Auszüge aus der JFF-Expertise „Computerspiele in der pädagogischen Arbeit“ von Ulrike Wagner, Peter Gerlicher, Sebastian Ring, Gisela Schubert:
“ Die Relevanz des Themas Computerspiele für Heranwachsende wird anhand von aktuellen Nutzungszahlen deutlich. Laut der JIM-Studie 2011 (…) nutzt inzwischen mehr als die Hälfte aller Heranwachsenden zwischen 12 und 19 Jahren in Deutschland zumindest gelegentlich PC-Spiele und ebenso viele spielen Konsolenspiele. …
Computerspiele sind zum einen als digitale und interaktive Medien zu charakterisieren. Als solche sind sie nicht isoliert von anderen Medien zu betrachten. Im Kontext der konvergenten Medienwelt (…) lässt sich eher von digitalen Spielwelten sprechen. Der Begriff der digitalen Spielwelten umreißt einen Kommunikations- und Handlungsbereich, der (1) eine Vielzahl von sehr unterschiedlichen Plattformen, Genres, Formen und Inhalten umfasst, (2) stark in Kommunikationsprozesse der konvergenten Medienwelt eingebunden ist (TV-Sendungen, Magazine, Web 2.0 und Social Media-Plattformen), (3) einer Vielzahl von sozialen Gruppen Raum für Interaktion und Abgrenzung von anderen bietet und (4) verschiedene Systeme integriert (Wirtschaft, Wissenschaft, Pädagogik, Politik, Kunst u. a.).
Zum anderen können Computerspiele als spezifische Form von Spielen betrachtet werden. Das menschliche Spiel gilt als ganzheitliche, offene, freiwillige, intrinsisch motivierte und subjektorientierte Handlungs- und Lernform. Die Potenziale des Spielens für die gelingende Entwicklung des Menschen – sowohl im Hinblick auf die Identitätsentwicklung, als auch auf soziale Integration – sind in der Entwicklungspsychologie anerkannt (…). Die UN-Kinderrechtskonvention sichert Kindern (im Verständnis dieses Textes zählen hierzu auch Jugendliche bis zu einem Alter von 18 Jahren) entsprechend in ihrem Artikel 31 das Recht „auf Spiel und altersgemäße aktive Erholung sowie auf freie Teilnahme am kulturellen und künstlerischen Leben“ (…) zu. Zur Frage nach den kompetenzförderlichen Potenzialen von Computerspielen liegen im deutschsprachigen Raum einige Forschungsergebnisse vor(…). Wenngleich sich diese eher auf die Identifikation von Potenzialen beziehen als auf die konkrete Evaluation von tatsächlich durch die Spielenden angewendeten oder erworbenen Kompetenzen. Insgesamt ist hier ein deutlicher Forschungsbedarf zu benennen, denn nach wie vor fokussiert ein Großteil der Forschung, die sich mit Wirkungen von Computerspielen beschäftigt, auf den Bereich der Risiken, wie etwa aggressionsförderliche Aspekte von Computerspielen. …
Angesichts der Relevanz des Themas für Kinder und Jugendliche einerseits und der Diskussionen um risikobehafteten Spielumgang andererseits ist danach zu fragen, welche Anforderungen sich an die Medienkompetenz junger Computerspielerinnen und -spieler stellen und was einen souveränen Umgang mit Computerspielen ausmacht. …
Hauptaugenmerk liegt dabei auf folgenden Fragen:
## Welche Themen werden darin aufbereitet und auf welche Weise werden digitale Spielwelten betrachtet?
## Mit welchen Formaten werden Heranwachsende ab 12 Jahren, Eltern und pädagogische Fachkräfte angesprochen?
## Welche Anregungen und Methoden werden für die Auseinandersetzung mit Computerspielen in den Materialien formuliert bzw. kommen in den Projekten zum Einsatz?
Herausforderungen in der pädagogischen Auseinandersetzung mit Computerspielen: Vielfältigkeit von Zielgruppen und deren Aufgaben
Im Vergleich zum Umgang mit anderen Medien besteht bei der medienpädagogischen Auseinandersetzung mit dem Thema Computerspielen nach wie vor ein großes Ungleichgewicht hinsichtlich der Generationen – für die pädagogische Praxis ergibt sich daraus eine Herausforderung: Computerspiele sind ein integraler Bestandteil in den Medienrepertoires von vielen Heranwachsenden. In vielen Fällen fehlt ihnen jedoch die Fähigkeit, Spielzeiten zu beschränken und dargestellte Inhalte kritisch zu hinterfragen (…).
