverbänden verwirklichen – sind unverzichtbar für den Bereich non-formale Bildung. Bei allen Überlegungen müssen diese Prinzipien anerkannt, beachtet und erhalten werden. Eine Engführung der Anerkennungsdebatte auf die Zertifizierung von non-formaler Bildung ist nicht zielführend. Besonders gilt es, die Frage nach konkretem Ziel, Nutzen, Effizienz, Legitimität und Gefahren von Zertifizierungssystemen zu klären. Augenmerk muss dabei darauf gerichtet werden, welcher Nutzen jungen Menschen suggeriert wird, und welchen tatsächlichen Nutzen Nachweise und Zertifikate haben.
Beteiligungschancen und ‐anlässe im politischen und öffentlichen Raum
… Partizipation bedeutet Gestaltungsmacht. Wo junge Menschen mitmachen, soll ihre Mitwirkung auch Wirkung zeigen. Diese Maxime gilt es mit einer EiJP konkret umzusetzen.
Es ist nicht notwendig, nach neuen innovativen Partizipationsmodellen zu forschen. Zugleich müssen erprobte Konzepte nachhaltig und verbindlich verankert und ggf. durch aktuelle Werkzeuge wie E-Partizipation ergänzt werden. Dazu müssen alle Akteur_innen auf allen Entscheidungsebenen jeweils reflektieren, was sie unter Beteiligung verstehen und welche Modelle sie benutzen können bzw. wollen. In diesem Zuge müssen entsprechende Budgets so gestaltet werden, dass den vielfältigen Ansprüchen an Beteiligung Rechnung getragen wird. Am wichtigsten aber ist, dass die Teilhabe wirkungsvoll umgesetzt wird.
… Beteiligung muss in allen Lebensbereichen (z.B. Schule, Ausbildung, Betrieb, Freizeit) und auf allen föderalen Ebenen – Kommune, Land, Bund – institutionalisiert werden. … Es gilt die von jungen Menschen gewählten Interessenvertreter_innen ernst zu nehmen und einzubeziehen. Dort, wo eine direkte Beteiligung junger Menschen erfolgsversprechend und sinnvoll ist, sollte sie nach den Kriterien des DBJR umgesetzt werden.
Übergangsgestaltung (1./2. Schwelle)
Jugend ist eine Phase der Entwicklung und der Übergänge. … In dieser Phase müssen jungen Menschen bestmögliche Rahmenbedingungen für ihr Aufwachsen und ihre Entwicklung zur Verfügung gestellt werden. Die Entwicklung und das Meistern von Übergängen lassen sich nicht gesellschaftlich normieren oder allein von außen gestalten. Persönlichkeitsentwicklung kann und darf nicht ökonomisch verzweckt oder unter der Maßgabe staatlicher Zwecke gesteuert werden.
Es gilt Rahmenbedingungen zu schaffen, die es jungen Menschen ermöglichen, all diese Übergänge und damit die Jugendphase erfolgreich zu meistern, denn die Gestaltung von Übergängen ist hochkompliziert und eine individuelle Herausforderung. Junge Menschen müssen jung sein dürfen. Hierfür braucht es Raum für freie Entfaltung und Rahmenbedingungen, die selbstgewählte Lebenskonzepte ermöglichen.
Für Jugendliche und junge Erwachsene ist ihre eigene Zukunft und deren Absicherung ein zentrales Thema, das zu häufig von Perspektivlosigkeit und Zukunftspessimismus geprägt ist. Beschäftigungs- und Einkommenssicherheit sind schlichtweg ökonomische Voraussetzungen für eine eigenständige und eigenverantwortliche Lebensgestaltung in unserer Gesellschaft. Gerade deshalb ist es auch die Aufgabe der Jugendpolitik, den Übergang von jungen Menschen in die Arbeitswelt zu stützen und den Berufseinstieg junger Menschen durch eine neue, faire Ordnung des Arbeitsmarktes abzusichern.
… Jugendpolitik steht in der Verantwortung, frühzeitig anzusetzen, Perspektiven zu eröffnen und Lösungen für diese Problemlagen zu bieten. Hierzu ist es unabdingbar, alle Akteur_innen in die Pflicht zu nehmen. Die Lebenswelten junger Menschen in Deutschland sind vielfältig, zum Teil gegensätzlich. Der Fokus einer EiJP muss auf allen Jugendlichen liegen, hierbei darf keine und keiner aus dem Blick verloren werden. Sozial- und Arbeitsmarktpolitik üben einen zu starken Druck auf junge Menschen aus. Gerade für eine EiJP ist es wichtig, sich nicht an scheinbaren ökonomischen Zwängen zu orientieren, sondern eine breite Unterstützung für alle Qualifikationsniveaus zu gewährleisten. Dazu muss sie ebenso auf entsprechende Gesetzgebungen wie auch auf staatliche Unternehmen, Wirtschaft und soziale Partner_innen einwirken. …
Zielerwartungen
… Es sind realistische Zeitkorridore notwendig, die jedoch transparent und nachvollziehbar sein müssen. Der Prozess selbst muss nicht nur auf lange Sicht, sondern auch mittelfristig zu Ergebnissen führen. Denn auch wenn der Prozess legislaturübergreifend angelegt sein muss, ist es notwendig, bereits innerhalb der ersten zwei Jahre greifbare (Zwischen-)Ergebnisse zu erzielen.
Ziel dieses dialogischen Prozesses hin zu einer EiJP sollte es sein, dass übergreifende Leitgedanken und Zielstellungen sowie entsprechend konkrete Forderungen und Umsetzungsvorschläge für eine EiJP entwickelt und formal beschlossen werden. Hierfür müssen alle beteiligten Akteur_innen sensibilisiert undinformiert werden.
Jugendpolitik muss ebenso über einzelne Ressorts wie auch über nationale Ebenen hinaus gedacht werden.
Eine Verzahnung der Umsetzung der EU‐Jugendstrategie mit der Entwicklung einer EiJP ist daher geboten und birgt starke Synergien. …
Schließlich ist eine hohe Verbindlichkeit der entwickelten Leitgedanken und Lösungsansätze des Prozesses durch gesetzliche Verankerungen, Kabinettsbeschlüsse, gemeinsame Absichtserklärungen verschiedener Ebenen und die konkrete Umsetzung im Feld notwendig. Eine Sammlung von Arbeitshilfen, Impulsen und Dokumentationen einzelner Prozessschritte reicht hierfür nicht aus. Es braucht transparente und nachhaltige Ergebnisse. Eine solche Etablierung einer EiJP ist nur durch verbindliche Beschlüsse und durch das Einbeziehen politischer Entscheidungsträger_innen möglich. … „
Die Stellungnahme in vollem Textumfang entnehmen Sie bitte dem Anhang.
www.dbjr.de
www.dbjr.de/ichmachepolitik/eigenstaendige-jugendpolitik.html
Quelle: DBJR
Dokumente: DBJR_Stellungnahme_EiJP_2012.pdf