Wettbewerb in der Jugendhilfe – Die neue Praxis?

Öffnung der bilateralen Kartellstrukturen gefordert
Die Monopolkommission hat sich zuletzt in ihrem 12. Hauptgutachten 1996/1997 („Marktöffnung umfassend verwirklichen“) mit der Stellung der Freien Wohlfahrtspflege im sozialen Versicherungssystem beschäftigt und im Zuge dessen neokorporatistische Strukturen kritisiert, die sich als „bilaterales Kartell“ darstellten. Für eine Öffnung dieser damals vielfach weitgehend geschlossenen Strukturen der Wohlfahrtspflege forderte die Monopolkommission im Wesentlichen die konsequente Anwendung des GWB als Reformhebel, des Weiteren eine Nichtdiskriminierung anderer Leistungserbringer und einen ungehinderten Marktzugang, eine Reform des Gemeinnützigkeitsprivilegs auf der Grundlage der Nichtdiskriminierung bei einer reinen Orientierung am Förderungszweck sowie eine Subjektförderung anstelle der bislang überwiegend praktizierten Objektförderung.

Die Monopolkommission hat seit dem Erscheinen des 12. Hauptgutachtens erhebliche Fortschritte festgestellt. Wie dem inzwischen aufgehobenen Vorrang der Aufgabenerfüllung durch Freie Wohlfahrtsverbände. Dennoch identifiziert sie Privilegien weniger großer etablierter Anbieter wie der Liga zulasten Dritter. Drain sieht die Kommission Wettbewerbsverbehinderung und warnt vor negativen Folgen wie Überbürokratisierung, geringe Innovationen oder mangelndes Kostenbewusstsein. Das Leistungssystem der Kinder- und Jugendhilfe sei von Intransparenz geprägt. Mit einem Mehr an wettbewerblichen Sturkturen könne für eine effiziente und transparente Leistungserbringung gesorgt werden.

Leistungen kosteneffizient erbringen
Im Ergebnis sollte die öffentliche Hand die vorrangig privat zu erbringenden Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe vor allem kosteneffizient und qualitativ hochwertig gewährleisten. Es sollten transparente, an den Präferenzen der Leistungsberechtigten orientierte Strukturen geschaffen werden. Anbieter im Arbeitsbereich der Kinder- und Jugendhilfe dürfen nicht diskriminiert werden (Freiheit auf Anbieterseite), und den Leistungsberechtigten als primären Nachfragern muss ein möglichst vielfältiges, bedarfsgerechtes Angebot zur Verfügung stehen (Freiheit auf Nachfragerseite).

Sozialrechtliches Dreiecksverhältnis garantiert Pluralität
Die AGJ weist darauf hin, dass sich seit der Veröffentlichung des Zwölften Hauptgutachtens in der Kinder- und Jugendhilfe eine Intensivierung des Wettbewerbs bei der Erbringung sozialer Dienstleistungen und eine teilweise Neuregelung von Finanzierungsstrukturen durchgesetzt haben. Viel wesentlicher sei aber, dass die Beibehaltung und Umsetzung des Sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses in der Kinder- und Jugendhilfe den öffentlichen Träger in der Wahrnehmung seiner Verantwortung stärke sowie seiner Verpflichtung zur Planung und Gewährleistung einer bedarfsgerechten Angebots- und Trägervielfalt Rechnung trüge. Freie Träger garantierten im Rahmen des Sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses die rechtlich gebotene Pluralität des Leistungsangebotes und trügen so entscheidend dazu bei, dass Nutzer und Nutzerinnen von Leistungen und Angeboten ihr Wunsch- und Wahlrecht realisieren können. Eine Anwendung des Vergaberechtes würde von daher im Widerspruch zu zentralen Grundprinzipien des SGB VIII stehen.