Die Gruppe der Spielenden ist mitnichten eine homogene Gruppe. Dies liegt u. a. dran, dass den Nutzenden eine große Vielfalt in der Welt der Computerspiele zur Verfügung steht, je nach persönlichem Geschmack und Vorlieben: Zu einer Fülle unterschiedlicher Hardware-Komponenten kommen weitere Fragen, etwa ob ein Spiel alleine oder gemeinsam mit anderen gespielt wird, in welcher sozialen Situation es gespielt wird und welchem Genre es zuzuordnen ist. …
Die vielfältigen digitalen Spielerfahrungen der Jugendlichen stehen in vielen Fällen in engem Zusammenhang mit der Peergroup, denn Spielen findet häufig als soziales Miteinander unter Geschwistern oder im Freundeskreis statt (…). Die Motive, sich Computerspielen zuzuwenden, sind mit Zuwendungsmotiven anderer Freizeitbeschäftigungen vergleichbar: Spaß haben und sich unterhalten lassen sind die dominierenden Motive. Mit digitalen Spielen kann zudem Langeweile vertrieben und Zeit überbrückt werden (…). Es geht jedoch auch um Spielbeherrschung, �Flow‘-Erleben und um abwechslungsreiche, herausfordernde, mit Selbstwirksamkeitserleben verbundene Tätigkeiten (…).
Dieser Faszination und Begeisterung von Heranwachsenden für digitale Spielwelten steht gegenüber, dass Erziehende über vergleichsweise wenig eigene Erfahrungen mit Computerspielen verfügen. … Pädagogischen Fachkräften fehlt es häufig an medienpädagogischer Qualifikation in diesem Bereich. … Durch den fehlenden Erfahrungsschatz und den Mangel an Hintergrundwissen zu Computerspielen entstehen auf Seiten der Erwachsenen schnell Befürchtungen und Bedenken hinsichtlich eines problematischen Umgangs der Jugendlichen mit Computerspielen, z. B. im Zusammenhang mit Fragen nach einer möglichen Computerspielsucht. …
Materialien: Notwendige Erweiterungen in der informationsorientierten Wissensvermittlung
Bei den … Materialien zeichnet sich ein sehr deutlicher Schwerpunkt im Hinblick auf die Vermittlung von Wissen ab. Dabei konzentriert sich die Wissensvermittlung vor allem auf zwei Bereiche: Zum einen wird grundlegendes Wissen zu digitalen Spielwelten dargelegt und Aspekte des Umgangs von Heranwachsenden mit digitalen Spielwelten erörtert. Das Ziel liegt hierbei in der Aufklärung und Sensibilisierung Erwachsener für die mediatisierte Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen. Zum anderen liegt der Wissensvermittlung häufig auch eine problemorientierte Haltung zugrunde. … Zunächst ist die Wissensvermittlung in den untersuchten Materialien häufig noch zu wenig zielgruppenadäquat umgesetzt. So wird beispielsweise kaum den Unterschieden pädagogischer Handlungsfelder (elterliche Erziehung, Jugendarbeit, Schule u. a.) Rechnung getragen. Ein Großteil der analysierten Veröffentlichungen richtet sich allgemein an Erwachsene und unterscheidet nicht weiter danach, ob es sich um Erziehungsberechtigte oder um pädagogische Fachkräfte handelt. Dabei sind die Bedürfnisse jeweils sehr unterschiedlich und komplex. …
Nur wenige Veröffentlichungen wenden sich direkt an Kinder und Jugendliche. Ist dies der Fall, so steht auch hier die Vermittlung von Wissen zu Computerspielen im Vordergrund. Um Heranwachsende dazu anzuregen, ihre Kenntnisse über Computerspiele und ihr Reflexionsvermögen auszubauen sowie ihren kompetenten Umgang mit Spielen zu fördern, wären aber zielgruppenadäquate Materialien erforderlich, die sich sowohl an den thematischen Interessen und Bedürfnissen Heranwachsender als auch an den von ihnen bevorzugten medialen Aufbereitungsformen orientieren.
