BERUFSAUSBILDUNG NACHHOLEN – KURZARBEITERGELD AUF 36 MONATE AUSDEHNEN Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) in der Hans Böckler Stiftung veröffentlicht in unregelmäßigen Abständen Diskussionspapiere zu aktuellen Vorgängen aus Wirtschafts- , Sozial- und Gesellschaftspolitik. Die aktuelle Ausgabe der „WSI-Diskussionspapiere“ befasst sich mit den Anforderungen an die Arbeitsmarktpolitik in der Wirtschaftskrise. Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen stellen Ansätze für eine Sicherung oder einen Ausbau von Beschäftigung, in Anbetracht der aktuellen wirtschaftlichen Lagen, vor. Einer der Vorschläge sieht vor, dass Kurzarbeitergeld auf 36 Monate auszudehnen und Beschäftigten bei voller Arbeitsfreistellung damit die Möglichkeit zu geben, eine Berufsausbildung nachzuholen. Bislang gestaltet es sich in Zeiten von Kurzarbeit schwierig, Weiterbildung und Arbeitszeiten miteinander in Einklang zu bringen. Eine Absenkung der Arbeitszeit auf Null, also eine Freistellung mit Lohnersatz, böte die Chance für Betriebe, jetzt ihre Beschäftigten zu qualifizieren um den künftigen Fachkräftebedarf mit eigenem (Personal) Ressourcen zu begegnen. Um bereits von Arbeitslosigkeit Betroffenen ebenfalls die Möglichkeit einzuräumen, eine länger dauernde abschlussbezogene Weiterbildung / Ausbildung zu absolvieren, plädieren die Wissenschaftler/-innen für eine längere Bezugsdauer des ALG I. Einheitlich sollte der Bezug der Versicherungsleistung auf 24 Monate angehoben werden. Außerdem ermögliche dies eine höhere Passgenauigkeit für die Wiederaufnahme einer Beschäftigung. Wer länger suchen kann, findet eher eine passende Stelle. Der „Matching-Effekt“ wird erhöht. Zur finanziellen Absicherung der Abeitslosenversicherung wird die Wiedereinführung der Defizithaftung des Bundes vorgeschlagen. Um die Bereitschaft von Betrieben zu erhöhen, zum jetzigen Zeitpunkt Auszubildende zu übernehmen, werden Lohnkostenzuschüsse vorgeschlagen. Insgesamt schlägt die Studie eine ganze Reihe von Maßnahmen zur Sicherung von Beschäftigung vor. Die Schwerpunkte liegen dabei in den Bereichen Arbeitszeit, Qualifizierung und soziale Dienstleistungen. Nachfolgend Auszüge aus kurz- und mittelfristigen Maßnahmevorschlägen des Diskussionspapiers „Vom Schutzschirm zum Bahnbrecher – Anforderungen an die Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik in der Wirtschaftskrise“ von den Autoren Claudia Bogedan / Alexander Herzog-Stein/ Christina Klenner / Claudia Schäfer: “ KURZ- UND MITTELFRISTIGE MASSNAHMEN ZUR SICHERUNG VON BESCHÄFTIGUNG UND VON BESCHÄFTIGTEN * Qualifizierung und Transfergesellschaften ausbauen Seit dem 01.07.2009 beschränkt sich die Förderung von betrieblichen Weiterbildungsaktivitäten auf die ersten sechs Monate. Die aufgrund der momentan fehlenden Nachfrage freie Arbeitszeit soll dabei zur Qualifikation der Beschäftigten genutzt werden. Allerdings deuten erste Erkenntnisse darauf hin, dass derzeit „Qualifizierungsmaßnahmen während der Kurzarbeit eher eine geringere Rolle spielen. In der betrieblichen Praxis scheint es aufgrund der Arbeitsorganisation auch oder gerade in Zeiten von Kurzarbeit durchaus erhebliche Probleme zu geben, Weiterbildungsmaßnahmen und Arbeitszeiten miteinander in Einklang zu bringen, da in vielen Betrieben die durch Kurzarbeit „gewonnene“ Arbeitszeit in Dauer und Lage nicht mit organsierten Weiterbildungsaktivitäten kompatibel ist. Zudem ist auch fraglich, ob in den Betrieben während der Kurzarbeit sinnvolle und notwendige Weiterbildung realisiert werden kann. Problematisch könnte auch sein, dass in den