Übergang Schule-Beruf: benachteiligungssensibel – chancengerecht – inklusiv

Der Übergang von der Schule in die Berufsbildungs- und Arbeitswelt stellt einen wichtigen Schritt im Lebensverlauf und Verselbstständigungsprozess junger Menschen dar und ist zugleich wichtige Voraussetzung für ihre berufliche und soziale Integration. Der Verlauf der Übergänge sowie die Zahlen der Jugendarbeitslosigkeit und Langzeitjugendarbeitslosigkeit offenbaren jedoch, dass einer erheblichen Zahl junger Menschen der Eintritt in die Erwerbsarbeit nicht oder nur stark verzögert gelingt. Die zunehmende Kluft in den Bildungsverläufen von Kindern und Jugendlichen und trotz vielfältiger Bemühungen nicht in jedem Fall geschlossen werden kann, ist eine zentrale bildungs-, jugend- und sozialpolitische Herausforderung.

Der Deutsche Verein sieht als Ausgangspunkt für kommunales Handeln am Übergang Schule – Beruf die öffentliche Verantwortung für die Förderung aller jungen Menschen zu eigenständigen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten. Hierbei kommt den öffentlichen und freien Trägern der Jugendhilfe eine besondere Rolle zu. Der Deutsche Verein empfiehlt den Auf- und Ausbau kommunalen Managements am Übergang von der Schule in den Beruf (kurz: kommunales Übergangsmanagement), wie es bereits vielerorts gelebt wird. Unter kommunalem Übergangsmanagement versteht der Deutsche Verein die Bündelung und Abstimmung der Maßnahmen zur Gestaltung des Übergangs.

Um die Situation der jungen Menschen zu verbessern, hat der Deutsche Verein Empfehlungen verabschiedet, diese richten sich an politisch Verantwortliche, Fach- und Leitungskräfte in Kommunen sowie Fachkräfte in allen für die Gestaltung des Übergangs maßgeblichen Institutionen. In den Mittelpunkt der Empfehlungen werden die kommunalen Gestaltungsoptionen am Übergang Schule-Beruf gestellt.

Auszüge aus den Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Weiterentwicklung kommunalen Managements am Übergang Schule-Beruf:
“ … Aktuelle Herausforderungen am Übergang von der Schule in den Beruf
In Bildungsberichten und internationalen Vergleichsstudien wird regelmäßig auf die in Deutschland bestehende starke Koppelung von sozialer Herkunft und Bildungserfolg hingewiesen. Am Lernort Schule gelingt es vielfach noch nicht, die Schüler/innen, die mit dieser Art der Wissensvermittlung und des Lernens keine Lernerfolge erzielen können, oder Schüler/innen, die nicht auf die notwendigen materiellen und sozialen Ressourcen zurückgreifen können, so zu fördern, dass sie diese Bedingungen entsprechend ausgleichen können.

Entstandardisierte Lebensläufe und pluralisierte Übergangswege stellen neue Anforderungen in Bezug auf Einstiegswege, fortlaufende Qualifizierung, zeitliche und räumliche Flexibilität an junge Menschen. Dies bietet Optionen, verlangt jungen Menschen aber auch ein hohes Maß an Selbstorganisation und -motivation ab. In der Gestaltung von Übergangswegen, die für alle Jugendlichen mit zunehmenden Risiken und Unsicherheiten behaftet sind, sind die Fähigkeiten und Ressourcen zur Bewältigung sozial ungleich verteilt. Chancenungerechtigkeit wird an dieser Schwelle häufig nochmals verstärkt oder verfestigt.

Die vielfältigen Maßnahmen, die zur Unterstützung des Übergangs von der Schule in den Beruf etabliert wurden und die unter dem Begriff Übergangssystem subsumiert werden, sind in ihrer Wirkung ambivalent. … Fehlende Transparenz und Kohärenz im Übergangssystem führen vielfach dazu, dass es – trotz der enormen finanziellen Mittel, die hier investiert werden – nicht gelingt, Jugendlichen die Hilfe anzubieten, die sie für ihren beruflichen Weg brauchen. Entgegen dem Begriff ermöglicht das Übergangssystem bisher keine ausreichend systematische und abgestimmte Förderung, sodass eine Weiterentwicklung zu einem Übergang mit System dringend geboten ist.

