KEIN DURCHBLICK FÜR BENACHTEILIGTE JUGENDLICHE? Eine Studie zur Umsetzung der BLK-Handlungsempfehlungen ‚Optimierung der Kooperation zur Förderung der sozialen und beruflichen Integration benachteiligter Jugendlicher‘. ‚Bereits 2001 hatte die Bund-Länder Komission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK) Handlungsempfehlungen für die Benachteiligtenförderung herausgegeben. Zentrale Botschaft war, dass die einzelnen Anbieter verstärkt miteinander kooperieren und ihre Angebote aufeinander abstimmen sollen. Weitere Empfehlungen der BLK: Optimierung von Lernformen, bessere Anbindung an die betriebliche Praxis und Qualitätssicherung. Ziel der Dortmunder Untersuchung war es, herauszufinden, wie diese Empfehlungen in der Praxis umgesetzt wurden. Hierzu erhoben Günter Pätzold und Judith Wingels zunächst Daten der an der Förderung beteiligten Akteure im gesamten Bundesgebiet. Denn es gibt zwar Kooperationen zwischen einzelnen Institutionen wie Berufsschulen, der Bundesagentur für Arbeit (BA) und privaten Trägern, jedoch ließen Transparenz und Übersichtlichkeit in diesem Bereich bisweilen zu wünschen übrig. Als Grund geben die Forscher die unterschiedlichen Gesetzesgrundlagen in der Zuständigkeit von Bund, Ländern und Kommunen an. Bislang gibt es kaum Erfahrungsberichte und empirische Studien zu Erfolgsbilanzen von Fördernetzwerken. Um auch die betriebliche Seite näher zu beleuchten, führten die beiden Forscher mit Unterstützung des Bundesinstitus für Berufsbildung (BIBB) deshalb zusätzlich eine quantitative Betriebsbefragung durch.‘ Auszüge aus der Studie: “ Die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK) hat im Jahr 2001 zum Thema des Zusammenwirkens von Jugend- und Bildungs-/Berufsbildungspolitik zur Förderung der sozialen und beruflichen Integration benachteiligter Jugendlicher Handlungsempfehlungen auf vier Ebenen formuliert. Grundlagen dieser Empfehlungen waren ein durch die BBJ Servis gGmbH für Jugendhilfe durchgeführtes Gutachten zur Umsetzung der von der BLK 1996 verabschiedeten Empfehlungen zur Verbesserung der Situation von lern- und leistungsschwachen Jugendlichen in der Berufsbildung (vgl. BLK 1996) sowie ein im Dezember 2000 geführtes Sachverständigengespräch. In den Empfehlungen der BLK aus dem Jahr 2001 wurde der Aspekt der Kooperation zwischen den dafür relevanten Akteuren auf lokaler/regionaler Ebene besonders betont. Adressaten der Handlungsempfehlungen waren Bund, Länder, Agenturen für Arbeit, örtliche Träger der Sozial- und Jugendhilfe, Einrichtungen der Benachteiligtenförderung, Betriebe und (berufsbildende) Schulen (vgl. BLK 2000 und BLK 2001). Mit der Untersuchung, deren Ergebnisse mit diesem Bericht vorgelegt werden, sollte geklärt werden, ob und wie die Handlungsempfehlungen umgesetzt wurden. Gleichzeitig ging es darum, erfolgreich erprobte Kooperationsstrukturen auf lokaler/regionaler Ebene zu identifizieren sowie die Erfolgsbedingungen für die Nachhaltigkeit und Verbindlichkeit von Kooperationsaktivitäten zwischen den relevanten Akteuren aufzuzeigen. Dabei war insbesondere auch der Lernort Betrieb zu berücksichtigen. Wenngleich sich die Untersuchung ausdrücklich auf Kooperationsaktivitäten zwischen Institutionen, die sich mit der Förderung benachteiligter Jugendlicher befassen, bezog, erreichten uns etliche Aussagen zu Aktivitäten, die zwar der Benachteiligtenförderung zuzurechnen sind, in deren Fokus aber nicht die Kooperation zwischen verschiedenen Akteuren stand. Auch bei den begleitend durchgeführten Recherchen in den Berufsbildungsberichten, der Good-Practice-Datenbank des BIBB sowie in der Datenbank „PRAXIMO“ des Deutschen Jugendinstituts (DJI) erwies sich die Abgrenzung von Maßnahmen der Benachteiligtenförderung und kooperativen Aktivitäten in diesem Bereich im Einzelfall als schwierig. Zwar wurden stets Kooperationen eingefordert, oft auch Kooperationspartner benannt, über Ergebnisse bzw. die Umsetzung dieser Kooperationen wird jedoch kaum berichtet. 