KEINE PLANUNGSSICHERHEIT UND ATYPISCHE BESCHÄFTIGUNG In der aktuellen Ausgabe der Reihe „Arbeitsmarkt aktuell“ des DGB Bundesvorstandes wird die Jugendarbeitslosigkeit genauer unter die Lupe genommen. Die Veröffentlichung beantwortet Fragen, wieviele Jugendliche arbeitslos sind (und stellt die BA-Statistik dabei in einen internationalen Vergleich), wie ihre Betreuung aussieht und welche Zukunftschancen ihnen obliegen. Abschließend stellt der DGB Forderungen auf, die Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Auszüge aus „Arbeitsmarkt aktuell“ „Wie viele Jugendliche sind offiziell arbeitslos? Im Juli 2008 zählte die Bundesagentur für Arbeit 362.665 Arbeitslose unter 25 Jahren bzw. eine Jugendarbeitslosenquote von 7,6 Prozent. Das sind 63.551 arbeitslose Jugendliche weniger als im Vorjahresmonat. Mit der noch positiven Arbeitsmarktentwicklung geht auch die Jugendarbeitslosigkeit zurück. Regional sind die Unterschiede groß: In Ostdeutschland betrug die Jugendarbeitslosigkeit 13,3 Prozent und war damit mehr als doppelt so hoch wie in Westdeutschland mit 6,2 Prozent. Auch bezüglich des Geschlechts lassen sich Unterschiede feststellen. Es sind tendenziell weniger Mädchen arbeitslos (46,3%), als Jungen (53,7%). … Im Durchschnitt des Jahres 2007 waren in Deutschland 17,7 Prozent der 25- bis 64-Jährigen ohne Berufsabschluss erwerbslos, aber nur 3,7 Prozent derer, die einen Hochschul-, Fachhochschulabschluss oder eine höhere berufsfachliche Ausbildung vorweisen konnten. Vor diesem Hintergrund stimmt insbesondere der anhaltend hohe Anteil an Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss bedenklich. … Ausländische Jugendliche verlassen doppelt so häufig wie deutsche eine allgemeinbildende Schule, ohne den Hauptschulabschluss zu erreichen, während deutsche dreimal so häufig die Hochschulreife erwerben. Doch auch trotz abgeschlossener Berufsausbildung ist es für Jüngere schwierig, Beschäftigung zu finden. Neben den Problemen beim Übergang aus der Schule in Ausbildung, … ist zunehmend die „zweite Schwelle“, der Übergang nach der Ausbildung in Beschäftigung, ein Stolperstein der Jugendarbeitslosigkeit forciert. Die Dauer der so genannten Sucharbeitslosigkeit nach der Ausbildung nimmt zu. Der Berufseinstieg verzögert sich und gelingt immer seltener in ein Normalarbeitsverhältnis. Tatsächliches Ausmaß der Jugendarbeitslosigkeit bisher unterschätzt Anders als die Arbeitslosenquote von Jugendlichen zunächst vermuten lässt, haben Jugendliche ein deutlich höheres Risiko arbeitslos zu werden, als die Erwerbspersonen insgesamt. Die Statistik der Bundesagentur für Arbeit erfasst nicht in vollem Umfang die Probleme von Jugendlichen beim Übergang in den Arbeitsmarkt. Demnach erscheint die Jugendarbeitslosenquote geringer als die allgemeine Arbeitslosenquote – international vergleichbare Statistiken weisen die Jugenderwerbslosigkeit jedoch für Deutschland zunehmend höher aus. Der Bildungsbericht der Bundesregierung 2008 stellt fest: Die allgemeine Arbeitslosenquote (15 bis 64-Jährige) und die Jugendarbeitslosenquote (15 bis 24-Jährige) entwickeln sich seit 2000 in der Weise auseinander, dass die Jugendarbeitslosenquote über der allgemeinen liegt und sich die Schere zwischen beiden bis 2005 geöffnet hat. … Dass hinsichtlich der Jugendarbeitslosigkeit die Zahlen der internationalen Statistik höher sind, hängt mit dem Erfassungsverfahren zusammen. Die Zahlen der internationalen Statistik basieren auf Befragungen, bei denen auch die Bewerber für Berufsausbildungsstellen höchstwahrscheinlich als arbeitslos erfasst werden. Bei der BA