Der mit den Ausschreibungsverfahren zunehmende Preisdruck erschwert es den Trägern zudem, dauerhaft ausreichendes und qualifiziertes pädagogisches Personal bereit zu stellen, welches wiederum für die Arbeit mit benachteiligten Jugendlichen von großer Bedeutung ist. Die Kontinuität der pädagogischen Betreuung ist damit gefährdet. …

Kommunales Management am Übergang Schule – Beruf
Ein möglichst hohes Maß an gut ausgebildeten jungen Menschen ist eine wesentliche Voraussetzung für eine positive wirtschaftliche Entwicklung von Kommunen. Jugendliche und junge Erwachsene, die von ihrer Kommune Unterstützung erfahren, werden sich stärker identifizieren und engagieren. Ein funktionierendes Gemeinwesen ist allerdings nur dann leistungsfähig, wenn es gelingt, auch schwächere und benachteiligte Mitglieder der Gesellschaft so zu unterstützen, dass sie dazu gehören und ihre Potenziale einbringen können. …

Gegenstand des kommunalen Übergangsmanagements sind alle Bildungs-, Ausbildungs- und Qualifizierungsgänge und -angebote, Berufsorientierungen, Beratungen und Unterstützungen, die Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen vor Ort, von der Sekundarstufe I ausgehend, für die Integration in das Berufs- und Arbeitsleben zur Verfügung stehen. Diese bzw. deren Aktivitäten sollen gebündelt und abgestimmt werden.

Kommunales Übergangsmanagement zeichnet sich durch die Koordinierung durch die Kommune, die Steuerung der kommunalen Aktivitäten und die verbindliche Kooperation mit den Partnern im Sinne einer lokalen Verantwortungsgemeinschaft aus.

Es gibt kein einheitliches, allgemein gültiges Konzept des kommunalen Übergangsmanagements. Vielfalt und Pluralität in der kommunalen Landschaft erfordern Offenheit und Flexibilität in Konzepten, um den Erfordernissen, Ansprüchen und Rahmenbedingungen vor Ort gerecht zu werden. Gleichzeitig bedarf es allerdings auch der Formulierung von Strukturelementen, um die Entstehung vor Ort zu befördern, denn die Ausgestaltung eines kommunalen Übergangsmanagements ist kein Selbstläufer.

Kommunales Übergangsmanagement lebt von der Vielfalt und der verbindlichen Kooperation der beteiligten Akteure. Diese sind – unter Berücksichtigung bereits vorhandener Vernetzungsstrukturen – insbesondere: ## kommunale Vertretungskörperschaften und deren Ausschüsse sowie die Kommunalverwaltung, einschließlich entsprechender Beauftragter;
## allgemeinbildende und berufsbildende Schulen wie auch die Schulaufsicht und Hochschulen;
## Jugendliche und ihre Eltern;
## Betriebe, Innungen, Kammern und kommunale Wirtschaftsförderung;
## Gewerkschaften und Verbände;
## die Agentur für Arbeit;
## Jobcenter;
## kommunale und freie gemeinnützige Träger und Einrichtungen der Jugendhilfe, der Jugendsozialarbeit;
## Bildungsträger;
## Beratungseinrichtungen, Initiativen und Projekte;
## Wohlfahrtsverbände, Kirchen, engagierte Bürger/innen und ihre Organisationen.
Der Deutsche Verein empfiehlt, diese Akteure zur Untersetzung des politischen Willens in dauerhafte Gremien zur strategischen Steuerung und zur Übersetzung in operatives Handeln einzubinden. Hier sollten Qualitätsstandards und Erfolgskriterien vereinbart, überprüft und die für den Erfolg notwendige Transparenz hergestellt werden. …