1.2 Vorgehen und Datenbasis Die mit diesem Bericht vorliegenden Ergebnisse resultieren aus einer schriftlichen Befragung bei verschiedenen Akteuren der Benachteiligtenförderung, ergänzenden Telefoninterviews mit jeweils einem Vertreter verschiedener Institutionen sowie einer ergänzend durchgeführten Recherche in den Berufsbildungsberichten der Jahre 2000 bis 2005, im Good-Practice-Center (GPC) des BIBB und der Datenbank „PRAXIMO – Praxismodelle� Jugend in Arbeit’“ des DJI sowie einer Literaturrecherche in einschlägigen Fachzeitschriften. Zielgruppen dieser Befragung waren die Ministerien der Länder der Ressorts Schule, Jugend und/oder Bildung, (berufsbildende) Schulen, die Bundesagentur für Arbeit (BA) bzw. deren Regionaldirektionen sowie einzelne Arbeitsagenturen, Träger der freien Jugendhilfe und örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe sowie andere Träger der Benachteiligtenförderung, Industrie- und Handelskammern (IHK) und Handwerkskammern in unterschiedlichen Regionen sowie Betriebe, außerdem das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) und die Handwerkskammertage sowie der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHKT). Die Weiterleitung der Fragebogen an die entsprechenden Institutionen wurde vom Ministerium für Schule, Jugend und Kinder (MSJK) des Landes NRW und den Ministerien der Länder organisiert. … In den letzten Jahren sind im Bereich der Benachteiligtenförderung viele Programme und Initiativen gestartet worden, die Kooperation im Blick haben, empfehlen oder gar zur Bedingung haben. … jedoch werden … so gut wie keine Erfahrungen mit dem Kooperationsprozess als solchem oder gar Probleme, Schwierigkeiten oder Lösungsansätze geschildert. … 2 Ergebnisse …in der Kooperation … werden überwiegend Vorteile für die Jugendlichen benannt. … Bezogen auf die benachteiligten Institutionen lägen die Vorteile vor allem darin, dass es in Bezug auf die pädagogischen Konzepte sowie die Inhalte der Maßnahmen und den Ressourceneinsatz zu einer Abstimmung komme, insbesondere bei Finanzverhandlungen bzw. bei der Zuteilung von Maßnahmen. … 2.1.3 Organisation der Kooperation Die Empfehlungen der BLK gehen davon aus, dass das Gelingen der Kooperation die Federführung durch eine von allen akzeptierte Instanz voraussetzt. Diese Funktion könnten z. B. das Arbeitsamt, kommunale Ämter für Beschäftigung oder für Berufs- und Weiterbildung, örtliche Träger der Jugend- oder Sozialhilfe sowie von diesen beauftragte externe programmdurchführende Regiestellen wahrnehmen (vgl. BLK 2001, S. 9, 12). Idealtypische Strukturmodelle bestünden entweder in einer lokalen Initiative, einer Kooperation auf Basis der Jugendhilfeplanung, einer Kooperation auf der Basis einer Arbeitsgemeinschaft nach § 78 SGB VIII oder in einer Koordination durch eine „neutrale Stelle“. „Mögliche Weiterentwicklungen könnten bestehen • in einer modellhaften Beauftragung einer „neutralen Organisation“ mit der treuhänderischen Verwaltung von Fördermitteln, • in einer Konzentration der Finanzmittel per Verwaltungsvereinbarung in einer öffentlichen Verwaltung, • in einer Zusammenlegung von Schlüsselressorts in einem gemeinsamen Amt bzw. • in einer