Betrieben dort qualifiziert wird, wo mittel- und langfristig der Arbeitskräftebedarf sinken wird. Es ist daher mehr als fraglich, inwiefern die Absicht der Bundesregierung „Qualifizieren statt Entlassen“ realisierbar ist, zumal mit der jüngsten Reform des KUGs, die Anreize der Betriebe zur Durchführung von Weiterbildung gesenkt wurden, da die Bundesagentur für Arbeit die Sozialversicherungsbeiträge auch ohne Qualifizierung ab dem siebten Monat der Kurzarbeit ganz übernimmt. Die gegenteilige Strategie ist jedoch richtig, denn angesichts der anstehenden Strukturveränderungen ist Qualifizierung ein wichtiger Schutz, um vorhandene Qualifikationen zu stärken und sich neue anzueignen. Gleichzeitig bietet sich für die Betriebe die Möglichkeit, passgenau zu qualifizieren und erspart (später) aufwendige Suchbewegungen auf dem Arbeitsmarkt. – Mit der Verlängerung des KUG auf 36 Monate sollte dann, wenn eine qualifizierende, abschlussbezogene Weiterbildung angestrebt wird, die Anforderung an die Notwendigkeit, dem Betrieb zur Verfügung zu stehen, gesenkt werden, um somit eine Freistellung mit Lohnersatz … zu ermöglichen. Diese gibt Arbeitnehmenden die Möglichkeit zum Nachholen einer Berufsausbildung oder einer höher qualifizierenden Ausbildung. Mittelfristig sollte ein Erwachsenen-Bafög sowie ein Anrecht auf Freistellung eine Weiterbildung ermöglichen, die auf eine abschlussbezogene Zusatzausbildung für Beschäftigte … oder zum Erwerb einer Berufsausbildung zielt. … * Arbeitsmarktintegration von Jüngeren … Es steht zu befürchten, dass Jugendlichen bei einer Verschärfung der Krise am Arbeitsmarkt unabhängig von ihrem Ausbildungsstand der Zugang zum Arbeitsmarkt besonders erschwert wird, denn Betriebe schrecken vor Neueinstellungen zurück, wenn die Auftragslage unklar oder schwer ist. Es ist zudem unwahrscheinlich, dass Betriebe freiwillig in der Krise Ausbildung ausweiten. Bereits im vergangenen Aufschwung wurden zwar pro Kopf mehr jungen Menschen der Weg in eine betriebliche Ausbildung eröffnet, die Ausbildungslücke konnte jedoch nicht geschlossen werden. Nach wie vor bilden zu wenige Betriebe aus. Das Gewicht überbetrieblicher oder schulischer Ausbildungsgänge ist beträchtlich. So waren zum Jahresende 2006 rund 158 000 Auszubildende in außerbetrieblicher Ausbildung das entspricht einem Auszubildendenanteil von über 10 Prozent. In den neuen Ländern und Berlin lag der Auszubildendenanteil in außerbetrieblichen Ausbildung sogar bei mehr als 28 Prozent. Die wachsenden Probleme bei der Integration Jüngerer in den Arbeitsmarkt machen ebenso wie der sich abzeichnende und von der Wirtschaft immer wieder angemahnte Fachkräftemangel einen verstärkten Einsatz für Jüngere in der Krise dringend erforderlich. – Wir schlagen hierzu zeitlich befristete (so lange die Krise anhält) Lohnkosten-zuschüsse bei der Übernahme von Auszubildenden nach erfolgreich abgeschlossener Ausbildung vor – unabhängig davon ob der Betrieb konkret von der Krise betroffen ist. Denn wir gehen davon aus, dass die Unsicherheit über den weiteren Fortgang (Dauer und Schwere) der Krise auch in Betrieben, die akut nicht von der Krise betroffen sind, zu einem zurückhaltenden Verhalten bei Neueinstellungen führt. – Staatliche Anstrengungen bei überbetrieblichen Ausbildungen sind zu intensivieren (beispielsweise im Rahmen eines Konjunkturpakets III), da dies einerseits aktuell Beschäftigung im Bildungsbereich ausweitet und andererseits zukünftige Beschäftigung sichern hilft. … * Arbeitsförderung rejustieren Die Arbeitsmarktpolitik hat sich in den vergangenen Jahren von der aktiven zur