Armut. Eine amerikanische Katastrophe – mit Parallelen zu Deutschland

Der US-Soziologe Matthew Desmond sucht in seinem neuen Buch nach Ursachen für „die ganze Armut“ und präsentiert Lösungen. Er beschränkt sich dabei zwar auf die USA – doch es gibt durchaus Parallelen zu Deutschland. Wenn der Autor beispielsweise der Frage nachgeht, ob höhere Sozialleistungen arme Menschen faul werden ließen, erinnert das an die Debatte, die in Deutschland um die Höhe und Ausgestaltung des Bürgergeldes geführt wird.

Die Armen haben kein Talent zur Abhängigkeit

Viele Thesen trägt der Autor provokant vor. Der Traum vom Tellerwäscher zum Millionär sei seit Langem ausgeträumt. Die Armutsquote liege bei über zwölf Prozent. Gravierend sei vor allem die hohe Zahl der Menschen (rund 18 Millionen Amerikaner*innen), die in bitterer Armut lebten und kaum mehr ihren Lebensunterhalt bestreiten könnten – und das in der nach wie vor größten Volkswirtschaft der Welt.

Die Frage, warum es diese Armut in einem reichen Land wie den USA überhaupt geben muss, beantwortet der Soziologe damit, dass zig Millionen Amerikaner nicht durch eine Irrung der Geschichte oder eine persönliche Fehlentscheidung fortbestehend in Armut leben, sondern weil einige Leute es so wollten.

Dafür verantwortlich ist aus Sicht Desmonds einerseits eine stagnierende Politik der Armutsbekämpfung. Andererseits sieht Desmond bei jedem Einzelnen eine Verantwortung, Armut zu bekämpfen. Er nennt es eine Entscheidung, nicht länger „als unbewusster Feind der Armen zu leben“.

Bei der Frage, ob höhere Sozialleistungen arme Menschen faul werden ließen, kommt der Soziologe auf die USA bezogen zum Ergebnis, dass an dem Mythos nichts dran sei. So blieben jährlich Milliarden Dollar an Sozialhilfe liegen, weil der Großteil der armen Menschen entweder aus Unwissen oder Scheu vor der Bürokratie die erforderlichen Anträge dafür nicht stelle. „Die Armen haben kein Talent zur Abhängigkeit“, konstatiert der Autor. Er stellt zugleich klar, dass Familien der Mittel- und Oberschicht die ihnen zugedachten Unterstützungen durchaus ausschöpften, alleine schon in der jährlichen Steuererklärung.

Bereits 2017 befasste sich Desmond mit Armut im städtischen Kontext. Er wurde für sein Werk „Zwangsgeräumt. Armut und Profit in der Stadt“ mit dem Pulitzer-Preis für Sachbücher ausgezeichnet. Sein aktuelles Werk schließt thematisch daran an. Zunächst werden die Armutsproblematik und ihre Auswirkungen auf die unterschiedlichen Lebensbereiche beschrieben. Anschließend entfaltet der Soziologe Lösungsansätze und fordert „die Mauern niederzureißen“, die Reiche von Armen oder Weiße von Schwarzen trennen.

Matthew Desmond: _Armut. Eine amerikanische Katastrophe_, Rowohlt Verlag Hamburg 2024, 303 Seiten, 20,00 Euro.

Quelle: KNA

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