BAG KJS fordert im Zeichen des Fachkräftemangels: „Inklusion Jetzt.“

Inklusion Jetzt. – Berufsbildung im Zeichen des Fachkräftemangels aus Sicht der Katholischen Jugendsozialarbeit

Auszüge aus dem Positionspapier der Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit (BAG KJS) e.V.:
Recht auf Ausbildung für Alle.
Die aktuelle Situation auf dem Ausbildungsmarkt wird von der Bundesregierung und Bundesagentur für Arbeit als sehr positiv bewertet. Aus Sicht derjenigen jungen Menschen, die im vergangenen Jahr vergeblich einen Ausbildungsplatz gesucht haben, stellt sie sich völlig anders dar. Nur die Hälfte derjenigen, die sich beworben haben, konnte auch tatsächlich einen Ausbildungsvertrag abschließen. Ein großer Teil der Bewerberinnen und Bewerber blieb also bei der Ausbildungsplatzsuche erfolglos. Hinzu kommen diejenigen, die von der Statistik der Bundesagentur nicht erfasst oder nur als Ratsuchende geführt wurden.

Auch von dem Fachkräftemangel profitieren Jugendliche, die zu den benachteiligten Personengruppen gehören, nicht. Für sie bleiben die Probleme auf dem Ausbildungsstellenmarkt bestehen, wenn sich die Bedingungen des Ausbildungssystems nicht weg von Exklusion hin zu Integration wandelt. So zeigte sich in den vergangenen Jahren die Tendenz, dass Betriebe Stellen eher unbesetzt lassen, anstatt in die Ausbildung junger Menschen mit erhöhtem Förderbedarf zu investieren.

Jugendliche werden von Seiten der Wirtschaft, aber auch in der politischen Diskussion, häufig auf ihre wirtschaftlich verwertbaren Kompetenzen reduziert. Betriebe zeigen bei der Einstellung von Auszubildenden oft überhöhte Erwartungen. Sie fordern Kompetenzen, Fähigkeiten und fachliches Wissen, das über das Niveau der Ausbildungsreife weit hinaus reicht. Dabei sind im Jugendalter parallel zu der beruflichen Ausbildung weitere entwicklungspsychologische Aufgaben zu bewältigen. Dazu zählen u.a. das Erlangen von Autonomie, die Ablösung vom Elternhaus oder die Suche nach Partnerschaft. Die Ausbildung im dualen System trägt wesentlich zur Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen bei. Voraussetzungen für eine Berufstätigkeit wie physische und psychische Belastbarkeit werden im Kontext der Ausbildung entwickelt und gestärkt.

Berufliche Bildung sollte allen offen stehen. Jeder Jugendliche, der eine duale Ausbildung absolvieren möchte, muss die Chance dazu erhalten. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit (BAG KJS) e.V. fordert daher ein Recht auf Ausbildung und die Verbesserung gesellschaftlicher Teilhabemöglichkeiten.

Die BAG KJS begrüßt aktuelle Bestrebungen, Zugänge zu (beruflicher) Bildung zu verbessern und gesellschaftliche Teilhabe für benachteiligte Bevölkerungsgruppen zu erhöhen. Diese, sowie Entwicklungen im Berufsbildungssystem zur Sicherung des Fachkräftebedarfs, müssen sich allerdings daran messen lassen, inwieweit sie benachteiligte Jugendliche berücksichtigen und es gelingt, sie zu integrieren. Die Jugendsozialarbeit in katholischer Trägerschaft bietet an, ihre langjährigen Erfahrungen auf dem Gebiet der Ausbildung von Jugendlichen hierzu einzubringen und sich an der Erprobung neuer Modelle zu beteiligen.

Reformüberlegungen zur Behebung des Fachkräftemangels
Der Fachkräftemangel in Folge des demografischen Wandels hat in Deutschland eine Diskussion um die Zukunft des dualen Ausbildungssystems ausgelöst. Es soll weiter entwickelt und u.a. durch die Flexibilisierung der Ausbildungsgänge zukunftsfest werden.
In den letzten Jahren wurden unterschiedliche Modelle zur Reform der dualen Berufsausbildung diskutiert. Nach dem Modellvorschlag des DIHK “Dual mit Wahl“ schließen sich an die Vermittlung von grundlegenden branchenspezifischen Qualifikationen Module an, die sich an den betrieblichen Anforderungen orientierten. Beim „Ausbildungsstrukturmodell“ des Handwerks werden schon die grundlegenden Qualifikationen modular gefasst. Hier ist zudem ein deutlich biographisch orientiertes, berufliches Laufbahnkonzept vorgesehen. Bei der Initiative des BDA „Neue Strukturen in der dualen Ausbildung“ wird die gesamte Ausbildung in Ausbildungsbausteine gegliedert, in der Regel ist eine zweijährige Ausbildung mit anschließender Spezialisierungsphase vorgesehen.

