Mehr als zwei Millionen Jugendliche ohne Berufsabschluss – Generation abgehängt?

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) geht in einer Expertise der Frage nach: „Was steckt hinter den mehr als zwei Millionen Jugendlichen ohne Berufsabschluss?“: Obwohl zu Beginn des Ausbildungsjahres Anfang September von einer entspannten Lage auf dem Ausbildungsmarkt und sogar von Bewerbermangel die Rede war, sind 2,2 Mio. Menschen bis 34 Jahre ohne abgeschlossene Ausbildung. Um die Situation zu verbessern, fordert der DGB die Betriebe auf, ihre „Bestenauslese“ zu beenden. Zur Unterstützung sollen ausbildungsbegleitende Hilfen ausgebaut werden. Zur Stärkung der betrieblichen Ausbildung sollen Branchenfonds eingerichtet werden.

Der Großteil der Ausbildungslosen verfügt über alle notwendigen Voraussetzungen für eine betriebliche Ausbildung

Die Zahl der jungen Ausbildungslosen liegt seit zehn Jahren konstant hoch bei rund 15 Prozent. Der Großteil der Ausbildungslosen (1,8 Mio.) verfügt über alle notwendigen Voraussetzungen, sofort eine betriebliche Ausbildung beginnen zu können. Knapp eine Million (997.000) hat einen Hauptschulabschluss. 454.000 junge Erwachsene verfügen über einen mittleren Schulabschluss. Als junge Ungelernte arbeiten 1,2 Millionen – überwiegend in prekären Beschäftigungsverhältnissen.

Auszüge aus der DGB-Expertise „Generation abgehängt – Was verbirgt sich hinter den mehr als 2,2 Millionen jungen Menschen ohne Berufsabschluss?“ zur Bildungsbiographie und den prekären Perspektiven der Ausbildungslosen von Matthias Anbuhl:

„Die Lage auf dem Ausbildungsmarkt erscheint paradox: Während der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) zum Beginn des Ausbildungsjahres 2012 von einer „hervorragenden Lage“ auf dem Ausbildungsmarkt und von tausenden freien Lehrstellen spricht, liegt der Anteil der Menschen ohne Berufsabschluss weiterhin konstant hoch. Allein der Datenreport des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) zum Berufsbildungsbericht 2012 zählt 1,44 Millionen Menschen im Alter von 20 bis 29 Jahren ohne Berufsabschluss. Damit liegt der Anteil der ausbildungslosen Jugendlichen nach Auswertungen des Mikrozensus bereits seit mehr als zehn Jahren „bei rund 15 Prozent – und damit auf hohem Niveau“.

Nimmt man die Gruppe der 20- bis 34-jährigen, sind insgesamt 2,21 Millionen Menschen ohne Berufsabschluss. Das sind 15,2 Prozent dieser Altersgruppe. Mehr noch: Besserung ist kaum in Sicht. Seit dem Nationalen Bildungsbericht 2010 hat sich vor allem der Anteil der 30- bis 34-jährigen Männer ohne Berufsabschluss „weiter erhöht“. (…)“

Prognosen erwarten Fachkräftemangel

„Auch vor dem Hintergrund des künftigen Fachkräftebedarfs ist es nicht zu verantworten, dass rund 15 Prozent der Menschen bis 34 ohne Ausbildung bleiben. Alle Prognosen weisen derzeit auf einen geringeren Bedarf an Arbeitskräften ohne Berufsabschluss hin, während es voraussichtlich zu Engpässen auf der mittleren Fachkräfteebene kommen wird.

Eine „Generation abgehängt“ kann sich unsere Gesellschaft nicht leisten. Wenn aber politische Maßnahmen greifen sollen und eine Bildungsstrategie zum Abbau der Ausbildungslosigkeit nicht scheitern soll, ist ein genauer Blick auf die Gruppe der jungen Ausbildungslosen notwendig. (…)“

Entsprechend liefert Herr Anbuhl in seinem Fazit zum einen eine zusammenfassende Übersicht der Ergebnisse der Analysen, zum anderen nennt er notwendige Maßnahmen zum Abbau der Ausbildungslosigkeit. Zu den Ergebnissen heißt es:

Bildungspolitik im vergangenen Jahrzehnt nicht spürbar vorangekommen

  • „(…) Zusammensetzung der Gruppe der Ausbildungslosen: Die Ergebnisse zeigen, dass es sich bei den jungen Menschen ohne Berufsabschluss hinsichtlich des Schulabschlusses um eine sehr heterogene Gruppe handelt. Viele dieser Menschen haben eine gute Vorbildung.
    So haben 1,8 Millionen der jungen Ausbildungslosen einen Schulabschluss (81,9 Prozent). Insgesamt 65 Prozent der jungen Ausbildungslosen verfügen über einen Realschul- (20,6 Prozent) oder einen Hauptschulabschluss (45,2 Prozent). Auffällig ist, dass der Anteil der Studienberechtigten (16,1 Prozent) bei den Ungelernten ein ähnlich hohes Niveau hat wie der der Menschen ohne Schulabschluss (18,1 Prozent).
  • Chancen der Ausbildungslosen auf dem Arbeitsmarkt: Junge Menschen ohne Berufsabschluss haben schlechte Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt. Von den 2,2 Millionen Menschen dieser Gruppe sind nur 1,2 Millionen erwerbstätig. Schaffen es die jungen Ungelernten Arbeit zu finden, so sind sie überdurchschnittlich in prekären Beschäftigungsverhältnissen tätig. 17,7 Prozent der Ungelernten arbeiten in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen. Bei den Gleichaltrigen mit Berufabschluss liegt dieser Anteil nur bei 5,4 Prozent.
  • Die Gesamtschau der unterschiedlichen Messgrößen zeigt: Bei der Bekämpfung der Ausbildungslosigkeit ist die Bildungspolitik im vergangenen Jahrzehnt nicht spürbar vorangekommen. Eine „abgehängte Generation“, die kaum Perspektiven auf nachhaltige Integration auf dem Arbeitsmarkt hat, können wir uns vor allem aus sozialen Gründen, aber auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und der drohenden Fachkräfteknappheit in einigen Branchen und Regionen nicht erlauben. Der Abbau der Ausbildungslosigkeit muss deshalb in die Mitte der Bildungspolitik rücken.“

