Chancen für Vollbeschäftigung: Das Konzept Bürgerarbeit ist realisierbar

DAS ‚WORKFARE‘-KONZEPT DES BMWI ‚Vollbeschäftigung in Deutschland ist nur möglich, wenn es auch gelingt, für die über 2 Millionen arbeitslosen Empfänger von Arbeitslosengeld II neue Arbeitsmarktchancen zu eröffnen‘, erklärte der Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, Dr. Walther Otremba, anlässlich der Vorstellung eines Gutachtens zum Konzept der Bürgerarbeit. Das BMWi-Modell sieht vor, von Empfängern staatlicher Lohnersatzleistung eine Gegenleistung in Form von Bürgerarbeit zu verlangen. Dadurch soll der Anreiz gestärkt werden, die eigene Existenz durch eine Vollzeit-Tätigkeit selbst zu sichern. Das Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) Bonn hatte im letzten Jahr errechnet, dass durch die Umsetzung dieses Modells ein kräftiger Beschäftigungseffekt von bis zu 1,4 Millionen Arbeitsplätzen ausgelöst werden kann. Hierdurch könnten die öffentlichen Haushalte jährlich um rd. 25 Mrd. € entlastet werden. In seiner aktuellen Untersuchung zeigt das Institut, mit welchen Tätigkeitsfeldern und Organisationsstrukturen eine möglichst hohe Wirksamkeit und Kosteneffizienz erreicht werden könnte. Dabei werden internationale Erfahrungen aus den USA, Großbritannien und den Niederlanden sowie Fallbeispiele zu Projekten der Bürgerarbeit in Deutschland in die Untersuchung einbezogen. Für die Umsetzung bedarf es im Prinzip keiner besonderen organisatorischen Voraussetzungen. Bürgerarbeit könnte z.B. nach Zielgruppen oder Regionen gestaffelt eingeführt werden. Begonnen werden könnte beispielsweise mit Jugendlichen unter 25 oder in Regionen mit einem besonders aufnahmefähigen Arbeitsmarkt. Auszüge aus den Kerngedanken der Chancen für mehr Beschäftigung: Bürgerarbeit im BMWi-Modell für eine existenzsichernde Beschäftigung: “ DAS PRINZIP LEISTUNG Das vom BMWi entwickelte Modell für Existenz sichernde Beschäftigung aktiviert Langzeitarbeitslose, indem es das Prinzip ‚Fordern und Fördern‘ stärkt … . Dieses Prinzip signalisiert: Die Gemeinschaft hilft. Sie sichert Langzeitarbeitslosen und anderen erwerbsfähigen Hilfebedürftigen das soziokulturelle Existenzminimum. Aber: Solidarität ist eine wechselseitige Angelegenheit. Im Gegenzug erwartet die Gemeinschaft für diese steuerfinanzierte Fürsorge auch eine Gegenleistung. Auf der Seite des ‚Forderns‘ steht also die Pflicht zur Gegenleistung für Leistungen der Grundsicherung. Auf der Seite des ‚Förderns‘ soll jedem erwerbsfähigen Empfänger von Arbeitslosengeld II ein Beschäftigungsangebot in Form von ‚Bürgerarbeit‘ gemacht werden. Der Unterschied zu anderen Formen der Bürgerarbeit im BMWi-Modell ist, dass sehr geringe Löhne nur bis zum Niveau von ALG II aufgestockt werden. Damit sollen die Anreize für die Aufnahme einer regulären Vollzeiterwerbstätigkeit gestärkt werden, um nicht auf Dauer in öffentlichen Beschäftigungsangeboten zu verharren. STARKE BESCHÄFTIGUNGSEFFEKTE UND ERHEBLICHE HAUSHALTSEINSPARUNGEN Das Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA) Bonn hat errechnet, dass das BMWi-Modell zur Bürgerarbeit einen kräftigen Beschäftigungseffekt von bis zu 1,4 Millionen Arbeitsplätzen auslösen kann. Hierdurch könnten die öffentlichen Haushalte jährlich um rd. 25 Mrd. EUR entlastet werden. Mittelfristig resultieren aus dem Rückgang der Zahl der Transferbezieher und den Mehreinnahmen aus Steuern und Abgaben erhebliche Einsparungen für die öffentlichen Haushalte. Die Effekte sind umso stärker, je schneller und vollständiger der Arbeitsmarkt das zu sätzliche Arbeitsangebot aufnehmen kann. Neben den öffentlichen Haushalten profitieren vor allem die Transferbezieher selbst: Bürgerarbeit wirkt dem schleichenden Verlust der Arbeitsfähigkeit bei lang anhaltender Arbeitslosigkeit entgegen. … DREH- UND ANGELPUNKT: ÖFFENTLICHE BESCHÄFTIGUNGSANGEBOTE Um die Pflicht zur Gegenleistung glaubhaft durchsetzen zu können, ist eine hinreichende Anzahl öffentlicher und privater Beschäftigungsangebote erforderlich. Das IZA schätzt, dass auf lange Sicht rd. 485.000 Stellen gebraucht werden, zu Beginn der Umsetzung