Auszüge aus dem DGB-Positionspapier mit Vorschlägen zur Neuausrichtung der Arbeitsförderung:
“ … Aktive Arbeitsmarktpolitik bedeutet nicht nur, den Instrumenteneinsatz möglichst wirtschaftlich und wirksam zu gestalten. Orientiert am Sozialstaatsgebot und am Verständnis einer umfassenden Beschäftigungspolitik muss sie auch aktiv Einfluss auf Ungleichgewichte und Entwicklungen nehmen, die Auswirkungen in anderen gesellschaftlichen Bereichen und Politikfeldern haben.
Aufgabe einer öffentlich-rechtlichen Arbeitslosenversicherung ist die Unterstützung von arbeitsmarktpolitischen Zielen, wie der Vermeidung von unterwertiger Beschäftigung und der Eröffnung von existenzsichernden beruflichen Perspektiven für Arbeitsuchende wie Beschäftigte. …
Deshalb schlägt der DGB vor:
## Bei der Zumutbarkeit von Arbeitsangeboten sollte eine Untergrenze eingeführt werden, um einem Auswuchern des Niedriglohnbereichs entgegenzuwirken. Zumutbar sollen, sowohl in der Arbeitslosenversicherung als auch im Hartz-IV-System, nur Arbeitsangebote sein, die den
tariflichen Regelungen entsprechen. …
## Die Vermittlung in Minijobs darf nur auf freiwilliger Basis erfolgen. Minijobs gewährleisten keine soziale Sicherung und sind in vielen Fällen eine berufliche Sackgasse. Deswegen müssen auch während der Beschäftigung weitere Vermittlungsversuche in sozialversicherungspflichtige Arbeit erfolgen.
## Die Vermittlung in ein Leiharbeitsverhältnis sollte in den ersten sechs Monaten der Arbeitslosigkeit nur auf freiwilliger Basis erfolgen.
## In den Arbeitsagenturen und Jobcentern müssen angemessene Betreuungsschlüssel normiert und eingehalten werden. Die Inga-Betreuungsschlüssel sollten dauerhaft finanziell abgesichert werden. Zur Gewährleistung einer guten Beratungsqualität müssen auch die Befristungen in den Arbeitsagenturen und Jobcentern reduziert werden. ..
## Für Arbeitgeber kostenlose, von den Arbeitsagenturen oder Jobcentern geförderte betriebliche Praktika (sogenannte Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung bei einem Arbeitgeber), sind von Seiten der Arbeitgeber missbrauchsanfällig. Maßnahmen, die die Funktion haben, Arbeitsuchende auf ihre Eignung zu testen, müssen deswegen auf maximal zwei Wochen begrenzt werden. Praktika, in denen darüber hinaus berufliche Kenntnisse vermittelt werden, dürfen nur durchgeführt werden, wenn ein eindeutiger Qualifizierungsplan vorliegt. …
## Die aktive Arbeitsmarktpolitik und ihre Instrumente sind geschlechtergerecht zu gestalten. Das bedeutet unter anderem, Frauen nicht in stereotype Tätigkeiten zu vermitteln und/oder in die Position der Zuverdienerin zu drängen.
Trotz guter konjunktureller Lage und sinkender Zahl an Bewerbern und Bewerberinnen finden viele Jugendliche nach ihrem Schulabschluss keinen betrieblichen Ausbildungsplatz. Sie bleiben in zahlreichen Maßnahmen des Übergangsbereichs. Eine „abgehängte Generation“, die keinen Einstieg in den Arbeitsmarkt findet, kann sich unsere Gesellschaft weder aus sozialen Gründen, noch vor dem Hintergrund des demografiebedingten Strukturwandels leisten. Ziel muss daher der Ausbau der betrieblichen Ausbildung sein. Hier sind vor allem Arbeitgeber in der Verantwortung. Darüber hinaus bedarf es einer frühzeitigen Gestaltung des Übergangs von der Schule in den Beruf durch eine umfassende, geschlechtersensible Berufsorientierung sowie eine Vereinfachung des Übergangsbereichs, die gleichzeitig mit der Gewährleistung von Bildungsketten einhergeht. In diesem Feld liegen auch arbeitsmarktpolitische Herausforderungen.
Deshalb schlägt der DGB vor:
## Der Ausbau der schulischen Berufsorientierung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die nicht von den Beitragszahlenden der Arbeitslosenversicherung finanziert, sondern mittelfristig vollständig von den Ländern übernommen werden sollte. Derzeit können viele sinnvolle
Maßnahmen nicht stattfinden, da die Länder die erforderliche Kofinanzierung nicht leisten.