aktivierenden Arbeitsmarktpolitik gewandelt. Statt des Erhalts und der Schaffung von Beschäftigungsverhältnissen waren hierbei nunmehr der Erhalt und die Schaffung der individuellen Beschäftigungsfähigkeit Ziel … . Statt Schutz vor unterwertiger Beschäftigung galt nun die Annahme jedweder Arbeit als Ziel einer erfolgreichen Vermittlung. Dazu wurde einerseits die Konzessionsbereitschaft der Arbeitslosen erhöht. Andererseits war mit dem Ausbau eines Niedriglohnsektors angestrebt, neue Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen. … Die aktuelle Situation leifert gute Gründe, ein anderes Ziel ins Zentrum einer gelungenen Arbeitsförderung zu stellen: die Verbesserung der Passförmigkeit von Arbeitangebot und –nachfrage. Zielt die Arbeitsmarktpolitik darauf ab, so kann die höhere Konzessionsbereitschaft der Arbeitslosen bei den Arbeitsbedingungen zu suboptimalen Verteilungsergebnissen führen, indem Arbeitslose in Stellen unterhalb ihrer Qualifikation vermittelt werden. Damit verbunden ist das aus sozialpolitischer Perspektive problematische Anwachsen der sozialen Ungleichheit. In der Krise ist daher eine Rejustierung des arbeitsmarktpolitischen Instrumentariums notwendig, die sich an der Verbesserung der Matching-Effizienz orientiert, um langfristig und nachhaltig Teilhabe und Integration sowie eine existenzsichernde Erwerbstätigkeit zu fördern. Dazu gehört unter anderem: – Fokus auf abschlussbezogene und aufstiegsorientierte Qualifizierung. – Öffentlich geförderte Beschäftigung in Zukunftsberufen* bzw. die Möglichkeit zur Umschulung in solche Berufe. – Verbesserung des Profiling um individuell passende Angebote zur Verbesserung der Arbeitsmarktperspektiven zu erzielen. … * Soziale Sicherung stärken Die materielle Ausstattung der Haushalte mittels der sozialen Sicherungssysteme trägt in der gegenwärtigen Wirtschaftskrise zu Erreichung von zwei Zielen bei. Erstens soll Armut und sozialer Abstieg aufgrund des Konjunktureinbruchs verhindert werden. Zweitens ist die ausreichende finanzielle Absicherung der privaten Haushalte ein wichtiger Beitrag zur Stabilisierung der Konjunktur, da so die krisenverstärkenden Folgen des Einkommensverlustes, der mit dem Arbeitsplatzverlust einhergeht, zumindest eingedämmt werden können. Die soziale Absicherung des Risikofalles Arbeitslosigkeit hat folglich sowohl eine dekommodifizierende als auch volkswirtschaftlich stabilisierende Funktion. Denn sie federt als sogenannter automatischer Stabilisator Einkommens- und Konsumausfälle ab und entfaltet somit in Zeiten eines Konjunkturabschwungs eine gesamtwirtschaftlich stabilisierende Wirkung. Aber die soziale Sicherung entfaltet auch eine aktive Wirkung, denn sie fördert Suchbewegungen auf dem Arbeitsmarkt, stärkt die Eigenverantwortung und ermöglicht (im besten Falle) das Eingehen von Risiken. Dem Arbeitslosengeld fällt in der Krise eine zentrale Rolle zu. Anders als das Fürsorge-System der Grundsicherung für Arbeitssuchende beruht das Arbeitslosengeld auf Beiträgen, die vorsorgend in die Arbeitslosenversicherung einbezahlt wurden. Den damit verbundenen normativen Erwartungen an eine Absicherung bei Eintreten des Risikofalls muss die Arbeitslosenversicherung gerecht werden. Gleichzeitig begründet das Versicherungsprinzip, dass Leistungen nicht ohne „Gegenleistung“ erfolgen. … Wird nun – wie in den vergangenen Jahren geschehen – die Gegenleistung immer weiter erhöht, während die Leistungen gekürzt werden, entsteht eine Schieflage, die den emanzipatorischen und dekommodifizierenden Charakter des Arbeitslosengeldes verschwinden lässt. Gerechtfertigt