neuartigen Gestaltung von Förderrichtlinien, die Kooperationsstrukturen einfordern“ (BLK 2001, S. 12 f.). … geben zwei Drittel der Befragten an, dass es entweder keine solche Stelle gibt, oder dass sie über deren Existenz keine Kenntnis haben. … 4 Fazit und Empfehlungen 4.1 Allgemeine Einschätzung In den vier Jahren seit der Formulierung der BLK-Empfehlungen ist eine Vielzahl von Einzelaktivitäten und Programmen in der Benachteiligtenförderung initiiert worden, gleichzeitig wurden z. B. durch die Ausschreibungspraxis der Agenturen für Arbeit Kooperationen verstärkt eingefordert. Die Botschaft, dass Kooperationen in diesem Bereich politisch gewollt sind und forciert werden, ist bei der Mehrzahl der Akteure vor Ort angekommen. Auch aus der eigenen Arbeit heraus werden sie als notwendig erachtet, obwohl die Rahmenbedingungen dafür nicht als ideal empfunden werden. Für die Kooperation und die Koordinierungsaktivitäten und damit die Bündelung von Maßnahmen muss „die Chemie zwischen den Partnern stimmen“, allerdings werden Kooperation und Koordination nicht selten dadurch erschwert, dass es einen Verdrängungswettbewerb zwischen verschiedenen Maßnahmeträgern gibt. … Trotz Versuchen, die Einzelinitiativen in Programmen zu bündeln und die Landschaft der Benachteiligtenförderung zu strukturieren, lässt die Übersichtlichkeit der Förderstrukturen immer noch zu wünschen übrig. So haben wir an keiner Stelle einen umfassenden, schnellen Zugang über die Maßnahmen finden können. Dies liegt u. a. daran, dass die Umsetzung der Empfehlungen in die Zuständigkeit der Bundesländer fällt und diese – wie gewünscht – auf Landesebene weitere Programme und Einzelmaßnahmen initiiert haben. Aber auch hier kann man bundeslandbezogen kaum einen Überblick finden. … Dadurch, dass kooperative Initiativen zur Benachteiligtenförderung durch Bundes- und Länderprogramme massiv forciert worden sind, gibt es eine große Anzahl an Einzelprojekten, Bündelprogrammen und Kooperationsvereinbarungen, die sich zum Teil überschneiden. Insofern kann man die Zuspitzung, dass auf der Suche nach Strategien, Politikentwürfen und Orientierungen kaum noch Strukturen innerhalb einer hoch ausdifferenzierten Förderlandschaft ersichtlich werden, sicher als zutreffend bezeichnen. … 4.2 Förderliche und hemmende Bedingungen Als wesentlich für eine gelingende Kooperation werden von den Befragten die grundlegenden Einstellungen der beteiligten Institutionen und Akteure, ein guter Informations- und Kommunikationsfluss, eine personelle Konstanz und die Kontinuität der Arbeit, die Sicherung der strukturellen, kulturellen sowie finanziellen Rahmenbedingungen angesehen. Häufig benannt wurden auch eine möglichst präzise Beschreibung der Aufgaben der einzelnen Kooperationsakteure auf der Arbeitsebene und der Wunsch nach einer klaren Aufgabenteilung. Daneben wird es als äußerst förderlich betrachtet, wenn von Beginn an alle Interessen vertreten sind und das Kooperationskonzept bzw. -vorhaben von auf der Arbeitsebene beteiligten Personen gemeinsam entwickelt wird. Auch die Wahl der Dokumentations- und Evaluationsform spielt eine Rolle für die Effektivität von kooperativen Maßnahmen. 