## Angesichts der hohen Anzahl von Schulabgängern und Schulabgängerinnen ohne Abschluss muss das Nachholen des Hauptschulabschlusses als gesetzliche Pflichtleistung erhalten bleiben. …
## Das sogenannte „Übergangssystem“, in dem 270.000 junge Menschen überwiegend unzureichend qualifiziert werden, gilt es überflüssig zu machen. …
## Jugendliche, die keinen betrieblichen Ausbildungsplatz gefunden haben, bekommen eine Ausbildung an einer berufsbildenden Schule oder bei einem außerbetrieblichen Bildungsträger für die gesamte mindestens dreijährige Ausbildungsdauer. Die Ausbildung muss jungen Menschen Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt bieten; ein hoher Anteil an betrieblicher Praxis (mindestens 50 Prozent) muss gesichert sein. Während der außerbetrieblichen Ausbildung
wird ein Übergang in eine betriebliche Ausbildung angestrebt. Die absolvierte Ausbildungszeit ist dabei anzurechnen. …
## Maßnahmen der Berufsvorbereitung müssen Jugendlichen eröffnet werden, die zusätzliche Unterstützung benötigen. Alle anderen brauchen ein Ausbildungsangebot. Die Berufsvorbereitung muss auf ihre individuellen Kompetenzen und nicht auf tradierte Rollenbilder ausgerichtet sein sowie auf Anschlüsse in einer Ausbildung. Betriebliche Angebote der Berufsvorbereitung haben Vorrang. Auf Grundlage der Erfahrungen mit dem Berufsvorbereitungsjahr (BVJ-Maßnahmen) und der Einstiegsqualifizierung (EQ) müssen Jugendliche mit Förderbedarf ein Berufsvorbereitungsangebot, möglichst in Kooperation mit Betrieben, erhalten. …
## Tarifliche Regelungen zur Integration von Jugendlichen mit Förderbedarf sollen ausgebaut werden….
## Um jungen Menschen den Übergang von der Schule in die Ausbildung zu ermöglichen, bieten ihnen viele Einrichtungen und Akteure unterschiedlichste Hilfen an. Diese Angebote existieren aber weitgehend unabhängig voneinander. … Es fehlt eine zentrale Anlaufstelle, die die Jugendlichen umfassend informiert und ihnen damit Beratung aus einer Hand bietet. Hierzu sollten … Jugendberufsagenturen nach dem Hamburger Vorbild eingerichtet werden. Sie sollen für alle schulpflichtigen Jugendlichen zuständig sein, einschließlich der Berufsschulpflichtigen, bis sie eine
Ausbildung begonnen und abgeschlossen haben. … Die Jugendberufsagentur sollte aus den vorhandenen Mitteln der unterschiedlichen Akteure (Agenturen für Arbeit, Jobcenter und Träger der Jugendhilfe) finanziert werden. …
## Die Ausbildungsplatzvermittlung für Jugendliche aus Hartz-IV-Familien sollte gesetzlich auf die Arbeitslosenversicherung übertragen werden. …
## Die Berufseinstiegsbegleitung als Instrument der individuellen Begleitung in die Ausbildung sollte flächendeckend für die am Ausbildungsmarkt benachteiligten Schüler und Schülerinnen angeboten werden. Für besondere Personengruppen sollte auch eine Begleitung an der zweiten
Schwelle – dem Übergang von der Ausbildung in den Beruf – förderfähig werden, um die Stabilität des Berufseinstiegs abzusichern. …
## Die „faktische Abschottung“ vieler Ausbildungsbetriebe gegenüber Jugendlichen mit niedrigeren Schulabschlüssen muss beendet werden. Betriebe sollten bei der Auswahl der Auszubildenden gezielt auch diese schwächeren Jugendlichen in die Ausbildung übernehmen. Hierzu brauchen die Betriebe auch Hilfe. Deshalb sollten ausbildungsbegleitende Hilfen als Regelangebot aus Mitteln der Bundesagentur für Arbeit und der Länder ausgebaut werden. Für jeden Auszubildenden und jede Auszubildende wird dabei ein individueller Förderplan erstellt, anhand dessen die Lernschritte und Lernerfolge verfolgt werden können.
## Wir brauchen Modelle der assistierten Ausbildung. Für Auszubildende mit einem höheren Unterstützungsbedarf bietet sich das Modell der assistierten Ausbildung an, in dem duale Ausbildung durch kontinuierliche pädagogische Unterstützung und Beratung durch ein drittes Element ergänzt wird – für Auszubildende und Ausbildungsbetriebe. Dieses Instrument sollte in die Berufsausbildung als Regelangebot integriert werden. …
## Die Teilzeitberufsausbildung sollte, unter Inanspruchnahme begleitender Hilfen und kommunaler Angebote (zum Beispiel Kinderbetreuung), möglich sein.
