Die Lockerungen der Corona bedingten Einschränkung halten nur langsam im Bildungswesen Einzug. Angebote der Sozialen Arbeit sind immer noch weit davon entfernt wieder normal arbeiten zu können. Die finanzielle Absicherung von Trägern, Personal und Maßnahmen bestimmen weitestgehend die Debatte um die Auswirkungen des Lockdowns. Ergänzend dazu richten die “Jugendsozialarbeit News” in einer Reihe den Blick auf die Jugendlichen in der Jugendsozialarbeit. Wir fragen “WIE GEHT ES EIGENTLICH DEN JUGENDLICHEN…” und geben der Berichterstattung zur Coronakrise damit eine andere Ausrichtung. Martina Uhlenkamp ist Geschäftsführerin beim IN VIA-Diözesanverband Osnabrück. IN VIA ist Träger der Schulsozialarbeit an zwei Förderschulen und drei Gymnasien im Landkreis Osnabrück. In Niedersachsen fließen die kommunalen Mittel für die Schulsozialarbeit weiter. In der Corona-Krise ist die Wertschätzung von Schulen für die IN VIA Arbeit sogar noch gestiegen und die Arbeit ist von Zusammenhalt geprägt. Trotz aller Herausforderungen ist Martina Uhlenkamp zuversichtlich.
Wie geht es den Jugendlichen? Wie gehen sie mit der Situation um?
Martina Uhlenkamp: Die Jugendlichen gehen sehr unterschiedlich damit um. Sie vermissen die Kontakte mit anderen Jugendlichen. Tägliche Treffpunkte können nicht mehr angesteuert werden. Es gibt viel Langeweile und aufgeladene Stimmung in den Familien. Die anfängliche Unsicherheit bezüglich der Gefährlichkeit des Virus und den notwendigen Verhaltensmaßnahmen werden langsam weniger.
Es gibt allerdings auch Familien, wo es den Kindern gut tut, nicht mehr zur Schule gehen zu müssen, nicht pünktlich morgens um 7.20 Uhr da zu sein. Schwierigen Situationen, z.B. unter Mitschüler*innen, dem Druck durch die Anforderungen und die Auseinandersetzungen mit den Lehrkräften sind sie momentan nicht ausgesetzt.
Die Umgangsweise ist auch sehr individuell. In gut funktionierenden Familiensystemen unternehmen die Familien mehr miteinander. Viele Kinder/Jugendliche sind allerdings auch sich selbst überlassen. Sie chillen bzw. schlafen viel und lange, halten sich viel im Internet auf oder spielen exzessiv Computerspiele.
Mit welchen Schwierigkeiten haben die Jugendlichen besonders zu kämpfen?
Martina Uhlenkamp: Sie haben Unsicherheiten bezüglich der Coronasituation: „Was darf ich noch? Was ist verboten aber kann ich vielleicht trotzdem machen?“ Neben dem Vermissen der regelmäßigen Treffen mit Freund*innen, leiden sie unter der hohen Belastung ihrer Eltern. Gerade die fehlende Tagesstruktur ist vor allem in belasteten Familien ein großes Thema.
Bezüglich der Lernsituation erleben Viele Überforderung mit dem digitalen Lernen. Die technische Ausstattung – nicht selten verfügen die Schüler*innen ausschließlich über ein Handy – ist unzureichend. Sie haben dann auch keine Möglichkeit, Aufgaben auszudrucken.
Es gibt teils Verständnisprobleme, weil Aufgaben nicht richtig verstanden werden und die Schüler*innen sich dann nicht trauen, nochmal nachzufragen. Es gibt auch wenige positive Erfahrungen von Schüler*innen, die in der Schule große Schwierigkeiten hatten, etwa, weil sie Probleme in der Kommunikation mit Lehrkräften hatten. Manche dieser Schüler*innen lernen zuhause, oft mit hohem Einsatz der Mütter, gut und entspannter. Diese Erfahrung machen wir bei zwei Schülern aus der Familienklasse. Eine enge Zusammenarbeit mit den Müttern ist dabei wichtig.
Wie gestalten Sie momentan Ihren Kontakt zu den Jugendlichen?
Martina Uhlenkamp: Wir haben uns schnell, flexibel und kreativ auf die Umstände eingestellt und Angebote umgestellt. Zu den meisten Jugendlichen und Familien besteht tatsächlich beständig Kontakt, die Begleitung ist zwar nur eingeschränkt möglich, aber Beziehungsarbeit grundsätzlich dennoch gegeben.