4.2.1 Beteiligte Akteure Gefordert wird, dass die beteiligten Institutionen sich öffnen müssen. Es ist notwendig, dass gegenseitige Vorurteile abgebaut werden bzw. dass Respekt vor der Arbeit der Anderen vorhanden ist. … Der Konkurrenzdruck auf die Träger der Jugendhilfe wird durch die neuen Ausschreibungsverfahren der Agenturen für Arbeit im Rahmen der Marktöffnung drastisch erhöht. Einzelne Träger geraten in eine existenzbedrohende Situation und sind dann u.U. nicht mehr bereit, mit potenziellen „Konkurrenten um finanzielle Mittel“ zu kooperieren und womöglich Einblick in eigene Konzepte zu gewähren. Es ist notwendig, das immer noch weit verbreitete und durch strukturellen Rahmenbedingungen z. T. verschärfte Konkurrenzdenken zu überwinden, sonst wird nur „pro forma“ kooperiert … Eine Veränderung der strukturellen Rahmenbedingungen ist hier ein wesentlicher Faktor für die Entwicklung einer positiven Einstellung gegenüber Kooperationsaktivitäten und die Bereitschaft zu echter Kooperation. Wie wichtig eine solche Einstellung ist, zeigt sich auch daran, dass immer wieder betont wird, dass das Gelingen von Kooperation im hohen Ausmaß vom Engagement einzelner Personen anhängig sei. … 4.2.5 Strategie Erfolgreicher Kooperation geht oftmals ein langwieriger Prozess des Zusammenfindens voraus. Vor allem Kooperationen auf konzeptioneller und didaktisch-methodischer Ebene sind zeitaufwändig. 4.2.6 Zielvereinbarungen und Aufgabenteilung Erfolgreiche Kooperationen hängen von der Festlegung präziser Ziele bzw. entsprechender Zielvereinbarungen ab … Wichtig ist diesbezüglich, dass die Festlegung von konkreten Zielen auf unterschiedlichen Ebenen jeweils neu erfolgen muss. Das Vorhandensein einer allgemeinen Zielvereinbarung auf der Geschäftsführungs- bzw. Leitungsebene von Institutionen entbindet nicht von der Notwendigkeit auf der Handlungsebene Prioritäten zu setzen und konkrete Aufgaben zu vereinbaren und zu verteilen. … Schwierig gestaltet sich Kooperation dann, wenn unterschiedliche Vorstellungen über die Zielerreichung bei verschiedenen Partnern, beispielsweise mehreren Trägern der Jugendhilfe, herrschen. … 4.2.7 Evaluation Ein regelmäßiger Soll-Ist-Vergleich bzw. eine Prozessevaluation auf lokaler bzw. regionaler Ebene wird als wichtig empfunden … Eine ständige und „ungeschönte“ Überprüfung und Ergebnisrückmeldung ist zwar oft für alle Beteiligten gewöhnungsbedürftig, trägt aber zur Steuerung der Kooperationsaktivitäten bei und macht es möglich, Fortschritte und Entwicklungsbedarfe zu identifizieren. … 4.2.8 Transparenz Kooperationen tragen dazu bei, Transparenz über das lokal und regional vorhandene Angebot an Fördermaßnahmen herzustellen. Transparenz über die bereits bestehenden Angebote ist die Voraussetzung für eine strategische Planung in der Schließung von Bedarfslücken. Hierzu muss eine breite Informationsbasis geschaffen werden. Diese zu schaffen kann nur gelingen, wenn Kooperationen nicht allein zwischen einzelnen Akteuren, sondern strukturiert und systematisch auf lokaler und regionaler Ebene erfolgen. … Hilfreich sind an dieser Stelle die Einrichtung von Kooperationsgremien bzw. Stellen auf unterschiedlichen Ebenen, in die alle Akteure der Region einbezogen sind. Positiv zu nennen sind an dieser Stelle die „Jugendagenturen-Initiative“ des Landes Baden- Württemberg und die Pro-Activ-Centren in Niedersachsen …empfehlen ein lokales und regionales Ausbildungsmarktmonitoring, das Auskunft über Angebot und Nachfrage im Bereich der beruflichen Integration von Jugendlichen und jungen Erwachsenen gibt. Die Transparenz auf der Handlungsebene bezüglich vorhandener Informationsangebote sowie Veränderungen auf der juristischen und Personalebene ist durchaus noch verbesserungswürdig. “ Die komplette Studie steht auf der Homepage der Bund-Länder-Komission als Download zur Verfügung.
http://www.blk-bonn.de/
http://www.blk-bonn.de/papers/heft133.pdf
Quelle: Informationsdienst Wissenschaft http://idw-online.de/pages/de/news171677