Darüber hinaus liegt der Wissensvermittlung in Bezug auf die digitalen Spielwelten bei allen Zielgruppen häufig ein eher eng gefasstes Verständnis von Computerspielen zugrunde. Bisher wird in den Materialien kaum berücksichtigt, dass Computerspiele einen Teil eines größeren Medienverbundes darstellen. …
Inhaltlich greifen die meisten untersuchten Materialien bei der Wissensvermittlung noch nicht ausreichend die Motivlagen der Heranwachsenden zur Nutzung von Computerspielen auf. In Bezug auf soziale Aspekte des Spielens und insbesondere auf Vergemeinschaftungsprozesse in Onlinespielen ist zu konstatieren, dass die dazu vorliegenden Forschungsergebnisse bisher nur unzureichend Eingang in pädagogische Materialien gefunden haben. …
Auch wenn ein besonderer Fokus der Wissensvermittlung in den Materialien darauf liegt, für Gefahren zu sensibilisieren und Risiken zu vermeiden, so erscheint beim Thema des Vielspielens der Umgang mit Begrifflichkeiten noch wenig differenziert. In diesem Zusammenhang fallen einschlägige Bezeichnungen wie �Computerspielsucht‘ oder �Abhängigkeit‘. Aus medienpädagogischer Sicht ist hier ein sensibler Umgang mit Begrifflichkeiten angebracht und es gilt, differenziert zu formulieren. An dieser Stelle sind Materialien erforderlich, die trotz ihres oftmals sehr knappen Umfangs Begrifflichkeiten achtsam einsetzen und mithilfe von Definitionen erläutern. Gerade stigmatisierende Formulierungen in Bezug auf computerspielaffine Heranwachsende sind dagegen zu vermeiden. …
Handlungsbedarfe
Als Konklusion aus der Materialanalyse und den vorliegenden Informationen über Praxisprojekte zu digitalen Spielwelten ist ein wesentlicher Handlungsbedarf darin zu sehen, die Perspektive von Kindern und Jugendlichen, ihre Fragen, Interessen und Spielvorlieben, aber auch ihre Ressourcen noch stärker zu verankern. …
Der Überblick zu den vorhandenen Informationsmaterialien verdeutlicht, dass sich die ressourcenorientierte Perspektive noch nicht ausreichend in den pädagogischen Handreichungen niederschlägt. … Zudem zeigt sich, dass es bei den Materialien für Eltern und pädagogische Fachkräfte an spezifischen Empfehlungen für deren konkrete erzieherische Praxis mangelt. Eltern benötigen vor allem Materialien, in denen sie alltagstaugliche Hilfestellungen und Unterstützung finden. Fachkräfte brauchen zum Beispiel Hinweise, wie sie Kinder und Jugendliche in die pädagogischen Prozesse mit einbeziehen und deren Perspektive auch als Ansatzpunkt für pädagogische Lösungsprozesse bei Problemlagen nutzen können.
Eine Bandbreite an Praxisprojekte zum Thema Computerspiele zeigt auf, dass inzwischen eine ganze Reihe an pädagogischen Aktivitäten existiert, die Games methodisch vielfältig zum Thema machen. Deutlicher Bedarf besteht jedoch beim Wissenstransfer bzw. bei der Übertragbarkeit der pädagogischen Modelle und beim Erreichen breiter Zielgruppen. … Dabei kann es nicht immer um umfangreiche Projekte gehen, es muss auch Anregungen für kleine Einheiten geben, die in den pädagogischen
Alltag integriert werden können und trotzdem den Maximen handlungsorientierter Arbeit folgen. … „
Die Expertise in vollem Textumfang entnehmen Sie bitte dem Anhang.
Die Expertise ist Bestandteil des Projekts GamesLab, das vom JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis in Zusammenarbeit mit dem Medienzentrum Parabol durchgeführt wird. Im Zentrum dieses Projekts stehen Heranwachsende ab 12 Jahren und ihr Umgang mit Computerspielen – ein Thema, das einerseits für sie eine hohe Relevanz besitzt und andererseits in der öffentlichen Diskussion stark durch Aspekte risikobehafteten Spielverhaltens geprägt ist. Vor dem Hintergrund dieses Spannungsfelds möchte GamesLab über modellhafte Aktivitäten Peer-to-Peer-Prozesse zur Förderung von Medienkompetenz unterstützen. Über pädagogisch angeleitete Werkstätten werden Heranwachsende dazu motiviert, Materialien zu entwickeln, die ihre Sicht auf Computerspiele, verbunden mit Fragen, Anregungen und Handlungsempfehlungen, darstellen. Die in den Werkstätten erstellten Produkte bringen die Heranwachsenden einerseits in sogenannte Jugendtagungen ein und nutzen sie für weitere Aktivitäten in ihrem sozialen Umfeld, sei es Schule oder Jugendarbeit.
Das Projekt zielt insgesamt darauf ab,
## die Kompetenzen der Heranwachsenden in Bezug auf einen reflektierten, eigenverantwortlichen Umgang mit Computerspielen zu stärken und
## erfolgversprechende, innovative und präventive Ansätze in Bezug auf einen problematischen Umgang mit Computerspielen zu bündeln und weiterzuentwickeln.
www.gameslab.jff.de
Quelle: JFF-Institut für Medienpädagogik
Dokumente: GamesLab_Expertise_end_130318.pdf