Soziale Herkunft und Bildungsziele Jugendlicher

BEI VERFESTIGTEN ARMUTSLAGEN STREBEN JUGENDLICHE KEINE HÖHEREN SCHULABSCHLÜSSE AN Jeder zehnte Jugendliche in Deutschland bezieht zumindest zeitweise Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Arbeitslosengeld II). Der schulische Bildungsabschluss kann für diese jungen Hilfeempfänger eine wichtige Ressource zum Ausstieg aus der Sozialstaatsabhängigkeit darstellen, da die weiteren Beschäftigungs- und Einkommenschancen der Jugendlichen maßgeblich davon abhängen. Welchen Bildungsabschluss Jugendliche anstreben, ist jedoch nicht unabhängig von Faktoren ihrer sozialen Herkunft. Gerade im Armutsbereich besteht daher die Gefahr, dass mit dem Einfluss der sozialen Herkunft auf die Bildungsziele eine ‚Vererbung‘ der Armutsrisiken erfolgt. Hauptthema der Untersuchung sind die Bildungsziele von Jugendlichen, die in Haushalten mit finanziellen Einschränkungen leben. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hat auf Datengrundlage von Befragungsdaten von 1.600 hilfebedürftigen Jugendlichen und ihren Eltern den Zusammenhang zwischen sozialen Herkunftsfaktoren und Bildungszielen untersucht. Durch die Kombination von Befragungsdaten der Jugendlichen und Eltern wurde der Einfluss von elterlichem Bildungshintergrund, elterlicher Arbeitslosigkeit und der Haushaltssituation auf die Bildungsziele der Kinder ermittelt. Die Erhebung bietet Einblicke in bildungsrelevante Mechanismen einer Armutspopulation, die in anderen Untersuchungen häufig zu kurz kommt. Die Jugendlichen und Eltern hatten zuvor an einer IAB-Untersuchung „Lebenssituation und soziale Sicherung 2005“ teilgenommen. Auszüge aus dem IAB-Discussion-Paper von Gerhard Krug und Sandra Popp: „EINLEITUNG UND FRAGESTELLUNG In Deutschland leben derzeit etwa eine Million Jugendliche zwischen 15 und 24 Jahren am soziokulturellen Existenzminimum und sind auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende angewiesen. Dies bedeutet, dass jeder zehnte Jugendliche zumindest zeitweise von Armutserfahrungen betroffen ist. Bildung kann eine entscheidende Ressource für diese Jugendlichen darstellen, die Abhängigkeit von sozialstaatlichen Leistungen zu beenden. … Der Bildungserfolg von Kindern ist allerdings in hohem Maße von sozialen Herkunftsfaktoren abhängig, wie etwa dem Bildungsniveau oder dem sozialen Status der Eltern. Ebenso gibt es empirische Hinweise, dass sich Einkommensarmut negativ auf die Bildungschancen von Kindern auswirkt. Der Einfluss von sozialen Herkunftsfaktoren kann jedoch schon viel früher ansetzen, nämlich bei den Bildungszielen, welche sich Kinder und Jugendliche setzen. Würden Bildungsziele von Jugendlichen, die von Armutserfahrungen betroffen sind, durch die deprivierte Lebenslage ihres Haushalts eingeschränkt, widerspräche dies nicht nur meritokratischen Vorstellungen von Bildungschancen, sondern wäre zudem Hinweis auf die Gefahr einer intergenerationalen Vererbung von Armutsrisiken. … Jugendliche können aus unterschiedlichen Gründen auf Arbeitslosengeld II angewiesen sein: aufgrund eigener Ausbildungs- und Arbeitslosigkeit oder weil die Zeit bis zum Beginn einer Ausbildung oder eines Studiums überbrückt werden muss. Jüngere Hilfebedürftige, die noch zur Schule gehen, sind allerdings insbesondere von der Hilfebedürftigkeit und Arbeitslosigkeit der Eltern betroffen und beziehen als Mitglied der elterlichen Bedarfsgemeinschaft Leistungen der Grundsicherung. Hauptfragestellung der vorliegenden Studie ist, ob Jugendliche, die in Haushalten mit finanziellen Einschränkungen und mehrfacher Deprivation leben, niedrigere Schulabschlüsse anstreben und in diesem