Eine gesunde und ausgewogene Ernährung ist nicht nur ein Grundbedürfnis, sondern auch ein Menschenrecht, wie es im Artikel 11 des UN-Sozialpakts festgelegt ist. Aktuelle ernährungswissenschaftliche und rechtliche Analysen zeigen jedoch, dass das derzeitige Bürgergeld in Deutschland nicht ausreicht, um dieses Recht zu gewährleisten. Die beiden Jurist*innen Sarah Lincoln und Ulrike Müller stellen im Verfassungsblog die Frage, ob das Bürgergeld in seiner jetzigen Form verfassungswidrig ist. Die Gruppe der Linken im Deutschen Bundestag hatte bei der Kanzlei „Rechtsanwälte Günther“ ein Gutachten in Auftrag gegeben, das analysiert, ob die Höhe des Bürgergeldes mit dem Recht auf angemessene Ernährung vereinbar ist. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit (BAG KJS) e. V. stellt in ihrem Politikbrief „Jugendarmut macht krank“ heraus, dass Familien mit wenig Geld sich kaum gesunde Lebensmittel leisten können. Die Berechnung des Existenzminimums spielt im Kampf gegen (Jugend)Armut eine entscheidende Rolle.
Die Berechnung des Existenzminimums und ihre Probleme
Seit 2010 basiert die Berechnung des Existenzminimums in Deutschland auf einem Statistik-Warenkorb-Modell. Lincoln und Müller führen anschaulich aus, wie die Berechnungen erfolgen. Die letzte Anpassung des Existenzminimums nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts führte lediglich zu einer marginalen Erhöhung der Leistungen. Den Autor*innen zu Folge ist zu kritisieren, dass die Berechnung nicht die tatsächlichen Ausgaben für eine gesunde Ernährung berücksichtigen. Nach aktuellen Studien koste eine gesunde Ernährung mehr als die im Bürgergeld veranschlagten Beträge. So sehe das auch der wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Er komme zu dem Schluss, dass die aktuellen Regelbedarfe für Ernährung im Bürgergeld nicht ausreichen. Eine gesunde Ernährung entsprechend den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) sei mit den derzeitigen Sätzen nicht finanzierbar.
Ein Bericht des Wissenschaftlichen Beirats von 2023 zeige, dass insbesondere Kinder und Jugendliche unter den aktuellen Regelungen litten. Mangelernährung in jungen Jahren könne zu langfristigen gesundheitlichen und kognitiven Schäden führen. Laut Lincoln und Müller forderte der Beitrat eine Anpassung der Berechnungsmethoden des Regelbedarfs, um eine angemessene Ernährung sicherzustellen.
Ernährung und Gesundheit bei einem Leben in Armut
Der Zusammenhang zwischen Ernährung, Gesundheit und Armut ist gut dokumentiert und zeigt sich in mehreren Dimensionen. Armut führt oft zu einem eingeschränkten Zugang zu qualitativ hochwertigen Lebensmitteln, was eine ausgewogene Ernährung erschwert. Infolgedessen neigen einkommensschwache Haushalte dazu, günstigere, aber weniger nährstoffreiche Nahrungsmittel zu kaufen. Diese Ernährungsweise, oft reich an Kalorien, aber arm an essentiellen Nährstoffen, kann zu einer Reihe von gesundheitlichen Problemen führen, darunter Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und andere chronische Krankheiten.
Gesundheitliche Probleme verschärfen die Armutssituation zusätzlich. Menschen, die aufgrund einer unzureichenden Ernährung erkranken, sind oft weniger leistungsfähig und können weniger arbeiten, was ihr Einkommen weiter reduziert. Dies führt zu einem Teufelskreis, in dem Armut und schlechte Gesundheit sich gegenseitig verstärken. Besonders betroffen sind Kinder und Jugendliche, deren körperliche und geistige Entwicklung durch Mangelernährung beeinträchtigt wird, was langfristige Auswirkungen auf ihre Bildungs- und Berufschancen hat.
Die BAG KJS setzt sich intensiv für die Bekämpfung von Jugendarmut ein. In ihrem Politikbrief „Jugendarmut macht krank“ betont die BAG KJS, dass Armut gravierende Auswirkungen auf die Gesundheit junger Menschen hat. Sie fordert daher konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Gesundheitschancen armer Jugendlicher. Dazu zählen:
- Bessere finanzielle Unterstützung: Erhöhung der Regelsätze im Bürgergeld, um eine gesunde Ernährung und grundlegende Gesundheitsbedürfnisse zu decken.
- Bildungs- und Beratungsangebote: Zugang zu gesundheitsfördernden Bildungs- und Beratungsangeboten, um junge Menschen über gesunde Lebensweisen zu informieren und zu unterstützen.
- Inklusive Gesundheitsversorgung: Sicherstellung einer flächendeckenden und inklusiven Gesundheitsversorgung, die auf die spezifischen Bedürfnisse armer Jugendlicher eingeht.
Diese Forderungen zielen darauf ab, die gesundheitlichen und sozialen Bedingungen junger Menschen in Armut zu verbessern und ihnen eine bessere Zukunftsperspektive zu bieten.
Verfassungsrechtliche und völkerrechtliche Perspektiven
Das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Entscheidungen betont, dass die Berechnung der Regelbedarfe transparent und empirisch fundiert sein muss. Die aktuelle Berechnungsmethode stehe nach Lincoln und Müller in der Kritik, diese Anforderungen nicht zu erfüllen. Die verfassungsrechtliche Dimension dieses Problems liege in der Frage, ob das Bürgergeld das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum gewährleiste.
Völkerrechtlich verpflichte der UN-Sozialpakt die Vertragsstaaten, das Recht auf angemessene Ernährung zu gewährleisten.
Ein Rechtsgutachten, dass die Linke im Bundestag beauftragt hatte, kommt zu dem Schluss, dass die Höhe des Bürgergeldes dieses Recht verletzt. Die Kanzlei „Rechtsanwälte Günther“ belegt, dass die finanziellen Mittel im Bürgergeld nicht ausreichten, um sowohl eine gesunde Ernährung als auch andere grundlegende Bedürfnisse zu decken. Dies stelle eine Verletzung des Artikels 11 des UN-Sozialpakts dar. Es besteht dringender Handlungsbedarf, die Berechnungsmethoden zu überprüfen und anzupassen. Eine mögliche Lösung könnte in der Erhöhung der Regelbedarfsanteile für Ernährung oder der Vergrößerung der Referenzgruppe bei der Berechnung des Existenzminimums liegen.
Quelle: Verfassungsblog; Der Beitrag von Lincoln und Müller erschien in dem journalistisches und wissenschaftliches Diskussionsforum Verfassungsblog. Diskutiert werden aktuelle Ereignisse und Entwicklungen im Verfassungsrecht und der Verfassungspolitik in Deutschland sowie dem entstehenden gemeinsamen europäischen Verfassungsraum.