werden die aktiv als arbeitslos Gemeldeten gezählt. Jugendliche, die eine Ausbildungsstelle suchen und nicht alternativ auch Arbeit, werden nicht als arbeitslos gezählt. Das System der dualen Berufsausbildung in Deutschland ist nicht mit anderen Ländern vergleichbar, weshalb internationale Statistiken Bewerber für Berufsausbildungsstellen nicht gesondert erfassen. Auch die Programme zur Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit und das Niveau der Arbeitsförderung können sich im internationalen Vergleich deutlich unterscheiden. Zählt man die Zahl der arbeitslos gemeldeten Jugendlichen und der unversorgten Bewerber für Berufsausbildungsstellen zusammen, nähert man sich den Zahlen der internationalen Statistiken: Im Juni 2008 zählt die BA 304.022 15 bis 25-Jährige als arbeitslos und 233.822 unversorgte Bewerber für Berufsausbildungsstellen. Eurostat erfasst im Juni 2008 514.000 Arbeitslose bei den 15 bis 24-Jährigen. … Jüngere werden doppelt so häufig arbeitslos Das Risiko arbeitslos zu werden, ist zu Beginn des Berufslebens besonders hoch. Das wird auch in der BA-Statistik deutlich, wenn man die Zugänge in Arbeitslosigkeit über ein ganzes Jahr betrachtet … Im Laufe des Jahres 2007 meldeten sich insgesamt 1.724.967 Mio. unter 25-Jährige arbeitslos. Bei durchschnittlich 404.911 Arbeitslosen pro Monat hat sich der Bestand der arbeitslosen Jüngeren innerhalb des letzten Jahres viermal umgeschlagen. Im Vergleich dazu: Insgesamt hat sich der Bestand der Arbeitslosen in 2007 zweimal umgeschlagen. Jüngere haben somit ein doppelt so hohes Risiko arbeitslos zu werden, bei einer meist kürzeren Dauer der Arbeitslosigkeit. Das bedeutet: Der Arbeitsmarkt für Jüngere ist viel mehr in Bewegung. … Aktuell haben sich die Zugangszahlen in Arbeitslosigkeit im Vergleich zum Vorjahr etwas verringert. Sie sind um 9.592 Fälle von 198.152 im Juli 2007 auf 188.560 im Juli 2008 gesunken. Allerdings werden mehr Jugendliche arbeitslos, als sich wieder abmelden können. … Mehr Ein-Euro-Jobs als berufliche Weiterbildung Auch beim Abgang aus Arbeitslosigkeit gibt es eine ungünstige Entwicklung. Hier sinkt der Anteil derjenigen, die in Erwerbstätigkeit wechseln können. Von 126.014 Jüngeren konnten im Juli 2008 54.220 die Arbeitslosigkeit in Erwerbstätigkeit verlassen. Im Juli 2007 konnten insgesamt noch 133.613 Jüngere die Arbeitslosigkeit verlassen, davon 59.766 in Erwerbstätigkeit. … Betrachtet man die Abgänge in arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, wird deutlich, es erfolgt eine locker Zuweisung in Maßnahmen der Beschäftigung als in Maßnahmen der Weiterbildung. Im Vergleich zum Vorjahr steigt der Anteil der Eintritte in Maßnahmen. Im Juli 2007 verließen 18.143 Personen die Arbeitslosigkeit in Maßnahmen, im Juli 2008 sind es 20.863 Personen. Insgesamt gab es im April 2008 (aktuellere Zahlen liegen nicht vor) 504.083 Jüngere in Maßnahmen. Hierbei ist die Anzahl von Ein-Euro-Jobs mit 37.236 Teilnehmenden doppelt so hoch wie der Anteil von Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung mit 18.400 Teilnehmenden. Angesichts dieses hohen Anteils an kurzfristigen und wenig qualifizierenden Maßnahmen und der Tatsache, dass diese kaum in den ersten Arbeitsmarkt vermitteln – für unter 25-Jährige haben Ein-Euro-Jobs nach einer aktuellen Untersuchung des IAB keinen Eingliederungseffekt und dienen nicht zur Beendigung der Hilfebedürftigkeit – zählt ein Großteil der Jugendlichen in Maßnahmen in eine Grauzone der Jugendarbeitslosigkeit. Auch wenn sie während der Maßnahmen nicht als arbeitslos erfasst werden. Dauer der Arbeitslosigkeit