Zusammengefasst identifiziert der Deutsche Verein folgende Aufgaben und Standards eines kommunal moderierten Übergangsmanagements: ## Wahrnehmung einer verantwortlichen Koordination und Steuerung in Kooperation mit weiteren Entscheidungsinstanzen auf lokaler, regionaler und zentraler (Land/Bund) Ebene:
## Beratung der politisch verantwortlichen Instanzen auf den unterschiedlichen Ebenen;
## Mitwirkung an der Optimierung der Berufs- und Studienorientierung der Schulen; (Verabredung von Qualitätsstandards, Verbleibanalysen/Kooperation mit der Wirtschaft/Lernen an außerschulischen Lernorten, Verbesserung des schulischen Übergangsmanagements);
## Schaffung von Transparenz: einerseits die Beschaffung einer aktuellen und aussagekräftigen Datengrundlage über das regionale Übergangsgeschehen im Hinblick auf die Jugendlichen. Andererseits die Herstellung von Transparenz über die meist unübersichtliche Angebotslandschaft. Hier kann ein erster Schritt die Erstellung von „Landkarten“ sein, in denen die Angebote und Anbieter am Übergang erfasst werden und die für alle verfügbar sind;
## Analyse der wichtigsten Daten und Kennzahlen im Übergang Schule – Beruf sowie Mitwirkung bei der Planung und Steuerung der Bildungsangebote in der Region zur Sicherung von Anschlüssen und Übergängen insbesondere in Ausbildung, weiterführende Bildung und Beschäftigung (Abbau von Warteschleifen; zielgruppengerechte Bildungs- und Ausbildungsangebote);
## Beauftragung und Kooperation lokaler und regionaler Netzwerke (Einbindung der Schulen, der lokalen und regionalen Akteure);
## Mitwirkung an der Entstehung und Ausgestaltung von lokalen und regionalen Bildungslandschaften unter dem fachpolitischen Aspekt gelingender Übergänge und optimal entwickelter Bildungsangebote;
## Schaffung rechtskreisübergreifender Beratungs- und Unterstützungsstrukturen (Hilfen aus einer Hand/One-stop-government8), vor allem unter Einschluss des SGB II, III, VIII, IX und Schulrechts des jeweiligen Landes (z.B. im Format von Jugendberufsagenturen, JugendjobCentern etc.);
## Einbindung und Akquise zusätzlicher Ressourcen und Instanzen (Jugendhilfe, Kompetenz- und Ausbildungsagenturen, Integrationsfachdienste, Jugendmigrationsdienste, Ehrenamtliche, Coaches/Mentoren etc.);
## Qualifizierung und Professionalisierung aller Akteure des Übergangssystems;
## Monitoring, Evaluation und Qualitätssicherung aller Maßnahmen und Strukturen des Übergangssystems in der Kommune.

Anforderungen an Bund und Länder im Kontext kommunalen Übergangsmanagements
Kommunales Übergangsmanagement ist in einen Rahmen eingebettet, der wesentlich durch den Bund und die Länder gestaltet wird und dort an seine Grenzen kommt, wo vor- und nachgelagerte Regelsysteme selektiv ausgestaltet sind und parallele Strukturen der Benachteiligtenförderung aufrechterhalten werden. Deswegen werden auch weiterhin Probleme bestehen, die durch das kommunale Übergangsmanagement nicht gelöst werden können.

Die Herausforderungen am Übergang Schule – Beruf dürfen nicht auf den tatsächlichen Wechsel von der Schule in die Arbeits- und Berufsbildungswelt reduziert werden. Vielmehr geht es darum, Kinder und Jugendliche von Anfang an und kontinuierlich an den verschiedenen Lernorten in ihren Bildungsanstrengungen so zu unterstützen, dass jede/r ihr/sein individuelles Potenzial entfalten kann. …

In Bezug auf die Schnittstellen zwischen den Rechtskreisen SGB II, III und VIII sowie mit Blick auf die Schulgesetze der Länder sieht der Deutsche Verein die Verschiebungen zwischen Jugendhilfe und SGB II. Gerade individuell und sozial benachteiligte Jugendliche benötigten jedoch Leistungen, die ihren komplexen Alltagsproblemen gerecht werden. Die Jugendsozialarbeit mit ihren umfassenden Sozialisationshilfen und dem Prinzip des Lebensweltbezugs nimmt hierbei eine wichtige Funktion wahr. Eine möglichst klare Trennung von Zuständigkeiten, die auf der Gesetzesebene geboten ist, führt in der Praxis teilweise dazu, dass gerade unterstützungsbedürftigen und benachteiligten jungen Menschen zusätzliche Hürden in den Weg gestellt werden. …

Um den Bedürfnissen und Ressourcen junger Menschen wie auch den vielfältigen Strukturen vor Ort gerecht zu werden, wäre zudem eine größere Flexibilität der Arbeitsmarktinstrumente nötig. Dafür ist ein größerer gesetzlicher Spielraum nötig, der dann allerdings im Rahmen der kommunalen Koordinierung auch genutzt werden sollte. Auch ist es erforderlich, dass die freie Förderung nach § 16 f SGB II flexibel für die Förderung benachteiligter Jugendlicher genutzt werden kann und nicht erneut auf dem Wege von Verwaltungsverordnungen eingeschränkt wird.