Für die Monoplkommission erscheint es dennoch dringend wünschenswert, in der Kinder- und Jugendhilfe die Transparenz und die institutionenübergreifende Erhebung und Nutzung (volks-) wirtschaftlich relevanter, disaggregierter Daten (z. B. konkrete Fördersummen der öffentlichen Hand) zu verbessern. Dazu gibt die Kommission Handlungsempfehlungen ab.

Auszüge aus den Handlungsempfehlungen der Monopolkommission für mehr Wettbewerb in der deutschen Kinder- und Jugendhilfe:

(…) Grundfreiheiten und Kartellrecht
Die vier Grundfreiheiten der europäischen Verträge gelten grundsätzlich auch im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe. Daraus ergeben sich insbesondere Ansprüche privater Anbieter auf Transparenz und Diskriminierungsfreiheit. Parallel ist das deutsche und das europäische Kartellrecht je nach Konstellation, Sachbereich und genauer Ausgestaltung der einzelnen Beziehungen durchaus auch im Bereich des SGB VIII anwendbar. Hier ist insoweit von erheblicher Bedeutung, dass der Leistungsempfänger insbesondere auf Grundlage des Wunsch- und Wahlrechts im Mittelpunkt steht und insoweit zentral substanzielle und weitreichende marktliche Elemente vorgesehen sind. (…)

Vergaberecht
Ob das Vergaberecht auf die Kinder- und Jugendhilfe Anwendung findet, ist nicht vollständig geklärt. In jedem Fall kommt es entscheidend auf die genaue Ausgestaltung des Leistungsverhältnisses an. Hohe Transaktionskosten, die bislang Vergabeverfahren unattraktiv erscheinen lassen, sollten durch das Anknüpfen an Verfahrens- und Dokumentmuster, Best-Practices etc. sowie institutionenübergreifende Erfahrungen und Lerneffekte erheblich reduziert werden können. Aktuell unterliegt das europäische Vergaberecht einer Reformierung. Die Monopolkommission begrüßt das neue europäische Vergaberichtlinienpaket, da es bisherigen Bedenken gegen die Anwendung des Vergaberechts auf die Kinder- und Jugendhilfe in Form eines neuen „Sozialvergaberechts“ Rechnung trägt. Über die in den neuen Vergaberichtlinien vorgesehene Vereinfachung von Vergaben hinaus müssen die Möglichkeiten zum zentralen Aufbau von Verfahrenswissen und zur Erleichterung institutionenübergreifenden Erfahrungsaustauschs ausgeschöpft werden. Zentral erscheint der Monopolkommission ferner, die Potenziale einer Steigerung der Transparenz auch im sozialen Bereich zu nutzen. Nicht zuletzt die durch die neuen Vergaberichtlinien vorgeschriebene e-Vergabe und darauf aufbauende öffentliche und verwaltungsinterne Plattformen bieten hier vielfältige Anknüpfungspunkte. Zukünftig ist zu erwarten, dass Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe insbesondere unter Geltung des zu schaffenden Sozialvergaberechts verstärkt ausgeschrieben werden. So werden etwa ab 2016 auch Dienstleistungskonzessionen als vergaberechtlich relevant eingestuft.

Entgeltreform
Bei der Entgeltreform ermutigt die Monopolkommission die Kommunen, die Fortführung durch eine konsequente Anwendung von Leistungs-, Entgelt- und Qualitätsentwicklungsvereinbarungen weiter voranzutreiben. Dabei verkennt die Monopolkommission nicht die besonderen Schwierigkeiten bei der Beurteilung der Qualität von Leistungen. Hier scheint insoweit für Kommunen ein Überblick über Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Form landes- sowie möglicherweise bundesweiter Datenbanken hilfreich, um daraus für die Zukunft Bewertungsregeln und -kriterien ableiten zu können, die Kostentransparenz zu verbessern und Anbieter so besser vergleichen zu können. In diesem Kontext erachtet die Monopolkommission auch die Möglichkeit einer Leistungsbewertung hinsichtlich bestimmter Kriterien in allen Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe durch betroffene Familien als hilfreich für eine Leistungs- und Qualitätsmessung. (…)