sogar noch mehr. Kritiker des als ‚workfare‘-Ansatz bezeichneten Modells glauben, dass seine praktische Umsetzung an der hohen Zahl der bereitzustellenden Arbeitsangebote scheitern dürfte. Auch seien Verdrängungseffekte auf dem regulären Arbeitsmarkt nicht auszuschließen. Aus Projekten und Erfahrungen lassen sich jedoch konkrete Vorschläge ableiten, wie die notwendigen Arbeitsgelegenheiten im öffentlichen, gemeinnützigen oder auch im privaten Bereich organisiert werden können. Soll das BMWi-Modell erfolgreich in der Praxis umgesetzt werden, müssen allerdings auch die gegenwärtigen Anreizmechanismen im Transfersystem sowie die Hinzuverdienstregelungen überprüft werden. ‚WORKFARE‘ IST MACHBAR Das IZA zeigt vor diesem Hintergrund, welche Tätigkeitsfelder und Organisationsstrukturen für die Umsetzung von ‚workfare‘ in Frage kommen, um eine möglichst hohe Wirksamkeit und Kosteneffizienz zu erreichen. Dabei wurden internationale Erfahrungen aus den USA, Großbritannien und den Niederlanden sowie Fallbeispiele zu Projekten der Bürgerarbeit in Deutschland in die Untersuchung einbezogen. Die Studie belegt, dass ‚workfare‘ funktioniert, wenn es in eine verbindliche und mehrfach abgestufte Vermittlungs- und Aktivierungsstrategie einbezogen ist und der Arbeitsmarkt hinreichend flexibel ist. … Die zusammengefassten Ergebnisse der aktuellen Untersuchung sind die Folgenden: * Workfare als Teil einer umfassenden Aktivierungsstrategie: Die Befähigungen von Personen, die neu in den Transferbezug kommen, werden in einem Profiling früh zeitig erfasst. Ihnen werden je nach individuellen Voraussetzungen eine konkrete Arbeitsstelle, Qualifizierungsmaßnahmen oder andere Maßnahmen angeboten. Nur für den Teil der Stellen suchen den, der wegen schwerwiegender Vermittlungshemnisse oder Motivationsprobleme nicht anderweitig zu integrieren ist, wird ein Bürgerarbeits-Angebot bereitgestellt. * Tätigkeitsfelder und Ausgestaltung der Bürgerarbeit: Vorgeschlagen wird, marktnahe und marktferne ‚workfare‘-Arbeitsgelegenheiten zu kombinieren und diese an den jeweiligen Zielgruppen auszurichten. Marktnähere Jobs, z.B. im Bereich sozialer und personengebundener Dienste, erleichtern den Übergang in reguläre Beschäftigung, wenn sie mit Qualifizierungsmaßnahmen verbunden sind. Marktferne Jobs, z.B. im kommunalen oder gemeinnützigen Bereich, erzeugen dagegen weniger Verdrängungseffekte. * Abgestufte Einführung: Bürgerarbeit könnte nach Zielgruppen oder Regionen gestaffelt eingeführt werden. Zeitliche Befristungen und Evaluierungen ermöglichen rechtzeitige und gezielte Korrekturen.In der Anfangsphase könnte beispielsweise mit bestimmten Bevölkerungsgruppen oder in Regionen mit einem besonders aufnahmefähigen Arbeitsmarkt begonnen werden. * Entlohnung: ‚workfare‘ ist als Gegenleistung für Transferbezug zu verstehen. Deshalb soll die Entlohnung das Niveau der Grundsicherung zzgl. einer (nachzuweisenden) Mehraufwandspauschale nicht überschreiten. Ein ’normales‘ Arbeitsverhältnis zu tariflicher oder ortsüblicher Entlohnung würde dagegen einen regulären Arbeitsplatz suggerieren und so Anreize und Chancen mindern, in reguläre Beschäftigung zu wechseln. * Verdrängungseffekte: Die rd. 500.000 dauerhaft bereitzustellenden Arbeitsgelegenheiten entsprechen im Prinzip dem derzeitigen Umfang öffentlicher Beschäftigungsangebote wie ABM oder Ein-Euro-Jobs. Die Verdrängungseffekte werden umso kleiner, je offener und aufnahmefähiger der reguläre Arbeitsmarkt vor allem im Niedriglohnbereich ist. AUSBLICK … Die Erfahrungen und Evaluationen von Aktivierungsstrategien und Projekten belegen, dass Bürgerarbeit als Element einer konsequenten und glaubwürdigen Aktivierungsstrategie dazu beitragen kann, mehr arbeitslose Transferempfängerin reguläre Beschäftigung zu bringen. Für die Umsetzung des BMWi-Ansatzes bedarf es im Prinzip keiner besonderen organisatorischen Voraussetzungen. Die Elemente für eine Aktivierung betroffener Transferbezieher und die. Sanktionierung bei Verstößen wurden mit der Strategie des ‚Forderns und Förderns‘ im SGB II eingeführt. Falsch gesetzte Rahmenbedingungen