Armut und Umweltzerstörung als größte Herausforderungen der Zukunft

JUGEND UND NACHHALTIGKEIT Anläßlich des Salzburger Trilogs im August diesen Jahres veröffentlichte die Bertelsmann Stiftung Ergebnisse einer demoskopischen Umfrage unter deutschen und österreichischen Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 18 Jahren. Der Salzburger Trilog ist ein europäisches Werteforum mit einem interdisziplinären und ergebnisoffenen Dialog zu aktuellen Fragen unserer Zeit. Die diesjährige Veranstaltung fand statt auf Einladung des österreichischen Bundesministeriums für europäische und internationale Angelegenheiten sowie der Bertelsmann Stiftung. Das Forum 2009 stand unter dem Motto „Stimmen für die Zukunft: Globale Krisen und das menschliche Potenzial“. Welches Potenzial sehen Jugendliche bei sich und in der Gesellschaft, um die künftigen Herausforderungen bewältigen zu können? Was sind aus Sicht junger Menschen, die zentralen Herausforderungen, Probleme, Bedrohungen der nächsten 20 Jahre? Die Umfrageergebnisse geben Einblick in das Problem – und Lösungsbewusstsein Jugendlicher. Auszüge aus den Ergebnissen der Befragung: “ JUGEND UND DIE ZUKUNFT DER WELT Die Welt ist von einer Vielzahl konvergierender Krisen gekennzeichnet. Die Weltbank warnte Ende April im Global Monitoring Report 2009: A Development Emergency, dass die meisten der acht Millennium Entwickungsziele bis 2015 aufgrund der Finanz- und Wirtschaftskrise nicht mehr erreicht werden. Ende Mai veröffentlichte das Global Humanitarian Forum den ersten Bericht zur sozialen Dimension des Klimawandels, wonach bereits heute mehr als 300 Millionen Menschen von der globalen Erwärmung schwerwiegend betroffen sind. Die Rezession der Weltwirtschaft, der Stress der globalen Ökosysteme und die Perspektiven globaler Entwicklung prägen deshalb nicht nur internationale Gipfeltreffen wie den G8-Gipfel in L’Aquila. Auch die jüngsten Wertedebatten, etwa im Zusammenhang mit der Sozial-Enzyklika ‚Caritas in Veritate‘ von Papst Benedikt XVI und Initiativen im Kontext der UN-Dekade ‚Bildung für nachhaltige Entwicklung‘ sind davon beeinflußt. Weitgehend unbekannt ist jedoch, wie Jugendliche in Deutschland und Österreich tatsächlich über die Zukunftsfähigkeit der Menschheit denken. … Die Umfrage belegt eine hohe Sensibilität unter deutschen und österreichischen Jugendlichen für Themen nachhaltiger Entwicklung. Diese ist unter Mädchen tendenziell stärker ausgeprägt, als unter Jungen. Obwohl ein Drittel der Jugendlichen in Deutschland und 45% der österreichischen Jugendlichen sehr besorgt sind über die Zukunft der Welt und eine Vielzahl von Problemen als große Herausforderungen der Menschheit gewertet werden, bleiben die Befragten in Bezug auf mögliche Lösungsansätze verhalten optimistisch. Insgesamt werden vom überwiegenden Teil der Befragten Verhaltensänderungen sowohl bei den Mächtigen aus Politik und Wirtschaft und bei großen Organisationen für notwendig erachtet, als auch bei den Bürgern selbst. Die Umfrage deutet damit erstmals auf einen gesamtgesellschaftlichen Veränderungsprozess im Lichte der globalen Krisen. Als Treiber eines solchen gesamtgesellschaftlichen Veränderungsprozesses werden von den Befragten in Höhe von 80% in Deutschland (D) und 83% in Österreich (A) langfristige Strategien in der Politik, in Höhe von 78% in D und 82% in A ein stärkeres gesellschaftliches Engagement der Wirtschaft, in Höhe von 74% in D und 72% in A weltweit gültige Grundregeln, in Höhe von 69% in D und 72% in A intensivere Bildungsmaßnahmen für nachhaltige Entwicklung sowie in Höhe von 68% in D und 72% in A bessere Mitwirkungsmöglichkeiten in den die Zukunftsfähigkeit betreffenden gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen gefordert. 