Unterschiedlicher könnten die Ansichten zum Berufsbildungsbericht 2013 wohl kaum sein. Die Stellungnahme der Arbeitgebervertreter und die der Vertreter der Arbeitnehmer. Die einen sind der Auffassung, die Jugendlichen müssten passend für die Ausbildung gemacht werden. Die anderen plädieren für Veränderungen des Systems, damit Ausbildung für alle jungen Menschen gelingt. Die Arbeitgebervertreter nennen die Situation auf dem Ausbildungsmarkt „so gut wie noch nie“. Die Lage sei erfreulich positiv. Die Arbeitnehmervertreter sprechen dagegen von einer verpassten demografischen Chance und sehen die Ausbildungbereitschaft der Betriebe auf einem Tiefpunkt. Gefordert wird das Ende der Abschottung vieler Ausbildungsberufe für Jugendliche mit niedrigen Abschlüssen. Um personelle Kontinuität und Qualität im Übergangssystem zu gewährleisten, sprechen sich die Arbeitnehmervertreter für mind. 5 Jahre laufende Veträge aus. Zur Qualitätsverbesserung sei eine Reform des Vergaberechts notwendig. Die Vertreter der Bundesländer fordern in ihrem Votum eine Konzentration der Angebote des Übergangssystems auf die eigentliche Zielgruppe; auf Jugendliche, die noch nicht oder nicht vollständig ausbildungsreif sind. Diese Forderung lässt vermuten, zur Zeit befänden sich Jugendliche im Übergangssystem, die da gar nicht hingehörten. Wieso diese dann in Maßnahmen und Angeboten im Übergangsbereich zwischen Schule und Ausbildung gelandet sind, bleibt in allen Stellungnahmen unbeantwortet.
Auszüge aus dem Votum der Gruppe der Beauftragten der Arbeitgeber
zum Entwurf des Berufsbildungsberichts 2013:
„Bedarf der Betriebe an geeigneten Bewerbern wächst
Es erweist sich als zunehmende Herausforderung auf dem Ausbildungsmarkt, Jugendliche und Betriebe passgenau zusammenzubringen. Dies zeigt sich auch darin, dass neben der Zahl an unbesetzten Berufsausbildungsstellen auch die Zahl der unversorgten Bewerber gestiegen ist (+38,2 %). Wenn junge Menschen keinen Ausbildungsplatz in ihrem Wunschberuf gefunden haben, sollten sie auch alternative duale Ausbildungsberufe in Betracht ziehen. Dafür müssen sie frühzeitig ein großes Spektrum an Berufen kennenlernen. Aus Sicht der Wirtschaft ist der Schlüssel dafür eine flächendeckende und praxisnahe Berufsorientierung in der Schule. (…) So wie der Fachkräftemangel in einigen Regionen besonders hoch ist, stellt sich auch der Ausbildungsmarkt regional unterschiedlich dar. Jugendliche müssen dazu ermutigt werden, mobiler zu werden und auch Ausbildungsplätze außerhalb ihrer Heimatregion anzunehmen. Die bereits existierenden vielfältigen Unterstützungsmaßnahmen, wie zum Beispiel Jugendwohnheime, sollten dazu verstärkt und zielgerichtet eingesetzt werden.
Weitere Optimierung des Übergangsbereichs erforderlich
Die Wirtschaft begrüßt, dass die Zahl der Anfänger im Übergangsbereich weiter zurückgegangen ist (2012: 266.732; 2011: 284.922). (…) Dieser positive Trend entbindet Bund, Länder und Kommunen aber nicht von ihrer Verantwortung, die unübersichtliche Förderlandschaft des Übergangsbereichs deutlich zu lichten. (…) Oberstes Ziel müsse sein, Jugendliche mit Förderbedarf so betriebsnah wie möglich auf eine Ausbildung vorzubereiten. Angesichts einer Vielzahl offener Ausbildungsplätze muss die Vermittlung in eine Ausbildung oberstes Ziel sein. Gelingt dies nicht, sollten so viele Jugendliche wie möglich über eine betriebliche Einstiegsqualifizierung oder EQ-Plus fit für eine betriebliche Ausbildung gemacht werden. Zur Unterstützung der Betriebe und förderbedürftiger Jugendlicher sind mehr Kombinationen von EQs mit ausbildungsbegleitenden Hilfen nötig. Die Begleitforschung hat gezeigt, dass die Übergangsquoten von Einstiegsqualifizierungen mit mehr als 60 % weit höher liegen als die von schulischen Maßnahmen. Es befinden sich noch zu viele ausbildungsreife oder bedingt ausbildungsreife Jugendliche in schulischen Maßnahmen des Übergangsbereichs. Diese Reduzierung ineffizienter schulischer Übergangsmaßnahmen ist von besonderer Bedeutung, da das große Angebot in vielen Bundesländern betriebliche Qualifizierung erschwert oder verhindert.