Zu den dafür notwendigen Maßnahmen zählt der Autor:

Alle Beteiligte im Ausbildungssystem können konkret etwas tun

  • „Betriebe müssen ihr Einstellungsverhalten ändern / ausbildungsbegleitende Hilfen ausbauen: Die Betriebe dürfen bei der Auswahl der Auszubildenden keine „Bestenauslese“ mehr betreiben. Die „faktische Abschottung“ vieler Ausbildungsberufe für Jugendliche mit niedrigeren Schulabschlüssen muss beendet werden. Hierzu brauchen die Unternehmen auch Hilfe. Deshalb sollten ausbildungsbegleitende Hilfen zu Regelangeboten für die Betriebe ausgebaut werden. Für jeden Auszubildenden wird dabei ein individueller Förderplan in Abstimmung mit dem Ausbildungsbetrieb erstellt, anhand dessen die Lernschritte und Lernerfolge verfolgt werden können. Das unterrichtende Personal setzt sich in der Regel aus erfahrenen Ausbildern und Lehrkräften zusammen. Die sozialpädagogischen Mitarbeiter/-innen (Sozialpädagogen) unterstützen die Auszubildenden bei deren beruflichen und privatenProblemen und helfen bei Lernproblemen und Prüfungsangst.
  • Neue Struktur für den Übergang von der Schule in die Ausbildung: Zurzeit befinden sich fast 300.000 Jugendliche in den Warteschleifen des so genannten Übergangssystems. Diese Maßnahmen stellen allzu oft die Weichen für junge Menschen ohne Berufsabschluss. Jugendliche, die nur aufgrund mangelnder Ausbildungsangebote keinen betrieblichen Ausbildungsplatz finden, benötigen keine berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme (BVB) und keine Einstiegsqualifizierung (EQ). Sie sollten spätestens sechs Monate nach Beginn des Ausbildungsjahres einen Rechtsanspruch auf eine außerbetriebliche Ausbildung erhalten. (…)
  • Stärkung der betrieblichen Ausbildung durch Branchenfonds: Mehr als 80 Prozent der ausbildungslosen Jugendlichen haben einen Schulabschluss. Folglich könnte ein großer Teil der Jugendlichen sofort eine betriebliche Ausbildung beginnen. Der Blick auf die Bildungsbiografien der jungen Menschen zeigt, dass insbesondere Jugendliche, die Schwierigkeiten beim Übergang von der Schule in die Ausbildung haben und in Warteschleifen geparkt werden, von Ausbildungslosigkeit betroffen sind. Gleichzeitig ist die Quote der Ausbildungsbetriebe auf 22,5 Prozent gesunken. Um das Angebot betrieblicher Ausbildungsplätze unabhängig von konjunkturellen Schwankungen zu stabilisieren und einen fairen Ausgleich von ausbildenden und nichtausbildenden Betrieben zu schaffen sowie die Besonderheiten von Branchen zu berücksichtigen, sollten Branchenfonds für die Ausbildung eingerichtet werden.
  • Tarifverträge für Ausbildung nutzen: Die Tarifparteien können sich für Jugendliche mit schlechten Startchancen einsetzen. Als Beispiele für ein solches Engagement können die Vereinbarung „Start in den Beruf“, die die IG BCE abgeschlossen hat oder der „Tarifvertrag zur Förderung von Ausbildungsfähigkeit“ (TV FAF) dienen. Diesen Tarifvertrag hat die IG Metall erstmals für die Metall- und Elektroindustrie in Nordrhein-Westfalen abgeschlossen. In einer Förderphase, die bis zu einem Jahr dauern kann, sollen die Jugendlichen dabei auf eine Ausbildung vorbereitet werden. In dieser Zeit sollen durch gezielte Förderung (zum Beispiel den Abbau schulischer Defizite durch sozialpädagogische Begleitung), ihre Chancen auf eine erfolgreiche Ausbildung gestärkt werden. Die Jugendlichen sind schon in dieser Phase in die Belegschaft integriert. Wer die Förderzeit erfolgreich durchlaufen hat, erhält den Anspruch auf Übernahme in ein „normales“ Arbeitsverhältnis. So werden neue Wege in die betriebliche Ausbildung geschaffen. (…)“

Quelle: DGB Bundesvorstand

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