Sinne Armutsrisiken „weitervererbt“ werden. ERGEBNISSE … Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass ein eingeschränkter Zugang zu materiellen Ressourcen und das Auftreten von kumulierten Problemlagen im Haushalt mit niedrigen Bildungszielen der jungen Hilfebedürftigen verbunden sind. Innerhalb dieser Armutspopulation werden nicht grundsätzlich niedrige Bildungsziele angestrebt. Es spielt vielmehr eine entscheidende Rolle, über wie viel mehr oder weniger Ressourcen die einzelne Familie verfügen kann. So erhöht das Vorhandensein von bspw. 1000 Euro äquivalenzgewichtetes Haushaltseinkommen mehr im Monat die Wahrscheinlichkeit, dass die Jugendlichen das Abitur als Bildungsziel angeben, um immerhin zwölf Prozentpunkte. Somit kann das Risiko konstatiert werden, dass hilfebedürftige Jugendliche aufgrund von fehlenden finanziellen Mitteln im Haushalt und dem Vorhandensein von kumulierten Problemlagen Abstriche bei ihrer Schulbildung machen. Dies kann sich wiederum negativ auf ihre spätere Erwerbskarriere ausüben und langfristig erhöhte Armutsrisiken nach sich ziehen. Arbeitslosigkeit der Eltern hat keine negativen Effekte für die Bildungsziele der Kinder. … Weder die aktuelle Arbeitslosigkeit noch wiederholte Erfahrungen des Elternteils mit Arbeitslosigkeit reduzieren die Wahrscheinlichkeit, dass ihre 15- bis 17-jährigen Kinder einen Realschulabschluss oder die (Fach-)Hochschulreife anstreben. … Der Bildungshintergrund des Elternteils übt wie erwartet einen starken Einfluss auf die Bildungsziele der jungen Hilfebezieher aus. Kinder, deren Eltern mindestens einen Realschulabschluss besitzen, geben um 16 Prozentpunkte häufiger das Ziel an, eine (Fach-) Hochschulreife zu erlangen als Kinder, deren Eltern keinen oder einen Hauptschulabschluss haben. Somit bleiben herkunftsspezifische Bildungsmuster erhalten. … Entscheidend für die Bildungsziele der Kinder ist der erreichte Bildungsabschluss der Eltern und weniger deren subjektive Kompetenzeinschätzung. … nicht bestätigen ließ sich die These, dass sich der negative Effekt von Armut auf Bildungsziele nur auf Jugendliche mit gering gebildeten Eltern beschränkt. … Einkommensarmut erhöht in allen Bildungsschichten das Risiko, niedrige Schulabschlüsse anzustreben. Zuwanderung nach Deutschland – komplexe Effekte des Migrationshintergrundes der Eltern. Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass Kinder von Migranten nicht per se geringere Bildungsziele haben als Jugendliche, deren Eltern in Deutschland geboren wurden. … Die Annahme, dass mit den geringeren Unterstützungs- und Orientierungsmöglichkeiten zugewanderter Eltern auch niedrigere Bildungsziele der Kinder einhergehen, kann nicht bestätigt werden. Entscheidend scheint vielmehr zu sein, seit wie vielen Jahren die Eltern bereits in Deutschland leben. Mit jedem Jahr in Deutschland steigt die Wahrscheinlichkeit für höhere Bildungsziele. Leben die Eltern zehn Jahre oder länger in Deutschland, sind die Bildungsziele ihrer Kinder sogar höher als von Kindern, deren Eltern in Deutschland geboren wurden. … Die Ergebnisse zeigen für die Gruppe hilfebedürftiger Jugendlicher, dass sich insbesondere die zweite Generation von Migranten hohe Bildungsziele setzt. Dies mag zunächst verwundern, wenn man bedenkt, dass insbesondere die zweite Generation schlecht im Bildungssystem abschneidet. Die PISA-Ergebnisse haben jedoch bereits auf die hohen Bildungsaspirationen von Migranten hingewiesen und gezeigt, dass diese trotz der Schwierigkeiten, vor die sie gestellt sind, ein hohes Interesse an Bildung haben und sehr lernmotiviert sind. Zur Erklärung der festgestellten hohen Bildungsziele