wurden die Leistungskürzungen im Bereich der Arbeitslosenunterstützung sowohl in Bezug auf die Höhe der Lohnersatzleistungen als auch deren Dauer durch die weit verbreitete ökonomische Vorstellung, dass eine „großzügige Absicherung“ des Arbeitslosigkeitsrisikos einerseits zu einer Reduktion der Suchintensität und Konzessionsbereitschaft der Arbeitslosen und dadurch zu einer Verlängerung der Arbeitslosendauer führen kann …. Ausgeblendet wird hierbei jedoch, dass … eine entsprechend ausgestattete Arbeitslosenunterstützung die Matching-Effizienz und damit die Produktivität erhöhen kann, da die Arbeitssuchenden mehr Zeit zur Verfügung haben einen neuen Arbeitsplatz zu finden, der ihren Qualifikationen besser entspricht. – Eine Stärkung der Vorsorge durch die Lockerung bestehender Reziprozitätsanforderungen vor dem Fürsorgesystem ist daher zentral. Dazu gehört auch: … Die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes sollte auf einheitlich 24 Monate angehoben werden. … eine solche Verlängerung des Arbeitslosengelds könnte dazu beitragen, die Matching-Effizienz zu erhöhen. Gleichzeitig würde eine längere Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes eine bessere Absicherung im Falle länger dauernder (abschlussbezogener) Weiterbildungen ermöglichen. … Ein in der aktuellen Wirtschaftskrise besonders verwundbarer Personenkreis sind die (erwerbsfähigen) Hilfebedürftigen im System der Grundsicherung für Arbeitsuchende. … Dieser Personenkreis partizipierte aufgrund seiner schlechteren Perspektiven am Arbeitsmarkt schon nur begrenzt am vergangenen Aufschwung, und mit der zunehmenden Eintrübung der Lage am Arbeitsmarkt werden sich ihre Beschäftigungschancen massiv verschlechtern. Hinzu kommt, dass sich die finanzielle Situation der Mehrzahl der Betroffenen mit der Einführung des Arbeitslosengeldes II verschlechtert hat, so dass diese Personengruppe auch in Bezug auf ihre finanzielle Situation schlecht vorbereitet mit der schwersten Wirtschaftskrise seit der Gründung der Bundesrepublik konfrontiert wird. Diesen Umständen sollte Rechnung getragen werden durch: – Ein höheres beziehungsweise bedarfsgerechteres Arbeitslosengeld II. … Eine Erhöhung des Regelsatzes des Arbeitslosengeldes II ist auch deshalb geboten, weil die derzeitige Berechnungsgrundlage fragwürdig und die Funktion der Grundsicherung nicht nur in der materiellen Absicherung, sondern auch in der Gewährung der soziokulturellen Teilhabe (Demokratiefunktion) besteht. Daneben kommt insbesondere in einer akuten Wirtschaftskrise den Sozialeinkommen eine gewichtige Rolle für die konjunkturpolitische Zielsetzung zu, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu stabilisieren, da ihre Empfänger ausgabenseitig beschränkt sind und deshalb eine hohe Konsumneigung haben. …“ * Unter Zukunftsberufen verstehen die Autoren beispielsweise den Landwirt zur Pflege von Fauna und Flora aus ökologischen Gründen, Berufe in den Banchen Erziehung und Betreuung sowie die Gesundheitswirt-schaft, aber auch die so genannte green economy. Das Diskussionspapier in vollem Textumfang entnehmen Sie bitte aufgeführtem Link oder dem Anhang. Ergänzend zur Thematik empfehlen wir Ihnen die Lektüre des „Böckler Impuls-Thema Arbeitsmarkt“ vom August 2009. Diese Veröffentlichung entnehmen Sie bitte ebenfalls aufgeführten Links oder dem Anhang.
http://www.boeckler.de/pdf/p_wsi_diskp_167.pdf
http://www.boeckler.de/pdf/impuls_2009_sn_arbeitsmarkt.pdf
http://www.boeckler.de/32014_96322.html
Quelle: Informationsdienst Wissenschaft Hans Böckler Stiftung
Dokumente: impuls_2009_sn_arbeitsmarkt.pdf