Wir nutzen wieder vermehrt WhatsApp in Messengerfunktion und als Videochat. Das ist in Niedersachsen seit Beginn der Coraonakrise an Schulen erlaubt. Wir schreiben den Schüler*innen und Familien Briefe. Wir bringen ihnen ihre Aufgaben vorbei, leihen Spiele aus, telefonieren, machen mit ihnen Spaziergänge 1zu1 mit Maske und Abstand.
Sie haben ja mit dem Familienklassenzimmer ein besonderes Konzept.
Martina Uhlenkamp: Wir arbeiten mit einigen Schüler*innen im Familienklassenzimmer. Da gehen die Eltern einmal pro Woche mit in die Schule und lernen, gemeinsam mit ihren Kindern, die Probleme zu lösen. Seit Beginn der Coronazeit können wir uns leider nicht mehr in der Schule im Familienklassenzimmer treffen, sondern führen ein virtuelles Familienklassenzimmer in einem Video-Gruppenmeeting durch.
Wie sieht Ihre Förderung und Beratung, etwa über digitale Tools, aus? Welche Erfahrungen machen Sie damit?
Martina Uhlenkamp: Alle lernen viel dazu, vor allem die Pädagog*innen! Die Kinder, Jugendlichen und Eltern sind sehr dankbar über jede Form der Kontaktaufnahme! Über WhatsApp ist ein Videochat bei fast allen Schüler*innen/Familien möglich, es ist jedoch auch anstrengend. Es gibt meistens viele Nebengeräusche, verzerrte Bilder und vor allem mit Migrantenfamilien oft Verständnisprobleme. Einige Familien haben inzwischen die Software von „Zoom“. Die Kommunikation funktioniert sehr gut. Die Familien berichten in den Videochats sehr stolz, was sie alles geschafft haben und wie sie ihren Alltag meistern.
Was bräuchten die Jugendlichen jetzt? Was könnten Einrichtungen der Jugendsozialarbeit dazu beitragen?
Martina Uhlenkamp: Ihnen fehlen Ansprechpartner*innen, mit denen sie direkt in Kontakt gehen können und auch „blöde“ Fragen stellen dürfen. Helfer*innen, die Geduld haben und sie ermutigen. Sie brauchen Hilfe bei der Strukturierung des Tages sowie bei der Umsetzung von „Lernen zuhause“. All dies versuchen wir ihnen auf anderen Wegen zu geben. Eine geeignete technische Ausstattung ist sehr wichtig. Wir haben mit finanzieller Unterstützung der Kirchengemeinde Tablets für die Familienklasse angeschafft.
Eine gute Hilfe wäre: Beantragungsmöglichkeiten über die Jugendhilfe für Tablets, Notebooks und Drucker. Vor Ort haben wir hierfür Spenden bei einzelnen Personen oder Stiftungen gesammelt. Das kostet viel Zeit, die wir eigentlich für die Jugendlichen brauchen, aber es war erfolgreich! Eine andere Möglichkeit prüfen wir gerade, nämlich, ob und wie wir zeitnah an Leihgeräte über die Schulen kommen können. Hierfür müssten unsere Schulpartner jedoch bereits über die Mittel aus dem DigitalPakt Schule verfügen.
Welche Rahmenbedingungen wünschen Sie sich in der aktuellen Situation? Welche Ressourcen benötigen Sie für ihre Arbeit?
Martina Uhlenkamp: Wir brauchen eine schnelle, geeignete Ausstattung aller Schüler*innen mit digitalen Geräten sowie geeignete und kostenlose Lernsoftware. Wir müssen die gute Zusammenarbeit der unterschiedlichen Systeme Schule/Jugendhilfe/Gesundheitsdienste auf allen Ebenen ausbauen. Für benachteiligte Schüler*innen und ihre Familien muss therapeutische Kleingruppenarbeit finanziert werden.
Vielen Dank für das Gespräch! Das Interview führte Julia Schad-Heim von IN VIA Deutschland
Kontakt zur Einrichtung: Martina Uhlenkamp (Geschäftsführerin), IN VIA Quakenbrück e. V. – Diözesanverband Osnabrück, www.invia-quakenbrueck.de
Quelle: BAG KJS