Ein optimaler Übergang in Ausbildung kann nur gelingen, wenn die allgemeinbildenden Schulen nicht aus der Verantwortung entlassen werden. Ausbildungsreife und Berufsorientierung müssen vorrangig hier gesichert werden. (…) Die Wirtschaft unterstützt auch die Maßnahmen der Bundesregierung im Rahmen der „Bildungsketten“. Gerade lernschwächere Jugendliche brauchen – aufbauend auf Potenzialanalysen – individuelle Begleitung und Unterstützung. Die Wirtschaft unterstützt die Förderung der Berufseinstiegsbegleitung an allen Schulen und fordert die Länder auf, die notwendigen Kofinanzierungsmittel bereitzustellen. Eine solche Ausweitung der Berufseinstiegsbegleitung hilft vielen Jugendlichen effektiv und schafft die Basis, andere Fördermaßnahmen beim Übergang von Schule in Ausbildung zurückzufahren. (…)“
Und das sagen die Arbeitnehmer
Auszüge aus dem Votum der Gruppe der Beauftragten der Arbeitnehmer
zum Entwurf des Berufsbildungsberichts 2013:
„Trotz der demografischen Entspannung bleibt die Lage auf dem Ausbildungsmarkt enttäuschend. Die Wirtschaft hat sinkende Bewerberzahlen (…) kaum genutzt, um junge Menschen auszubilden, die bisher keine Chance hatten. Im Gegenteil, das Ausbildungsengagement der Unternehmen hat einen historischen Tiefstand erreicht: Die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge ist auf 551.271 Neuabschlüsse gefallen. (…)
Die Quote der ausbildenden Betriebe hat ebenfalls ein historisches Tief erreicht. Nur noch 21,7 Prozent der Betriebe bildeten im Jahr 2011 aus (2010: 22,5 Prozent, 2009: 23,5 Prozent, 2008: 24 Prozent, 1999: 23,6 Prozent).
Vor diesem Hintergrund ist es nicht nachvollziehbar, dass der Berufsbildungsbericht 2013 von einer guten Situation für „viele Jugendliche“ spricht. Trotz des vermeintlich entspannten Ausbildungsmarkts liegt der Anteil der Menschen ohne Berufsabschluss weiterhin hoch. Allein 1,39 Millionen Menschen im Alter von 20 bis 29 Jahren sind ohne Berufsabschluss. Damit liegt der Anteil der ausbildungslosen Jugendlichen bei 14,1 Prozent. Die hohe Zahl der jungen Menschen ohne Berufsabschluss passt nicht zu den Erfolgsmeldungen. (…)
Betriebe müssen ihr Einstellungsverhalten ändern/ausbildungsbegleitende Hilfen ausbauen
Die „faktische Abschottung“ vieler Ausbildungsberufe für Jugendliche mit niedrigeren Schulabschlüssen muss beendet werden. Hierzu brauchen die Unternehmen auch Hilfe. Deshalb sollten ausbildungsbegleitende Hilfen zu Regelangeboten für die Betriebe ausgebaut werden. Für jeden Auszubildenden wird dabei ein individueller Förderplan in Abstimmung mit dem Ausbildungsbetrieb erstellt, anhand dessen die Lernschritte und Lernerfolge verfolgt werden können. Das unterrichtende Personal setzt sich in der Regel aus erfahrenen Ausbildern und Lehrkräften zusammen. Die sozialpädagogischen Mitarbeiter/-innen (Sozialpädagogen) unterstützen die Auszubildenden bei deren beruflichen und privaten Problemen und helfen bei Lernproblemen und Prüfungsangst. (…)
Der Übergang von der Schule in den Beruf: Strukturen vereinfachen, Anschlüsse sichern, Ausbildung garantieren
Trotz des demografischen Wandels mündeten 2012 noch immer 266.700 junge Menschen in die Maßnahmen des so genannten „Übergangssystems“ ein. Diesen Maßnahmendschungel gilt es zu lichten. Wer in betriebliche, schulische oder Übergangsmaßnahmen bei Bildungsträgern startet, muss in jedem Fall die Garantie erhalten, einen anerkannten Berufsabschluss erwerben zu können.