kürzer, … Im Gegensatz zum höheren Risiko arbeitslos zu werden, ist die Dauer der Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen vergleichsweise kürzer. Im Juli 2008 waren sie im Schnitt 14,6 Wochen arbeitslos, alle Arbeitslosen hingegen 40,7 Wochen. … Entsprechend dem Ansatz „Fördern und Fordern“ soll Jugendlichen „unverzüglich“ nach Antragstellung auf Leistungen ein Angebot gemacht werden. Da dies zum großen Teil kurzfristige, wenig qualifizierende Maßnahmen sind, werden Jugendliche zwar formal gefördert – doch ohne nachhaltige Eingliederungseffekte ändert sich für die Betroffenen nicht viel. Der Anteil der jungen Arbeitslosen, die länger als 6 Monate arbeitslos sind, ist in Berlin, Bremen und Sachsen überdurchschnittlich hoch. Am geringsten ist er im Saarland, in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Bayern. … Arbeitslosigkeit nach Rechtskreisen … Jugendliche, die über das Fürsorgesystem (SGB II) betreut werden, sind länger arbeitslos als Jugendliche, die von der Arbeitslosenversicherung (SGB III) betreut werden. Im Juli 2008 betrug der Anteil der Jugendlichen, die über 6 Monate arbeitslos waren, rund 72 Prozent im Fürsorgesystem und rund 28 Prozent in der Arbeitslosenversicherung. … Weniger sozialversicherungspflichtige Beschäftigung als im letzten Aufschwung Für Juli 2008 meldet das Statistische Bundesamt 40,2 Mio. Erwerbstätige. Noch mehr Beschäftigung hatte es seit der Wiedervereinigung nur im vierten Quartal 2007 gegeben. Doch der wirtschaftliche Aufschwung der letzten drei Jahre ist einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung zufolge an den meisten Beschäftigten vorbeigegangen. Sinkende Löhne und weniger sozialversicherungspflichtige Beschäftigung als im letzten Aufschwung: Auch für unter 25-Jährige hat dieser Aufschwung kaum zusätzliche sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gebracht. Gerechnet vom Tiefpunkt 2005 zum Rekordjahr 2007 gab es zwar ein Plus von ca. 96.000 sozialversicherungspflichtigen Jobs für Jüngere unter 25 Jahren. Im Vergleich mit dem letzten Aufschwung, der von 1998 bis 2001 dauerte, gibt es jedoch ein Minus an sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung von ca. 421.000 Stellen, vom Höchststand 2001 zum Rekordjahr 2007. Gleichzeitig ist die Bevölkerungsgruppe der 15 bis 25-Jährigen von 2000 bis 2007 von ca. 9,3 Mio. auf 9,5 Mio. gewachsen. … Das bedeutet, dass immer weniger Jüngere einen sozialversicherungspflichtigen Job finden konnten als noch vor acht Jahren. … Vorreiter der Deregulierung am Arbeitsmarkt Dagegen lässt sich bei prekärer Beschäftigung bei Jungen ein deutliches Plus verzeichnen. … Junge Beschäftigte müssen während ihrer noch relativ kurzen Erwerbsbiographie deutlich häufiger mit unsicheren und schlecht bezahlten Jobs vorlieb nehmen, als ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – trotz durchschnittlich höherer Bildungsabschlüsse. So hatten bereits 53 Prozent der jungen Beschäftigten bis 30 Jahre mindestens einen befristeten Arbeitsvertrag, … . Auch von Leiharbeit sind Jüngere häufiger betroffen: 15 Prozent der unter 30-Jährigen gegenüber 8 Prozent der Älteren. Zu der Planungsunsicherheit anhand kurzfristiger Verträge kommen mangelhafte Entwicklungsperspektiven und niedrige Einkommen: 38 Prozent der jüngeren Beschäftigten erhalten ein monatliches Bruttogehalt unter 1500 Euro – trotz Vollzeitarbeit. … Weiterhin ist auffällig, dass insbesondere die 18-24 Jährigen trotz ihrer kürzeren Erwerbsbiographie mit 21 Prozent doppelt so oft von vielen atypischen Phasen, gemischt mit Arbeitslosigkeit und