Veränderungen des deutschen Schulsystems gefordert – gegenwärtige Diskussion über die Schulstruktur

IST DAS SCHULSYSTEM DEMOKRATIE WIDRIG? Forscher und Politiker rufen dazu auf, ein zweigliedriges Schulsystem zu schaffen. Wisschenschaft erhebt den Vorwurf der Demokratiewidrikeit. Ministerin Schavan will an der Hauptschule festhalten. Ein kleiner Überblick über die aktuelle Diskussion: FORSCHER UND POLITIKER FORDERN ZWEIGLIEDRIGES SCHULSYSTEM “ Ein Ende des lähmenden Streits um das Für und Wider von Gesamtschulen fordern Forscher und Politiker von SPD, FDP und CDU. In einem gemeinsamen Aufruf in der ZEIT plädieren sie für ein zweigliedriges Schulsystem: Hauptschulen, Realschulen und Gesamtschulen sollen zu einer einheitlichen Schulform neben dem Gymnasium zusammengefasst werden. Der Aufruf fällt zusammen mit ähnlichen Plänen einiger Bundesländer. So haben beispielsweise in Schleswig-Holstein die ersten Gemeinschaftsschulen ihre Türen geöffnet, auch Hamburg hat mit seinen Stadtteilschulen das Ende der Hauptschule eingeläutet und zuletzt hat Rheinland-Pfalz die Abschaffung der Hauptschule beschlossen. Internationale Bildungsstudien haben wiederholt gezeigt, dass Deutschland eine überdurchschnittlich große Zahl von Bildungsverlierern produziert, und andererseits unterdurchschnittlich viele Schüler den Weg auf die Hochschulen finden. Kritiker sehen als eine Ursache dafür das vielfach gegliederte Schulsystem vieler deutscher Bundesländer. Das dreigliedrige – in vielen Bundesländern zusammen mit Förder- und Sonderschulen sogar vier- oder fünfgliedrige – Schulsystem, so heißt es in dem Aufruf, verletze die Grundprinzipien der Bildungsgerechtigkeit, da es zu sozialer und ethnischer Abgrenzung führe, problematische Lernmilieus schaffe und schwierige Ausbildungs- und Berufschancen zur Folge habe. … Die neue Schulform soll ‚ein wissenschaftsorientiertes, an der Lebenswirklichkeit und Berufswelt orientiertes Bildungskonzept‘ verfolgen und die Schüler zum Haupt- oder Realschulabschluss führen. Gute Schüler sollen dort auch die Hochschulreife erlangen können. Der in der ZEIT veröffentlichte Aufruf wird von 33 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens getragen, darunter Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, Bernhard Bueb, langjähriger Direktor der Internatsschule Schloss Salem, Robert Heinemann, schulpolitischer Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion in Hamburg, Klaus Hurrelmann, Bielefelder Gesundheits- und Sozialwissenschaftler, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Burkhard Schwenker, CEO der Roland Berger Strategy Consultants, und Hans-Werner Sinn, Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung. Zu den Unterzeichnern des Aufrufs gehören außerdem mehrere namhafte ehemalige Bildungspolitiker wie die langjährige nordrhein-westfälische Bildungsministerin Gabriele Behler (SPD), der frühere Kultusminister Hessens Ludwig von Friedeburg (SPD), die Staatsministerin a.D. Hildegard Hamm-Brücher und der langjährige Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Dieter Wunder. ‚Keine Partei wird durch diesen Kompromiss ihren profilierenden Einfluss auf die Bildungspolitik verlieren. Die wirklichen Gewinner aber sind die heute benachteiligten Schülerinnen und Schüler‘, heißt es abschließend in dem Aufruf. “ ‚DAS SCHULSYSTEM IST DEMOKRATIEWIDRIG‘ “ ‚Das Schulsystem ist in seinen Strukturen, Funktionen und Prozessen undemokratisch und sogar demokratiewidrig. Nicht zu Unrecht hat es Vernor Muñoz wegen der ihm inhärenten Verletzung der Kinderrechte gerügt‘, erklärt der emeritierte Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung Berlin, Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Edelstein, im Interview mit Bildungsklick.de Prof. Wolfgang Edelstein: ‚Das Schulsystem ist in seinen Strukturen, Funktionen und Prozessen undemokratisch und sogar demokratiewidrig. Nicht zu Unrecht hat es Vernor Muñoz wegen der ihm inhärenten Verletzung der Kinderrechte gerügt. Faktisch trägt das gegliederte Schulsystem zur Vererbung von Bildungsarmut bei. Auf die Leistungshöhe einer Schule wirken stets viele Faktoren ein, die bei Vergleichen berücksichtigt werden müssen. Auch ist Qualität nicht nur Leistung. Die demokratischen Schulsysteme Skandinaviens und Kanadas bringen höhere Schülerleistungen in bestimmten vergleichbaren Bereichen hervor, aber natürlich sind solche Vergleiche beschränkt, und man muss mit vielen Einflussgrößen rechnen, die den Vergleich beeinflussen und beeinträchtigen, ehe man behaupten kann, dass diese Systeme bessere Leistungen erzeugen, weil sie demokratischer sind. Demokratische Systeme sind auch nicht immer identisch mit demokratischen Schulen. Und demokratische Schulen müssen auch nicht ausschließlich deswegen gute oder bessere Schulen sein, weil sie in bestimmten Bereichen bessere Schülerleistungen nachweisen. Doch insgesamt, bei Anerkenntnis aller Einschränkungen, aller Messprobleme und aller Definitionsfragen: Wir haben gute Gründe anzunehmen, dass ceteris paribus demokratische Schulsysteme die besseren sind.“ SCHAVAN GEGEN ABSCHAFFUNG DER HAUPTSCHULE “ Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) fordert mehr Unterstützung für die Lehrer. Schavan sagte der ‚Saarbrücker Zeitung‘: ‚Wir brauchen ein Bewusstsein dafür, dass Lehrer nicht alles leisten können.‘ Es dürfe nicht sein, dass die Schule immer neue Aufgaben erhalte, ‚die sie alleine nicht lösen kann‘, so die Ministerin. Schavan forderte die Eltern dazu auf, die Schulen besser zu unterstützen. Zugleich kritisierte Schavan Pläne der Bundesländer zur Abschaffung der Hauptschule. ‚Wer nur Strukturen verändert und alles andere lässt wie es ist, wird einen Rückschlag im Bildungssystem erleben und keinen Fortschritt‘, sagte sie der Zeitung. Mit der Einführung der Gesamtschule in den 70er Jahren sei dies bereits versucht worden. ‚Die Pisa-Studien haben diesen Versuch und damit die Gesamtschulen als nicht erfolgreich bewertet‘, so Schavan.“

Quelle: Die Zeit Saarbrücker Zeitung Bildungsklick.de

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