Die Arbeitnehmervertreter/-innen schlagen vor, den Übergang Schule – Beruf klarer zu strukturieren: Jugendliche müssen nach erfolglosen Bewerbungen um einen betrieblichen Ausbildungsplatz ein Anrecht darauf haben, eine mindestens dreijährige Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf zu absolvieren. Bei der Berufswahl sind sowohl regionale Arbeitsmarktanforderungen sowie Berufswünsche der Jugendlichen zu berücksichtigen. Die individuelle Neigung und Fähigkeiten für einen bestimmten Beruf sind wichtige Voraussetzungen, um eine Ausbildung erfolgreich abzuschließen. Jugendliche, die keinen betrieblichen Ausbildungsplatz gefunden haben, erhalten einen Bildungsvertrag, der eine Ausbildung an einer berufsbildenden Schule oder bei einem außerbetrieblichen Bildungsträger für die gesamte mindestens dreijährige Ausbildungsdauer gewährleistet. Der Vermittlungsanspruch dieser Jugendlichen bei der BA bleibt in dieser Zeit aufrechterhalten und es soll regelmäßig überprüft werden, ob ein Wechsel in betriebliche Ausbildung möglich ist.
Nur Jugendliche, die zusätzliche Unterstützung benötigen, sollten Maßnahmen der Berufsvorbereitung besuchen. Alle anderen Jugendlichen brauchen ein Ausbildungsangebot. Die Berufsvorbereitung muss auf Kompetenzen ausgerichtet sein und auf Anschlüsse in einer Ausbildung. Betriebliche Angebote der Berufsvorbereitung haben Vorrang.
Wenn Jugendliche nicht in der Lage sind, eine duale Ausbildung oder eine Ausbildung an einer Berufsfachschule zu beginnen, soll ihnen eine betriebliche Einstiegsqualifizierung ermöglicht werden. Dabei ist sicherzustellen, dass sie auf die Ausbildung angerechnet werden und Mitnahmeeffekte der Betriebe vermieden werden. Zudem sollen Einstiegsqualifizierungen (EQ) auf junge Menschen mit höchstens einem Hauptschulabschluss konzentriert werden. Für alle EQ-Teilnehmer/-innen muss ein Berufsschulbesuch in entsprechenden Fachklassen möglich sein. (…)
Eine intensive Begleitung und Betreuung von Jugendlichen erfordert eine hohe Qualität der pädagogischen Fachkräfte. Deshalb müssen Personalstandards (Vertragsgestaltung; tarifliche/angemessene Höhe der Entlohnung; Aus-, Fort- und Weiterbildung) in Verbindung mit einer Verstetigung der Beschäftigungsverhältnisse im Übergang Schule – Beruf eingehalten werden. Eine Reform des Vergaberechts ist unverzichtbar: Die professionellen Einrichtungen im Bereich Übergang Schule – Beruf sollen künftig mindestens über fünf Jahre laufende Verträge erhalten. Nur so haben sie eine Chance, personelle Kontinuität und Qualität zu gewährleisten. Dazu bedarf es neuer gesetzlicher Regelungen, welche die Qualität und Nachhaltigkeit von Bildungsdienstleistungen garantieren. (…)
Validierung non-formal und informell erworbener Kompetenzen etablieren
Die Validierung non-formalen und informellen Lernens hat in der Bundesrepublik Deutschland noch wenig Gewicht. (…) Vor diesem Hintergrund begrüßen die Arbeitnehmervertreter/-innen, dass die europäische Berufsbildungspolitik seit Dezember 2012 um das zusätzliche Instrument Validierung non-formal und informell erworbener Kompetenzen erweitert wurde. Die Mitgliedsstaaten sollen bis 2018 Verfahren zur Validierung solcher Kompetenzen entwickeln. Die Arbeitnehmervertreter/-innen fordern das Bundesministerium für Bildung und Forschung auf, unter Beteiligung aller Berufsbildungsakteure zügig Vorschläge zu entwickeln. (…)“
Quelle: BIBB Hauptausschuss Stellungnahmen zum Entwurf des Berufbildungsbericht 2013