In der Ausgabe “Jugend 2025” der Zeitschrift „Aus Politik und Zeitgeschichte“ (APuZ) der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) überzeugt Armutsforscherin Dr. Irina Volf mit ihrem Beitrag „Kinder und Jugendarmut. Ein Fakten- und Lebenslagencheck“ (APuZ 3637/2025) durch eine klar strukturierte und zugleich eindringliche Analyse der Situation junger, von Armut betroffener Menschen in Deutschland. Wer sich für gesellschaftliche Gerechtigkeit, Teilhabe und Jugendsozialarbeit interessiert, sollte diesen Artikel lesen. Der Artikel verbindet empirische Daten mit der Lebenswirklichkeit junger Menschen und wirft wichtige Fragen für Politik und Praxis auf.
Volf beginnt mit anschaulichen Alltagssituationen: Einladungen, die man absagt. Gespräche über Konsumwünsche, an denen man nicht teilhaben kann. Oder unausweichliche Fragen nach Ferienerlebnissen, auf die man schweigend oder mit Ausreden reagiert, weil das Geld für eine Reise fehlte. Diese Szenen bestimmen den Grundton: Armut ist nicht nur eine statistische Größe, sondern beeinflusst Gefühle, Beziehungen, Teilhabe und Entwicklungschancen.
Nach den Beispielen liefert sie einen Faktencheck mit aktuellen Daten: Rund drei Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland sind von relativer Armut bedroht. Volf zeigt, wie Armut nicht nur das Einkommen betrifft, sondern ganze Lebenslagen beeinflusst – etwa psychische Belastungen, gesundheitliche Risiken, eingeschränkte Mobilität und begrenzte Bildungschancen. Ihr Lebenslagencheck beleuchtet, wie sich Armut von der Kindheit bis ins junge Erwachsenenalter zieht – oft unsichtbar, häufig unterschätzt, aber mit langfristigen Folgen.
Armutsbetroffene Kinder und Jugendliche entwickeln häufig Strategien des Vermeidens oder Verbergens – etwa das Verschweigen von Mangelerfahrungen oder das Vortäuschen von Normalität im Schulalltag. Diese Dynamik führt zu Stigmatisierung und sozialer Isolation, was wiederum das Gefühl verstärkt, ausgeschlossen zu sein. Volf spricht hier von einem „Erfahrungsschatz des Verzichts“, den viele junge Menschen mit sich tragen. Nicht zuletzt betont die Autorin die Lebensverlaufsperspektive: Armut in jungen Jahren bleibt nicht ohne Folgen. Wer in Armut aufwächst, hat deutlich schlechtere Chancen auf Bildung, soziale Teilhabe und ein selbstbestimmtes Leben. Die Risiken, dauerhaft von Benachteiligung und/oder sozialen Exklusion betroffen zu sein, reichen weit bis ins Erwachsenenalter hinein. Dass sich Armutslagen oft über Generationen hinweg verfestigen, konnte Volf auch bereits in Langzeitstudien nachweisen, die sie beim Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (ISS) für die Arbeiterwohlfahrt (AWO) begleitet hat. Mindestens ein Drittel der armutsbetroffenen jungen Menschen ist auch im Erwachsenenalter arm.
Der Monitor „Jugendarmut in Deutschland“ der Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit (BAG KJS) e. V. bestätigt und ergänzt diese Erkenntnisse und Perspektiven. Besonders deutlich wird dies bei der Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen, in der im Jahr 2023 mehr als jede*r Vierte als armutsgefährdet galt. Der Monitor verweist zudem auf strukturelle Ursachen wie mangelnden Wohnraum, fehlende Bildungsabschlüsse oder geringe Mobilitätschancen – Themen, die auch Volf aufgreift. Sowohl Volfs Artikel als auch der Jugendarmutsmonitor verdeutlichen, dass Jugendarmut kein Randphänomen ist, sondern ein strukturelles Problem mit gesamtgesellschaftlicher Relevanz und intersektionalen Verschränkungen.
Dabei fällt auf, dass Volf von „rund drei Millionen“ armutsgefährdeten Kindern und Jugendlichen spricht, während der Monitor „über vier Millionen“ nennt. Dieser Unterschied erklärt sich aus der Altersabgrenzung: Während Volf sich vor allem auf unter 18-Jährige konzentriert, rechnet der Jugendarmutsmonitor auch junge Erwachsene bis 25 Jahre mit ein. Damit wächst nicht nur die Gruppe, sondern auch die absolute Zahl der Betroffenen – ohne dass sich die Armutsdefinition ändert. Volf gelingt es, komplexe Zusammenhänge verständlich aufzubereiten. Die Analyse von Risikofaktoren fördert Verständnis für strukturelle Armutsursachen. Ergänzend dazu bietet der Blick auf die soziodemografische Zusammensetzung der von Armut betroffenen Menschen eine weitere wichtige Perspektive. Es gelingt Volf, Armut nicht als individuelles Versagen, sondern als Ausdruck gesellschaftlicher Ungleichheit und struktureller Hürden zu erklären. Der Jugendarmutsmonitor der BAG KJS formuliert konkrete Forderungen, etwa zu Bildungsreformen, Mobilitätsförderung und sozialer Infrastruktur. Auch vulnerable Gruppen wie Careleaver oder junge Geflüchtete finden dort stärkere Beachtung. Wer die Analyse Volfs mit dem Monitor verknüpft, erhält ein umfassenderes Bild – analytisch fundiert und praxisrelevant. In Kombination mit dem Jugendarmutsmonitor bildet der Aufsatz in der APuZ eine wichtige Grundlage für Diskussionen und eine Handlungsorientierung – in der Jugendsozialarbeit ebenso wie in Politik und Gesellschaft. Beide Veröffentlichungen verdienen breite Aufmerksamkeit und sind ein eindringlicher Appell, das Thema Jugendarmut endlich zur politischen Priorität zu machen.
Autorin: Silke Starke-Uekermann