Geplante Änderungen des Asylrechts sind für Caritas inakzeptabel

Als Reaktion auf die Übergriffe von Köln (und anderen Städten) in der Silvesternacht hat das Bundesministerium des Innern gemeinsam mit dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz am 12. Januar 2016 einen Vorschlag vorgelegt, der durch Änderungen im Ausweisungs- und Strafrecht zur erleichterten Ausweisung von Straftätern führen soll. Am 27. Januar 2016 wurde der Entwurf eines Gesetzes zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern im Kabinett beschlossen und ins Gesetzgebungsverfahren eingebracht. Der Gesetzentwurf stand bereits am 19. Februar 2016 im Bundestag zur ersten Lesung auf der Tagesordnung. Die Expertenanhörung im Innenausschuss des Bundestages fand am 22.Februar 2016 statt und bereits am 26. Februar 2016 wurde der Gesetzentwurf abschließend im Bundesrat beraten. Er reiht sich damit ein in die Vielzahl der in jüngster Zeit in kürzester Frist entwickelten Gesetzesänderungsvorschläge der Bundesregierung, deren Bestreben es ist, mit schneller gesetzgeberischer Initiative auf aktuelle Ereignisse zu reagieren und bei der eine Beteiligung der Verbände sowie ein ausführliche Diskussion im Parlament kaum möglich ist. Trotz der gerechtfertigten Empörung über die Taten in Köln ist jedoch besonnenes Handeln nötig, das auf Fakten und Differenzierungen beruht. Die Ausführungen in der Stellungnahme des DCV sollen daher zu einer Versachlichung beitragen und darauf hindeuten, an welcher Stelle es möglicherweise eines breiteren gesellschaftlichen Diskurses bedarf.

Auszüge aus Stellungnahme des DCV zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern:
„(…) ## Art. 1 Nr. 1: Gesamtabwägung bei der Ausweisung – Bei der Gesamtabwägung für die Entscheidung, ob ein Ausländer ausgewiesen wird oder nicht, soll künftig auch die Tatsache berücksichtigt werden, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat.
Bewertung: Unklar bleibt bei dieser Neuregelung, was als rechtstreues Verhalten in Betracht käme, da eine Ausweisung eines Ausländers ja überhaupt nur in Betracht kommt, wenn dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonsti-ge erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet.
## Art. 1 Nr. 2 a): Schwerwiegendes Ausweisungsinteresse – Ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Absatz 2 AufenthG soll künftig bereits dann vorliegen, wenn ein Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlich begangener Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, sofern diese Straftaten mit Gewalt oder unter Anwendung von Drohungen mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden sind, rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe verurteilt ist. Dies soll unabhängig davon gelten, ob die Freiheits- oder Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt ist. (…)
Bewertung: (…) Insbesondere bei Jugendlichen und Heranwachsenden ist eine Ausweisung bei einer Strafe auf Bewährung sehr bedenklich, da das Jugendstrafrecht vor allem erneute Straftaten verhindern und der Erziehung der Jugendlichen und Heranwachsenden dienen soll. Das Ausweisungsrecht soll künftige Gefahren abwehren, hat also ein ähnliches Ziel wie das Jugendstrafrecht. Die Grundgedanken des Jugendstrafrechts, die auf eine künftige positive Entwicklung straffälliger Jugendlicher gerichtet ist, würde durch die geplante Verschärfung des Ausweisungsrechts konterkariert.
Spezialpräventive Gründe (Wiederholungsgefahr), die eine Ausweisung von Asylberechtigten und anerkannten Flüchtlingen rechtfertigen könnten, dürften mithin schwer zu begründen sein, wenn anderseits das zugrundeliegende Strafurteil wegen einer positiven Prognose zur Bewährung ausgesetzt wurde. Dasselbe gilt für Asylantragsteller. (…)