ohne ein Normalarbeitsverhältnis betroffen sind, wie die 30-34 Jährigen. Das bedeutet: Je jünger die Befragten sind, desto häufiger haben sie Erfahrungen mit prekärer Beschäftigung gemacht. Prekarität nimmt somit weiter zu und sie nimmt schneller zu. … Zusammenfassung Trotz Aufschwung bleibt Jugendarbeitslosigkeit ein großes gesellschaftliches Problem. … Zwar werden Jugendliche im SGB II schwerpunktmäßig gefördert, allerdings ist diese Förderung mit einer verschärfteren Zumutbarkeit beim Fordern verbunden, so dass Nachteile entstehen: Jugendliche ALG II-Empfänger werden schneller und härter bestraft als andere ALG IIEmpfänger und haben oftmals schlechtere Chancen gegenüber Gleichaltrigen bei ihrer Berufsfindung. Dabei ist die Ausbildung entscheidend: Jugendliche mit keinem oder niedrigem schulischen oder beruflichen Abschluss tragen ein besonders hohes Risiko arbeitslos zu werden und zu bleiben. Viele Jugendliche erleben ihre Situation als persönliches Versagen und werden teilweise auch so behandelt. Dabei verläuft der Übergang in Ausbildung und Beschäftigung der Jüngeren heute zunehmend länger und schwieriger als noch in ihrer Elterngeneration. Berufseinsteiger werden auf höchste Flexibilität, bei geringer Bezahlung und wenig Sicherheit konditioniert. Was auf der einen Seite als sozialversicherungspflichtige Beschäftigung für Jüngere verschwunden ist, ist auf der anderen Seite als prekäre Beschäftigung aufgetaucht. … Forderungen des DGB Um Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen, ist es notwendig, jungen Menschen eine gute Bildung und Ausbildung zu ermöglichen. … Hier müssen die Länder ihren Bildungsauftrag ernst nehmen und dafür sorgen, dass bspw. die Zahl der Schulabbrecher verringert und niemand durch Gebühren vom Studieren abgehalten wird. Die Länder sollten sich zu konkreten Zielen verpflichten, … Sie sollten sich ebenso verpflichten, Maßnahmen zum Nachholen des Hauptschulabschlusses anteilig und mittelfristig ganz zu finanzieren. Insbesondere die Defizite in der Bildungspolitik einschließlich der Kinder- und Jugendpolitik sind es, die für den Nachschub ins Hartz IV-System (mit)verantwortlich sind. Auch die Unternehmen müssen längerfristig denken und in Ausbildung investieren. … Bei der Arbeitsvermittlung darf es kein Zwei-Klassen-System geben. Jugendliche aus armen Familien müssen die gleichen Chancen beim Start in Ausbildung haben, wie andere. Sie sollten deshalb ebenfalls durch die Arbeitslosenversicherung nach SGB III betreut werden – ohne den Druck, jedes Angebot annehmen zu müssen. Für Jugendliche mit Schwierigkeiten bei der Vermittlung sollte eine Nachbetreuung in der Ausbildung oder der Beschäftigung statt finden. … Die Vermittlung von Jugendlichen und die Leistungen für diese, sollten vor Ort tatsächlich „aus einer Hand“ und durch eine Person erfolgen. Zudem muss die Vernetzung mit anderen Handlungsfeldern wie der Jugend- oder Familienhilfe verbessert werden. … Die Zukunft und das Zusammenspiel von Bildung, Arbeitsmarkt, Finanzsystemen, Bevölkerungsentwicklung und – wanderungen in einer globalisierten Welt lassen sich nur schwerlich voraussagen. Diese Prognose darf kein Argument sein, um nicht alle Anstrengungen zu unternehmen, damit jede/r Einzelne die Chance auf einen bestmöglichen Start ins Berufsleben bekommt. “ Die Veröffentlichung im Volltext entnehmen Sie bitte dem Anhang.
http://www.dgb.de
http://www.dgb.de/2008/10/10_jugendarbeitslosigkeit/
http://www.ratgeber-ungesicherte-jobs.dgb.de
Quelle: DGB – Bundesvorstand „Arbeitsmarkt aktuell“ 08/2008
Dokumente: arbeitsmarkt_aktuell08_08.pdf