der zweiten Generation von Migranten sind mehrere Argumentationslinien denkbar. Zum einen kann man davon ausgehen, dass Eltern, die schon seit geraumer Zeit in Deutschland leben, über mehr schulrelevantes Wissen verfügen als neu zugewanderte Eltern und sie ihren Kindern aus diesem Grund bessere Orientierungshilfen und Unterstützung zukommen lassen können, was sich wiederum positiv auf die Bildungsziele der Kinder ausüben dürfte. Zum anderen ist vorstellbar, dass der Wunsch nach einem sozialen Aufstieg, der den Eltern verwehrt wurde, insbesondere bei der zweiten Generation stark ausgeprägt ist. Zudem hat die zweite Generation von Migranten das deutsche Bildungssystem von Beginn an durchlaufen, weshalb ihnen Bildungsoptionen stärker vertraut sein sollten als Jugendlichen, die erst eingewandert sind. Welche Mechanismen genau hinter dem festgestellten Zusammenhang zwischen der Aufenthaltsdauer der Eltern und den Bildungszielen der Jugendlichen liegen, lässt sich anhand der vorliegenden Daten leider nicht überprüfen … . DISKUSSION UND SCHLUSSFOLGERUNGEN Im Fokus der Analysen standen Jugendliche, die auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende angewiesen sind. Sie sind somit alle mit eingeschränkten finanziellen Ressourcen des elterlichen Haushalts konfrontiert. Dennoch spielt es auch innerhalb dieser Armutspopulation eine entscheidende Rolle, in welchem Umfang die Familien auf materielle Ressourcen zurückgreifen können. Insbesondere bei verfestigten Armutslagen – wenn Schulden und schlechte Wohnverhältnisse zum Alltag gehören und auch bei Ausgaben für die Kinder gespart werden muss – streben die befragten 15- bis 17-Jährigen seltener höhere Schulabschlüsse an. Die Ergebnisse weisen auf die Gefahr hin, dass sich Armut über die Generationen hinweg verfestigt, indem Abstriche bei der Schulausbildung gemacht werden und damit geringere Arbeitsmarktchancen einhergehen. So sind insbesondere Niedrigqualifizierte von hohen Arbeitslosigkeits- und somit auch Armutsrisiken betroffen. Als zentrale Determinante der Bildungsziele von hilfebedürftigen Jugendlichen erwies sich der Bildungsabschluss ihrer Eltern. … Ein weiterer Befund war, dass die Arbeitslosigkeit der Eltern die Bildungsziele der Jugendlichen nicht signifikant beeinflusst. Offenbar sind es vor allem die ökonomischen Verluste von Arbeitslosigkeit, die sich negativ auf die Bildungsneigungen ausüben. Die Ergebnisse zur Immigration des Elternteils haben darauf verwiesen, dass nicht die Einwanderung per se einen negativen Einfluss auf die Bildungsziele der Kinder ausübt, sondern vor allem der Aufenthaltsdauer ein entscheidendes Gewicht zukommt. Je länger sich Eltern bereits in Deutschland befinden, desto häufiger streben die Jugendlichen den höchsten Schulabschluss an. Die vorliegende Untersuchung konzentrierte sich auf Bildungsziele von hilfebedürftigen Jugendlichen im Alter zwischen 15 und 17 Jahren. Einschränkend muss festgehalten werden, dass in diesem Alter die wichtigsten Bildungsentscheidungen oftmals schon gefallen sind. Zudem beruhen die Analysen auf Querschnittsdaten, auf detaillierte Informationen zu der früheren Armutsgeschichte der Familien kann deshalb nicht zurückgegriffen werden. Es konnte jedoch gezeigt werden, dass insbesondere frühe Armutserfahrungen negative Auswirkungen auf die späteren Bildungsambitionen und -entscheidungen ausüben. … “ Die Untersuchung im Volltext entnehmen Sie bitte aufgeführtem Link.

http://www.iab.de/183/section.aspx/Publikation/k081208n02

Quelle: IAB

Dokumente: IAB_Discussion_Paper_4208_Jugendliche_im_Armutsbereich.pdf

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