Auszüge aus dem Policy Brief Ankommen und Bleiben –
Wohnsitzauflagen als integrationsfördernde Maßnahme? des SVR-Forschungsbereichs:
„(…) Bund, Länder, Kommunen und Zivilgesellschaft haben die großen Herausforderungen der Aufnahme vieler Hunderttausend Flüchtlinge seit Sommer 2015 inzwischen weitgehend bewältigt. Nun stehen sie vor der Aufgabe, die schutzberechtigten Zuwanderer vor Ort zu integrieren. Bisher konnten diese Menschen ihren Wohnort in Deutschland frei wählen, sobald sie als Schutzberechtigte anerkannt waren und eine Aufenthaltserlaubnis hatten. Viele zogen dann um, oft in westdeutsche Großstädte und Ballungszentren. Diese Zu- und Abwanderung schafft sowohl für die betroffenen Kommunen als auch für die Schutzberechtigten selbst neue Herausforderungen. Zum einen werden die Zuzugskommunen finanziell stärker belastet, da sie die Grundsicherung der meisten Flüchtlinge tragen müssen. Eine angemessene Planung von Integrationsmaßnahmen wird für die aufnehmenden ebenso wie für die abgebenden Kommunen erschwert. Zum anderen können sich dadurch für die Flüchtlinge die vor Ort ohnehin häufig ungünstigen Rahmenbedingungen für Integration (z. B. fehlende Arbeitsmöglichkeiten) weiter verschlechtern.
Im August 2016 ist nun das Integrationsgesetz in Kraft getreten, das durch eine Neuregelung im Aufenthaltsrecht die Wohnortwahl für Schutzberechtigte erheblich einschränkt: Flüchtlinge, die soziale Transferleistungen beziehen, müssen ab dem Zeitpunkt ihrer Anerkennung drei Jahre lang in dem Bundesland leben, in das sie als Schutzsuchende verteilt wurden, während ihr Asylverfahren lief (gesetzliche Wohnsitzpflicht). Für diese Zeit können die Landesbehörden ihnen auch einen bestimmten Wohnort innerhalb des Landes zuweisen (behördliche Wohnsitzauflage); eine solche Zuweisung muss allerdings integrationspolitisch begründet sein. Unter der gleichen Maßgabe können sie auch den Zuzug für bestimmte Orte untersagen. (…)
Bei der Anwendung der Wohnsitzregelung müssen die jeweiligen konkreten Integrationsvoraussetzungen vor Ort angemessen berücksichtigt werden, um die Integrationschancen von anerkannten Flüchtlingen tatsächlich zu verbessern – denn das ist der zentrale Anspruch der im August 2016 eingeführten Maßnahme. Für abgelegene ländliche Gebiete oder strukturschwächere Regionen, die von prosperierenden Ballungsräumen oder großstädtischen Zentren weiter entfernt liegen, kann die Steuerung der Ansiedlung darüber hinaus eine bevölkerungs- und strukturpolitische Chance bedeuten. (…)
Für die Politik ergeben sich konkrete Handlungsempfehlungen, wenn diese ‚doppelte Chance‘ genutzt werden soll:
##Es sollten systematisch belastbare Daten erhoben werden, die das Phänomen der Weiterwanderung sichtbar machen. Damit lassen sich auch die ergriffenen Maßnahmen überprüfen und bewerten. Eine solche Datenbasis könnte entweder über das Ausländerzentralregister oder durch eine neue Personendatei auf Landesebene geschaffen werden.
##Auf kommunaler Ebene sollten alle Stellen zusammenarbeiten, die für die Integration vor Ort wichtig sind, z. B. Ausländerbehörden und Sozialämter. Die Verwaltungsspitzen in den Landrats- und Bürgermeisterämtern sind im Hinblick auf die Integration der Schutzberechtigten geeignet, eine steuernde und vermittelnde Funktion als �Navigator‘ zu übernehmen, Behörden und öffentliche Einrichtungen gezielt zu koordinieren und dabei auch nichtstaatliche und zivilgesellschaftliche Akteure im Sinne einer horizontalen Vernetzung einzubeziehen. Auf der Ebene der einzelnen Gemeinde sollte sich dieser Vernetzungsprozess fortsetzen.
##Die verschiedenen Verwaltungsebenen zwischen den föderalen Ebenen Bund, Land, Landkreis und Gemeinde müssen sich stärker austauschen, um integrationspolitische Fördermaßnahmen nachhaltig wirksam werden zu lassen. Insbesondere Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik, Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten, Sprach- und Integrationskursangebote, Wohnraumförderung und Mobilitätskonzepte müssen künftig stärker strategisch verknüpft und institutionell aufeinander abgestimmt werden. (…)“
Link: www.svr-migration.de/publikationen/Wohnsitzauflage/
Quelle: Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration: Katholische Nachrichtenagentur