Seit den 1980er Jahren haben sich Jugendbiografien gewandelt. Während die Übergangsprozesse mit ihren stark prägenden Einflüssen, die häufig den Beginn und das Ende der Jugendphase markieren, aber auch innerhalb der Phase Entwicklungsschritte bedeuten, vorher eher einheitlich und geradlinig verliefen, zeigen sie sich inzwischen zum einen heterogener, zum anderen sind zeitliche Verschiebungen festzustellen. Junge Menschen sehen sich mit höheren Ansprüchen konfrontiert, ihre Jugendphase zu gestalten und zu bewältigen. Eine größere Optionsvielfalt erschwert es Jugendlichen, ihre Biografie zu planen. Mit den Ursachen dieser Veränderungen und den draus erwachsenden Konsequenzen beschäftigt sich Prof. Dr. Birgit Reißig vom Deutschen Jugendinstitut in ihrem Aufsatz „Übergänge im Jugendalter – Alte Anforderungen, neue Herausforderungen?!“, der in Heft 4/2019 der Zeitschrift „Jugendhilfe“ erschienen ist.
Kein klarer Übergang von der Jugendphase in ein eigenständiges Leben
Die Autorin betrachtet zunächst die Auswirkungen der Übergangsverschiebung auf die Festlegung der Altersspanne, die der Phase der Jugend zuzuordnen ist. Beim Eintritt der Geschlechtsreife als einem biologisch-physischen Anfangsmarker erkennt sie einen eher gleichmäßigen und zeitlich begrenzten Altersrückgang. Ganz anders sieht es bei dem Zeitpunkt aus, der das Ende der Jugendphase ausmacht, stellt Reißig fest. Jahrhunderte lang begann die anschließende Phase des eigenständigen Lebens vor allem mit dem Eintritt in die Arbeitswelt. „Insbesondere späte Eintritte in Ausbildung sowie verzögerte Platzierungen auf dem Erwerbsmarkt führen (…) dazu, dass die Ablösung vom Elternhaus oder die finanzielle Eigenständigkeit sich lebenszeitlich (…) hinauszögern“, konstatiert die Autorin zur heutigen Situation und zeigt Zusammenhänge auf z. B. mit der Entwicklung der Teilnahme an Hochschulausbildung, prekären Bedingungen beim Einstieg in die Erwerbsarbeit und den Vorstellungen und Wünschen der jungen Menschen zu Familie und Wohnsituation.
Wann ist welcher Entwicklungsschritt bewältigt? – Große Unsicherheit besonders bei Jugendlichen mit niedrigem oder fehlendem Bildungsabschluss
Angesichts der heute deutlich differenzierteren Möglichkeiten der Lebensgestaltung hinterfragt Reißig, inwieweit das Konzepts der Entwicklungsaufgaben noch taugt, um die erfolgreiche Bewältigung von Anforderungen auf dem Weg zum Erwachsenen festzustellen. Sie leitet her, dass das Konzept und seine Weiterentwicklungen „nach wie vor einen Referenzrahmen für weitergehende Überlegungen bilden“, hält aber eine Neubewertung für angezeigt. Viele Übergangsprozesse brauchen länger und enden später; manche Anforderungen oder Entwicklungsaufgaben sind nach heutigem Verständnis beispielsweise ohne Gründung einer eigenen Familie und Erzielung eines eigenen Einkommens noch nicht erfüllt. Wichtig ist, dass damit in der Entwicklung junger Menschen größere Unsicherheiten verbunden sind. Ganz entscheidend, so die Übergangsforscherin, ist es von der Ressourcenausstattung des einzelnen Jugendlichen abhängig, wie erfolgreich dieser das Spannungsfeld aus an ihn gerichteten Erwartungen, deren Erfüllung und eigenen Ansprüchen bewältigt.
Hauptbelastung für fast die Hälfte der Befragten: „Nicht wissen, was aus mir wird“
In ihrer Abhandlung untersucht Reißig noch, welche Problembelastungen Jugendliche in der Zeit vor Verlassen der allgemeinbildenden Schule erleben, und damit auch, welche Auswirkungen die Probleme auf die Bewältigung des Übergangsprozesses haben. Anhand von Zahlen des DJI-Übergangspanels erfolgt teilweise auch eine Differenzierung nach Geschlecht oder einer Migrationsgeschichte der Betroffenen. Beim meistgenannten Problemaspekt „Nicht wissen, was später aus mir wird“ zeigt sich beispielsweise eine deutlich größere Betroffenheit bei weiblichen als bei männlichen Befragten, während eine mögliche Einwanderungsgeschichte sich kaum niederschlägt. Einen interessanten Schluss zieht Reißig aus dem Vergleich der Zahl der Nennungen dieses Problemaspekts mit dem Ergebnis einer zweiten Erhebung, nämlich dass „die Unsicherheit, die schwierige Planung der eigenen (beruflichen) Zukunft im Vergleich zum letzten Jahrzehnt noch einmal deutlich gewachsen ist, trotz einer vermeintlich besseren Ausgangslage am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt.“
Quelle: Jugendhilfe 4/2019