64% der befragten Jugendlichen in D und 66% in A glauben, dass internationale Nachhaltigkeitsnetzwerke einen Einfluss auf globale Entwicklungen haben. Und die Mehrheit aller befragten Jugendlichen setzt auch Hoffnungen auf technische Innovationen. Die Umfrage zeigt darüber hinaus eine hohe Engagementbereitschaft und ein ausgesprochen hohes Aktivierungspotenzial auf. * Nachhaltigkeit ist ein Thema für sechs von zehn Jugendlichen … Nach der gängigen Definition der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung von 1987 ist für eine nachhaltige Entwicklung kennzeichnend, dass sie Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können. Diese Definition betont die zwei Kerndimensionen der inter- und intragenerativen Gerechtigkeit. Aber auch die Natur ist als Lebensgrundlage der Menschen implizit angesprochen. Für sechs von zehn Jugendlichen ist Nachhaltigkeit ein Thema, mit dem sie sich auseinander gesetzt haben. Im Antwortverhalten lassen sich in beiden Stichproben leichte Alters-, Geschlechts- und Bildungsunterschiede erkennen. Tendenziell haben sich eher Mädchen als Jungen, eher ältere als jüngere Jugendliche und eher Gymnasiasten, als Real- und Hauptschüler mit nachhaltiger Entwicklung auseinander gesetzt. * Rund vier von zehn Jugendlichen sind stark besorgt über die Zukunft der Welt Ist die Welt, die wir den nachfolgenden Generationen hinterlassen zukunftsfähig? Aus der Sicht der jüngeren Generation bestehen daran erhebliche Zweifel. Mehr als drei Viertel aller Jugendlichen sind besorgt über den Zustand der Welt in 20 Jahren, rund vier von zehn Jugendlichen in Deutschland und Österreich zeigen sich sogar ziemlich oder sehr besorgt. Allenfalls zwei von zehn der befragten Jugendlichen blicken weitgehend unbekümmert in die Zukunft. Auch hier zeigen sich eher die Mädchen, die Älteren und die Jugendlichen mit einer höherwertigen Ausbildung sensibilisiert. * Armut, Klimawandel und Hunger die größten Herausforderungen der Welt … größten Probleme: Die befragten Jugendlichen erkennen in Armut, Mangel an Nahrung und Trinkwasser sowie Klimawandel oder Umweltzerstörungen die größten Herausforderungen, denen die Welt gegenübersteht: sieben von zehn Jugendlichen oder mehr sehen darin jeweils eine große bis sehr große Herausforderung für die Welt. Als am wenigsten dringlich werden aus Sicht der befragten Jugendlichen die drei Themen Wirtschafts- und Finanzkrise, der internationale Terrorismus und insbesondere der Anstieg der Weltbevölkerung angesehen. Überraschend ist an diesem Ergebnis zweierlei: Zum einen fällt auf, dass die die Medien dominierende Wirtschafts- und Finanzkrise nicht von mehr Jugendlichen als wichtige Herausforderung der Welt wahrgenommen wird. Dafür gibt es mehrere Erklärungsmöglichkeiten. Es kann so interpretiert werden, dass die Zusammenhänge zwischen der Wirtschafts- und Finanzkrise und den Armutsproblemen gar nicht gesehen werden. Möglich ist aber auch, dass die Wirtschafts- und Finanzkrise bereits als weitgehend überwunden wahrgenommen wird oder in der Lebenswirklichkeit der Jugendlichen noch nicht weiter angekommen ist. Zum anderen fällt auf, dass der internationale Terrorismus unter Jugendlichen nicht die Rolle spielt wie in vergleichbaren Untersuchungen bei Erwachsenen. An anderer Stelle wurde bereits beobachtet, dass mit geringerem Alter die Häufigkeit sinkt, mit der das Thema des Internationalen Terrorismus genannt wird. Hintergrund könnte auch hier sein, dass der internationale Terrorismus in der Lebenswirklichkeit der befragten deutschen Jugendlichen keine fühlbare Gefährdung darstellt. Das Anwachsen der Weltbevölkerung bildet aus Sicht der befragten Jugendlichen das Schlusslicht unter den wichtigsten Herausforderungen der Welt. Die Diskussionen zum demographischen Wandel in der deutschen und österreichischen Gesellschaft werden von Themen der Überalterung und Schrumpfung der Bevölkerung dominiert. Darüber verliert sich die Diskussion zu der gegenläufigen weltweiten Entwicklung. Daraus lässt sich ableiten, dass die Wahrnehmungen der globalen Herausforderungen und Bedrohungen stets national geprägt sind und eine globale Perspektive auf die Problematik in der deutschen und österreichischen Öffentlichkeit kaum existiert. … Mit Blick auf die globalen Problemstellungen kann festgehalten werden, dass die befragten Jugendlichen jene Herausforderungen als besonders groß klassifizieren, von denen weltweit die meisten Menschen konkret betroffen sind. Themen, die für die Mehrheit der Menschen eher eine latente oder potenzielle Gefahr bedeuten, werden hingegen nachrangig wahrgenommen und eingeordnet. Insgesamt ist das Problembewusstsein jedoch sehr hoch. Die genannten Themen sind bis auf eine Ausnahme für mehr als ein Drittel der befragten Jugendlichen in allen soziodemographischen Kategorien ein großes oder sehr großes Problem. … * Wege aus der Krise: Sind Lösungen in Sicht? … Die von der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament jüngst in Auftrag gegebene Umfrage zu den Einstellungen