Maßnahmen anderer Politikfelder haben direkte und indirekte Auswirkungen auf die Lebenslage Jugend. Der Deutsche Verein regt deswegen an, im Sinne einer Folgenabschätzung die beabsichtigten und unbeabsichtigten Wirkungen politischer Maßnahmen auf junge Menschen stärker in den Blick zu nehmen.

Perspektiven
Der Deutsche Verein spricht sich für eine grundsätzliche Diskussion der Neugestaltung des Übergangsgeschehens aus. Zwar können Übergangsschwierigkeiten am besten durch ein koordiniertes, gemeinsames Handeln vor Ort abgemildert werden, sie können allerdings nicht allein durch die kommunale Ebene aufgefangen werden.

Der Deutsche Verein schlägt vor, dabei die Grundgedanken des Inklusionskonzepts, wie sie in der UN-BRK formuliert sind, in den Mittelpunkt zu stellen. Der inklusive Ansatz ist als struktureller Anspruch, jedem Menschen mit individuellen Förderperspektiven gerecht zu werden, zu verstehen und geht damit über die Einbeziehung von Menschen mit Behinderung in das bestehende Regelsystem hinaus. Inklusiver Politik liegt keine Definition von unterschiedlichen Gruppierungen (z.B. männlich – weiblich, mit – ohne Migrationshintergrund, mit – ohne Behinderung), sondern eine umfassende, kollektive Barrierefreiheit und Ressourcenorientierung zugrunde.

Bezogen auf den Übergang von der Schule in die Berufsbildung und Arbeitswelt bedeutet der Inklusionsgedanke, dass jungen Menschen ihren Lebenslagen sowie ihren unterschiedlichen Fähigkeitsprofilen und Bedürfnissen entsprechende, anschlussfähige Unterstützungsangebote zu machen sind, die sie befähigen, ihren individuellen Weg zu gehen.

Der Deutsche Verein regt an, Unterstützungsmaßnahmen im Übergang an folgenden Eckpfeilern auszurichten: ## Sie sollten am Individuum orientiert sein und auf ein ganzheitliches Bildungsverständnis gründen. Förderung sollte sich an den Interessen, Neigungen und Kompetenzen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen orientieren und formal, nicht-formal und informell erworbene Kompetenzen einbeziehen statt den Blick nur auf formale Bildungsdefizite zu richten. Grundlegend ist dabei die Anerkennung der jungen Menschen als Subjekte ihres Handelns und die damit einhergehende Anerkennung ihrer subjektiven Lebensentwürfe.
## Sie sollten partizipativ ausgestaltet sein, d.h. es sollten Wahlmöglichkeiten bestehen, ob und welche Bildungs- und Unterstützungsangebote wahrgenommen werden und es sollte Zeit und Raum für ergebnisoffene Beratungs- und Orientierungsprozesse ermöglicht werden, sodass eine vertrauensvolle und anerkennende Beziehung entstehen kann. Partizipation kann die Identifikation und damit die Motivation für den eigenen Lebensentwurf ermöglichen.
## Sie sollten in dem Sinne entwicklungsoffen und lernfähig sein, dass veränderte Bedingungen wahrgenommen werden können und mit einer Anpassung der Fördermöglichkeiten reagiert werden kann. Dafür sind flexible Angebote nötig. …
## Sie sollten wirkungs- und zielorientiert sein, d.h. Förderung sollte mit einem konkreten Ziel erfolgen und auf Wirksamkeit überprüft werden. Dafür sollten Indikatoren entwickelt werden, anhand derer die Zielerreichung gemessen werden kann. Inhaltlich müssen diese Indikatoren geeignet sein, sowohl die individuellen Entwicklungsschritte des Jugendlichen als auch die gesellschaftlichen Auswirkungen abzubilden und Aussagen zu Bildungsprozessen, über quantitative Größen hinaus, zu machen. …
## Unterstützungsmaßnahmen sollten anschlussfähig ausgestaltet sein und – im Sinne einer Lebensverlaufsperspektive – die Auswirkungen von Entscheidungen im weiteren Lebensverlauf in den Blick nehmen.
Die Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Weiterentwicklung des kommunalen Übergangsmanagements in vollem Textumfang entnehmen Sie bitte dem Anhang oder aufgeführtem Link

http://www.deutscher-verein.de/05-empfehlungen/empfehlungen_archiv/2011/DV%2016-11.pdf

Quelle: Deutscher Verein

Dokumente: DV_16_11.pdf

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