Fazit zur Ausweisung von Straftätern
Der Gesetzentwurf suggeriert, dass die neuen Vorschläge eine Ausweisung von Straftätern erleichtern würden und damit Ausländer, die sich nicht an Gesetze halten, das Land verlassen müssten. (…) Es zeigt sich jedoch bei genauerer Betrachtung, dass die mit heißer Nadel gestrickten Vorschläge einer konkreten juristischen Betrachtung weitestgehend nicht standhalten. Auch die angedachte Verschärfung der Ausweisungsregeln muss sich in den weiteren Kontext der rechtlichen Regeln, insbesondere Grundgesetz, Europäische Menschenrechtskonvention, Genfer Flüchtlingskonvention und Recht der Europäischen Union einfügen. Dies bedeutet, dass die Ausweisungsregel als solche verhältnismäßig sein muss und, dass die Ausweisung alleine zwar eine Ausreisepflicht begründet, aber noch nichts darüber aussagt, ob die ausgewiesene Person tatsächlich das Land verlassen wird. (…)

Ob die vorgeschlagene Verschärfung des Ausweisungsrechts eine angemessene Reaktion auf die Übergriffe in Köln (und anderen Städten) in der Silvesternacht darstellt, bleibt daher zweifelhaft. Zielführender wäre es, das deutsche Sexualstrafrecht den internationalen Vereinbarungen anzupassen, um eine Strafbarkeit von Handlungen zu ermöglichen, die bislang nicht unter Strafe stehen.“

„Der Gesetzentwurf zur Einführung beschleunigter Asylverfahren zielt darauf ab, die Asylverfahren von Asylbewerbern, deren Anträge nur geringe Erfolgsaussichten haben, weiter zu beschleunigen. Er knüpft damit an das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 20.10.2015 an. Der Gesetzentwurf enthält daneben auch weitergehende Regelungen. (…)

Grundsätzlich ist zu konstatieren, dass sich die Regierungskoalition angesichts der hohen Zuwanderungszahlen von Schutzsuchenden einem starken Handlungsdruck ausgesetzt sieht. Gleichzeitig ist jedoch festzustellen, dass die Vielzahl gesetzlicher Maßnahmen in immer kürzeren Zeiträumen die Gefahr birgt, dass bislang geltende Individualrechte durch Maßnahmen zur Verfahrensbeschleunigung immer weiter eingeschränkt werden, mitunter auch der rechtsstaatliche Rahmen von Gesetzgebungsprozessen erodierende Tendenzen aufweist (Bsp. Beteiligung der Zivilgesellschaft an Gesetzgebungsprozessen).