können bei der Bürgerarbeit in eine ‚Transferfalle‘ führen: Mit einer tariflichen oder ortsüblichen Entlohnung und der Etablierung eines sozialversicherungspflichtigen dauerhaften Arbeitsverhältnisses suggeriert Bürgerarbeit einen regulären Arbeitsplatz. Dies macht andere Angebote im Niedriglohnsektor für die Zielgruppe unattraktiv und lädt dazu ein, langfristig im Transferbezug und in öffentlicher Beschäftigung zu verharren. Auch stellt die tariflich entlohnte Ersatzbeschäftigung einen Mindestlohn für Langzeitarbeitslose dar, so dass die Lohnflexibilität am unteren Ende der Entgeltskala begrenzt wird. Auch neue Formen des Kombilohns mit Einkommens- und Kinderzuschlägen unterlaufen ‚workfare‘, da sie die Kombination von Erwerbstätigkeit mit Sozialleistungenattraktiver machen und so implizit den Verbleib im Transfersystem fördern. … ‚WORKFARE‘ IN DEUTSCHLAND? DAS PROJEKT BÜRGERARBEIT IN SACHSEN-ANHALT UND THÜRINGEN Die Regionaldirektion Sachsen-Anhalt-Thüringen der Bundesagentur für Arbeit startete im September 2006 erstmals das Projekt Bürgerarbeit in Bad Schmiedeberg. Zwar stellt das Projekt keinen expliziten Bezug zum ‚workfare‘-Ansatz her, de facto ergeben sich je doch viele Parallelen. Das Konzept der Bürgerarbeit in Bad Schmiedeberg umfasste einen eng aufeinander abgestimmten Vier-Stufen-Plan: 1. Stufe: Profiling und Job Beratung 2. Stufe: Zeitnahe Vermittlung marktnaher Kunden 3. Stufe: Fördermaßnahmen für Kunden mit Vermittlungshemmnissen 4. Stufe: Bürgerarbeit im engeren Sinne für nicht vermittelbare (ältere) Arbeitslose In der ersten Stufe wurden alle Arbeitslosen zu intensiven Beratungsgesprächen eingeladen, um ihre Arbeitsmarktchancen auszuloten und die weiteren Schritte zur Integration festzulegen. Für leicht vermittelbare Arbeitslose fand in der zweiten Stufe eine gezielte Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt statt. Andere erhielten auf der dritten Stufe bedarfsgerechte Weiterbildungs- und Trainingsmaßnahmen, um entsprechende persönliche oder qualifikatorische Defizite auszugleichen. Führte auch die dritte Stufe nicht zur gewünschten Wiedereingliederung, griff die vierte und letzte Stufe des Modells. Den Betroffenen, die aufgrund vielfältiger Hemmnisse auf absehbare Zeit keine Chance hatten, eine Beschäftigung am ersten Arbeitsmarkt aufzunehmen, wurde eine öffentlich bereitgestellte Beschäftigung angeboten. Träger dieser Stellen waren Kommunen, ortsansässige Betriebe, Verbände, Kirchen oder karitative Einrichtungen, die zusätzliche und gemeinnützige Arbeiten zu vergeben hatten. Die Parallelen zum ‚workfare‘-Konzept bestehen darin, dass die Betroffenen im Prinzip keine Möglichkeit hatten, sich der Aktivierungsstrategie zu entziehen. Die vierte Stufe entsprach der Idee des ’sozialen Arbeitsmarktes‘, in dem alternative Beschäftigungsmöglichkeiten für Arbeitslose angeboten wurden, die tatsächlich anderweitig ohne Chancen auf dem regulären Arbeitsmarkt waren. Die Bürgerarbeit in Bad Schmiedeberg unterscheidet sich jedoch in der Entlohnung von ‚klassischen workfare‘ – Angeboten: Bürgerarbeiter erhielten eine Entlohnung, die sich nicht am individuellen Transferanspruch orientierte, sondern an den Qualifikationsanforderungen der ausgeübten Tätigkeit. Die Mehrheit der Betroffenen wurde durch die Bürgerarbeit plus eventuelle Wohngeldzahlungen finanziell besser gestellt als durch vergleichbare Löhne auf dem unsubventionierten ersten Arbeitsmarkt. Möglicherweise konnten hierdurch weniger Personen in reguläre Beschäftigung vermittelt werden als bei einer Beschränkung auf bloße Transferleistungen plus einer geringfügigen Mehraufwandspauschale. Die bisherigen Evaluationen zeigen ambivalente Ergebnisse: Ungefähr ein Drittel der aktivierten Arbeitslosen war in Bürgerarbeit beschäftigt, ein Drittel nahm eine reguläre Arbeit auf, wechselte in aktive Maßnahmen oder meldete sich aus dem Leistungsbezug ab ein Drittel blieb weiterhin ohne Arbeit. … “

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Quelle: BMWi, Schlaglichter der Wirtschaftspolitik 04/2008

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