der europäischen Bürger zum Klimawandel hatte analysiert, warum europäische Bürger nichts unternehmen, um den Klimawandel zu bekämpfen. Dabei war als der mit Abstand wichtigste Grund die Ansicht genannt worden, dass Regierungen, Firmen und die Industrie ihr Verhalten ändern müssen und nicht die Bürger selbst. Die Jugendlichen wurden deshalb in dieser Umfrage befragt, inwieweit sie dieser Ansicht zustimmen können, wobei sich die Frage nicht auf den Klimawandel im Speziellen, sondern auf globale Herausforderungen im Allgemeinen bezog. Während die europäischen Bürger eher mit dem Finger auf Regierungen, Firmen und die Industrie als auf die Bürger zeigen, wenn es darum geht, die im Kampf gegen den Klimawandel benötigten Verhaltensänderungen zu beurteilen, sind die befragten deutschen Jugendlichen angesichts der globalen Herausforderungen überwiegend der Auffassung, dass die gesamte Gesellschaft in der Verantwortung steht: Nur jeder fünfte deutsche Jugendliche verweist „nur“ auf die Mächtigen der Gesellschaft (Regierungen, Firmen oder große Organisationen), während jeder Zweite auch die Bevölkerung in der Verantwortung sieht, ihr Verhalten zu ändern. Dieses weitgehende Plädoyer für individuelle Verhaltensänderungen gilt auch bei den Jugendlichen, die in der Umfrage eingeräumt haben, dass sie sich nicht persönlich für nachhaltige Entwicklung engagieren. Insofern kann abgeleitet werden, dass unter deutschen Jugendlichen die Lösung der globalen Herausforderungen unserer Zeit am ehesten in einem gesamtgesellschaftlichen Veränderungsprozess gesehen wird. Unter soziodemografischen Vorzeichen ist dabei die religiöse Prägung besonders auffällig. Mit 57% befürworten deutlich mehr protestantische Jugendliche individuelle Verhaltensänderungen, als katholische Jugendliche (43%), Angehörige anderer Konfessionen (49%) oder Konfessionslose 44%). … Acht von zehn Jugendlichen fordern langfristige Strategien in der Politik. Fraglich ist, welche Rolle die Jugendlichen der Politik in diesem gesellschaftlichen Veränderungsprozess zuweisen. Nachhaltige Entwicklung richtet sich an langfristigen Zielen aus. In demokratischen Gemeinwesen ist es bekanntlich schwierig, für solche Ziele Mehrheiten zu mobilisieren: Denn die Erfolge zukunftsfähigen Handelns, die Verhaltensänderungen der Wählerschaft voraussetzen, stellen sich nur in den seltensten Fällen innerhalb einer Legislaturperiode ein. Deshalb neigen Politiker oftmals dazu, gesellschaftliche Folgekosten unseres Handelns in die Zukunft zu „externalisieren“, um den Wählern einen kurzfristigen Nutzengewinn zu ermöglichen und damit die Chancen ihrer Wiederwahl zu sichern. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass das Millennium Projekt in Washington fehlenden politischen Willen, Führungsversagen und fehlende Visionen als die wesentlichen Barrieren für das Formulieren und Verwirklichen langfristiger Ziele identifiziert hat. Insofern stellt sich die Frage, ob die Interessen zukünftiger Generationen stärker im politischen Willensbildungsprozess Berücksichtigung finden sollen. Die Umfrage belegt, dass Jugendliche von der Politik eindeutig langfristige Strategien erwarten: Acht von zehn Jugendlichen stimmen der Aussage zu, dass sich Politiker viel stärker für eine lebenswerte Zukunft der Jugend einsetzen sollten, nur weniger als 3% können dieser Aussage nicht zustimmen. Offen ist demnach nicht, ob, sondern allenfalls wie die Interessen zukünftiger Generationen im politischen Meinungsbildungsprozess Berücksichtigung finden sollen. Dementsprechend befürwortet mit 68% in Deutschland und mit 72% in Österreich auch eine große Mehrheit der befragten Jugendlichen, dass ihnen ein Anhörungs- oder Mitwirkungsrecht eingeräumt werden sollte, wenn Lösungsvorschläge für die großen Herausforderungen der Welt erarbeitet werden. … “ Die Umfrageergebnisse wurden in einer Zusammenfassung veröffentlicht, die auf der Homepage der Bertelsmann Stiftung zur Verfügung steht. Über aufgeführten Link steht das Dokument zum Download bereit.

http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xchg/SID-8F02A81A-70F9A0B5/bst/hs.xsl/nachrichten_97215.htm
http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xbcr/SID-C905954D-166F0FEE/bst/xcms_bst_dms_29232_29233_2.pdf

Quelle: Katholische Nachrichten Agentur Bertelsmann Stiftung

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