## Die Ausbildungszuschüsse für behinderte und schwerbehinderte Jugendliche sind fortzuführen, um die besonderen Nachteile auszugleichen. …
## Jugendliche mit Behinderung sollten im Rahmen der Berufsorientierung und Berufsausbildung stärker als bisher in Richtung duale Ausbildung im Betrieb orientiert werden. Hier besteht allzu oft ein Automatismus in Richtung außerbetriebliche Ausbildung oder Werkstatt für behinderte
Menschen (WfbM). …
Nur noch rund ein Drittel der Arbeitslosen wird vom Versicherungssystem betreut, zwei Drittel dagegen vom Hartz-IV-System – in manchen Regionen sind es sogar vier Fünftel aller Arbeitslosen. Acht Prozent der Menschen, die Arbeitslosengeld beziehen, rund 100.000 Personen, benötigen noch aufstockend Hartz-IV-Leistungen, um ihr Existenzminimum sicher zu stellen. Ein Viertel aller, die nach einem sozialversicherten Job arbeitslos werden, fallen direkt in Hartz IV – bei Leiharbeit sind es sogar 38 Prozent. Nach einem Jahr Arbeitslosigkeit spielt die Beitragszahlung
grundsätzlich keine Rolle mehr. Damit verliert die Versicherungsleistung zunehmend ihre Schutzfunktion. Zur Hilfebedürftigkeit ist es ein sehr kurzer Weg, und die Regelbedarfe decken kaum das Existenzminimum. Strenge Zumutbarkeitsregeln sowie die scharfen Sanktionen im Hartz-IV-System führen dazu, dass Leistungskürzungen zu weiteren finanziellen Einschnitten führen, die häufig die gesamte Familie („Bedarfsgemeinschaft“) betreffen.
Deshalb schlägt der DGB vor:
des Versicherungssystems (wie zum Beispiel an Weiterbildungen) teilnehmen können. …
## Armutsfeste Hartz-IV-Leistung schaffen: … Die derzeitigen Regelsätze sind das – aus DGB-Sicht – nicht verfassungsgemäße Ergebnis einer fiskalpolitisch motivierten Auswertung der Einkommens- und Verbrauchsstatistik. Sinnvoll ist die Einsetzung einer unabhängigen Kommission, die dem Gesetzgeber Vorschläge unterbreitet. Zudem sollte sich die Fortschreibung der Regelsätze (nur) anhand der Preisentwicklung regelsatzrelevanter Güter richten. Unnötige Verzögerungen bei der Anpassung an die Preisentwicklung müssen unterbleiben. Für größere Anschaffungen wie Haushaltsgeräte sollten wieder Einmalbeihilfen gewährt werden. …
## Sanktionen entschärfen und flexibilisieren: … Die Ablehnung von nicht tariflichen beziehungsweise – …- ortsüblichen Arbeitsangeboten darf nicht sanktioniert werden. Die Ablehnung von Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung (sogenannte Ein-Euro-Jobs) darf nicht sanktioniert werden. Kürzungen des Regelsatzes müssen unter engen verfassungsrechtlichen Grundsätzen gesehen werden. … Sanktionen dürfen nicht die Existenz der Hilfebedürftigen gefährden. Das physische Existenzminimum darf nicht unterschritten werden. Die Kosten der Unterkunft sollen in keinem Fall gekürzt werden. Insbesondere bei Mehrpersonen-Bedarfsgemeinschaften bedrohen Mietschulden alle Mitglieder. … Die schärferen Regeln für Jugendliche unter 25 Jahren (komplette Streichung des Regelsatzes schon bei der ersten Pflichtverletzung) müssen entfallen. … Die Eingliederungsvereinbarungen müssen individuell auf den Einzelfall zugeschnitten sein und die Rechte und Pflichten auf beiden Seiten konkretisieren und in ein ausgewogenes Verhältnis bringen. Sie dürfen nicht als Zwangsinstrument eingesetzt werden.
## Benachteiligungen abschaffen: Leistungen werden im Hartz-IV-System nur auf Antrag gewährt. Dies benachteiligt Menschen, die aus persönlichen Gründen nicht in der Lage sind, ihre Ansprüche geltend zu machen. Deshalb sollte ein Hilfeanspruch bereits dann entstehen, wenn einer staatlichen Stelle die Notlage bekannt wird. Zudem sollten verdeckte Armutslagen auch durch aufsuchende Sozialarbeit ermittelt und bekämpft werden. … “
Quelle: DGB-Bundesvorstand, Abteilung Arbeitsmarktpolitik
Dokumente: profil__fuer_eine_sozialstaatliche_Arbeitsmarktpolitik.pdf