Steuerliche Privilegien gemeinnütziger Träger
Das jahrzehntelange partnerschaftliche Zusammenwirken von öffentlichen Stellen und Trägern der Freien Wohlfahrtspflege machte und macht es auch heute noch Dritten häufig schwer, Dienstleistungen auf dem Markt der Kinder- und Jugendhilfe anzubieten. Das SGB VIII von 1990 hatte eine zumindest partielle Aufwertung privater Träger, die nicht in den sechs Spitzenverbänden organisiert sind, zur Folge. Dennoch existieren nach Auffassung der Monopolkommission noch immer zahlreiche Privilegien, die i. d. R. eng mit dem Status der Gemeinnützigkeit der Leistungserbringer verbunden sind.

Im Gegensatz zu privat-wirtschaftlichen Anbietern profitieren gemeinnützige Organisationen von einer Vielzahl von Steuerprivilegien, wie etwa der Befreiung von der Körperschaftsteuer, dem Spendenprivileg und dem Übungsleiterprivileg. Die Monopolkommission steht einer solchen Privilegierung einzelner, als gemeinnützig anerkannter Einrichtungen grundsätzlich kritisch gegenüber. Ökonomisch betrachtet kann eine steuerliche Subventionierung etwa im Bereich der Mildtätigkeit gerechtfertigt sein, wenn eine Leistung von privaten Anbietern nicht oder in geringerem Maße bereitgestellt würde, als dies gesamtwirtschaftlich wünschenswert wäre. Zu einer solchen Unterversorgung kann es kommen, wenn der Nutzen, den bestimmte Güter oder Leistungen für Dritte haben, bei der Bereitstellung nicht ausreichend berücksichtigt (internalisiert) wird. Bei vielen entgeltlichen Angeboten in der Kinder- und Jugendhilfe, für deren Inanspruchnahme regelmäßig ein Rechtsanspruch besteht, ist jedoch davon auszugehen, dass eine steuerliche Förderung im Sinne der Gemeinnützigkeit nicht nur nicht notwendig, sondern in vielfacher Hinsicht problematisch zu bewerten ist. Dies gilt um so mehr, wenn es dadurch zu Wettbewerbsverzerrungen kommt. (…)

Institutionelles Wettbewerbshindernis: Der Jugendhilfeausschuss
Im Jugendhilfeausschuss, dem zentralen Steuergremium des Jugendamtes, verfügen neben den öffentlichen die anerkannten Träger der freien Jugendhilfe über ein wesentliches Mitspracherecht hinsichtlich der Jugendhilfeplanung, der finanziellen Ausstattung und der Auswahl der zu fördernden Maßnahmen. Die Monopolkommission sieht einen Interessenkonflikt und eine Minderung der Entscheidungsqualität, wenn Vertreter anerkannte Träger der freien Jugendhilfe an Entscheidungen beteiligt sind, von denen sie mitunter in erheblichem Maße selbst tangiert werden. Die Monopolkommission fordert daher, ein Stimmrecht ausschließlich dem öffentlichen Wohl verpflichteten politisch legitimierten Mitgliedern der Vertretungskörperschaft des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe bzw. von der Vertretungskörperschaft gewählten Personen einzuräumen, die in der Jugendhilfe erfahren sind. Andere Akteure sollten eine Beratungsfunktion innehaben und auf diese Weise ihre Erfahrungen und Vorschläge einbringen.“

Auch wenn beide Dokumente aus Frühjahr 2014 stammen, haben sie nichts an Aktualität eingebüßt. Die EU-Richtlinien zur Refom des Vergaberechts sind am 17. April 2014 in Kraft getreten. Deutschland bleiben zwei Jahre Zeit, um diese in nationales Recht umzusetzen. Da ist jetzt der richtige Zeitpunkt, sich nachhaltig für den Erhalt des Sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis stark zu machen.

Quelle: AGJ, Monopolkommission

Dokumente: 1_Kap_5_A_HG20.pdf

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