Auszüge aus der Stellungnahme des DCV zur Einführung beschleunigter Asylverfahren:
“ (…) ## Aussetzung der Abschiebung aus gesundheitlichen Gründen – (…)
Aus Sicht des Deutschen Caritasverbandes ist besorgniserregend, dass der gesundheitliche Zustand bei der Entscheidung über eine Abschiebung künftig nur noch eine untergeordnete Rolle spielen soll und Abschiebungen auch bei schwerwiegenden Erkrankungen möglich sein sollen. Insbesondere bei schwer diagnostizierbaren Erkrankungen psychischer Art bestünde durch eine solche Regelung die Möglichkeit, dass der Ausländer trotz schwerwiegender Erkrankung abgeschoben wird. (…)
## Aussetzung der Familienzusammenführung für zwei Jahre bei subsidiär Schutzberechtigten (…) – Zwar verpflichten EU-Richtlinien den Gesetzgeber nicht, den Familiennachzug zu subsidiär ge-schützten Personen vorzusehen. Auch gibt es keinen unmittelbaren Anspruch aus dem Grund-gesetz auf Nachzug von Familienangehörigen. Allerdings verpflichten Art. 6 des Grundgesetzes und Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention dazu, die familiären Bindungen in angemessener Weise zu berücksichtigen. Entscheidend ist, ob die Familie auch im Herkunftsland zusammenleben könnte, was bei Bürgerkriegsflüchtlingen ebenso zu verneinen ist wie bei Personen mit Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Der starke Schutz, den die Familie bei anerkannten Flüchtlingen hat, muss aus Sicht des Deutschen Caritasverbandes auch subsidiär Schutzberechtigten zu Gute kommen.
Die Erfahrungen zeigen, dass Familienzusammenführungen zu Flüchtlingen derzeit oftmals mehr als ein Jahr in Anspruch nehmen, weshalb zu befürchten ist, dass sich für viele nach der Aussetzungsfrist ein weiteres Jahr der familiären Trennung anschließen wird. Der starke Schutz der Familie muss aus Sicht des Deutschen Caritasverbandes gerade jetzt auch subsidiär Geschützten zugutekommen, da das familiäre Zusammenleben positive Impulse für die Integration setzt und der legale Weg des Familiennachzugs verhindert, dass Frauen und Kinder illegale und gefährliche Wege der Migration auf sich nehmen. (…)
## Grundleistungen, notwendiger persönlicher Bedarf – § 3 Abs. 1 S. 8 AsylblG soll dahingehend geändert werden, dass die Sätze für den persönlichen Bedarf abgesenkt werden. Einzelne Verbrauchsausgaben für Bildung und Freizeit, Medien, Kultur und Unterhaltung werden nicht mehr als bedarfsrelevant anerkannt. Bei alleinstehenden Erwachsenen handelt es sich um 10 Euro, bei anderen fällt die Kürzung etwas geringer aus.
(…) Anschaffungen zum Medienkonsum zählen demnach nicht zu den unabweisbaren Bedarfen. Die Teilnahme an außerschulischem Unterricht oder Kursen gehöre solange nicht zum existenzsichernden Bedarf, solange der weitere Aufenthalt ungeklärt sei. Bei Personen ohne gute Bleibeperspektive sei von vornherein von einem geringeren Integrationsbedarf auszugehen. (…) – Der Deutsche Caritasverband hält es nicht für zulässig, in dieser Form auf das soziokulturelle Existenzminimum der Betroffenen zuzugreifen. Das Menschenrecht auf Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums umfasst auch bei Ausländer(innen) die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben. (…) Es gehört zu den Kernaussagen der Entscheidung des BVerfG vom 18.07.2012 zum AsylbLG, dass der Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum unabhängig von der Aufenthaltsdauer und der Aufenthaltsperspektive von Beginn des Aufenthaltes an vollumfänglich zu gewährleisten ist. Eine Absenkung lässt sich daher nicht mit einem noch nicht absehbaren Integrationsbedarf begründen.
Eine Absenkung lässt sich auch nicht damit begründen, dass bestimmte Leistungen nicht zu den zwingenden, unabweisbaren Bedarfen zählen. (…) Dem Gesetzgeber kommt nach der Aussage des Bundesverfassungsgerichts im Bereich der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zwar ein größerer Gestaltungsspielraum zu als bei der physischen Existenzsicherung. Es ist außerdem zulässig, dass der Gesetzgeber bei der Festlegung des menschenwürdigen Existenzminimums die Besonderheiten bestimmter Personen-gruppen berücksichtigt. Das darf aber nicht anhand des Aufenthaltsstatus geschehen. Der Minderbedarf muss vielmehr, auch im Bereich des soziokulturellen Existenzminimums, in einem inhaltlich transparenten Verfahren anhand des tatsächlichen Bedarfs gerade dieser Gruppe belegt werden. Dies ist nicht geschehen. Die Änderung ist nicht nur aus verfassungsrechtlichen Gründen abzulehnen. Sie wird auch der Realität nicht gerecht. (…)
Die Stellungnahmen in vollem Textumfang entnehmen Sie dem Anhang.

Quelle: Deutscher Caritasverband

Dokumente: 2016_02_22_Stell_DCV_GE_beschleunigte_Verfahren_1_.pdf

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