Übereinstimmend ist bei den Modellen festzustellen, das benachteiligte und individuell beeinträchtigte junge Menschen als Zielgruppe der Ausbildung ausgeblendet sind und ihre besonderen Bedarfe in der Ausgestaltung einer beruflichen Ausbildung keine Berücksichtigung finden. Vielmehr sollen diese Modelle berufliche Karriereoptionen für leistungsstarke Jugendliche eröffnen. Für die Zielgruppe der Jugendsozialarbeit besteht also weiterhin die Gefahr der Exklusion aus Beruf und Gesellschaft.

Erfahrungen mit Umsetzungen beschränken sich allerdings bisher weitgehend auf Modellprogramme (Landesprogramme wie z.B. der dritte Weg in NRW und Bundesprogramme wie z.B. Jobstarter Connect). Hierbei geht es um neue Wege von Ausbildung für benachteiligte Jugendliche. Aus der Wirtschaft werden angesichts des drohenden Fachkräftemangels Forderungen nach einer Modularisierung bei Beibehaltung des Berufsprinzips laut. Berufliche Bildung darf nach Auffassung der BAG KJS nicht auf die Vermittlung von funktionalen Qualifikationen für eine bestimmte Tätigkeit reduziert sein, sondern sie muss eine umfassende, ganzheitliche Bildung sicher stellen, die die Entfaltung von Anlagen und Fähigkeiten der jungen Menschen zum Ziel hat. Am Ende der Berufsausbildung muss ein voll qualifizierender Ausbildungsabschluss stehen, denn dieser bietet den besten Schutz vor Arbeitslosigkeit.

Ziele einer Reform des Berufsbildungssystems aus Sicht der Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit
Chancen und Risiken von Modularisierung
Modularisierung bietet die Chance für benachteiligte Jugendliche, flexibel und lebenslagenorientiert berufliche Qualifikationen erwerben zu können. So können Kompetenzen anerkannt und zertifiziert/bestätigt werden. Es kommt auf die konkrete Ausgestaltung an. Denn Module eröffnen einen Zugang zum Arbeitsmarkt, allerdings liegen sie unterhalb des Facharbeiterniveaus. Bei der Diskussion um eine Flexibilisierung und Modularisierung fordert die BAG KJS die Sicht der jungen Menschen ernst zu nehmen. Module müssen aus Sicht der Jugendlichen eine Zukunftsbedeutung haben, realisierbar sein und zu Erfolgserlebnissen führen. Das heißt die Sicherung eines beruflichen Abschlusses, der in jedem Fall anschlussfähig an weiterführende Bildungsgänge oder an eine Berufsausbildung ist, ist zu gewährleisten. Eine nur an betrieblichen Interessen ausgerichtete Modularisierung birgt die Gefahr, für eine ganzheitliche Entwicklung der Jugendlichen wichtige Aspekte wie Orientierung an Lebensentwürfen und Zukunftsfähigkeit zu ignorieren. Unabhängig davon müssen für alle jungen Menschen, die aufgrund spezieller Einschränkungen nicht in der Lage sind, eine Berufsausbildung in vollem Umfang zu absolvieren, zertifizierte Teilqualifikationen angeboten werden.

Anerkennung von Kompetenzen
Ausbildung in modularisierter Form kann Jugendlichen eine größere Flexibilität beim Erwerb beruflicher Qualifikationen eröffnen. Dabei sind zusätzliche Möglichkeiten der Anerkennung von bisher erworbenen Kompetenzen (auch im Bereich des non-formalen Lernens) ein wichtiges Element. In diesem Sinne bietet sie den Jugendlichen Chancen. Sie darf aber nicht dazu führen, dass nur noch arbeitsmarktverwertbare Qualifikationen/ Kompetenzen vermittelt werden.

Relevanz sozialer Kompetenzen erkennen
Ein auf Langfristigkeit angelegter Bildungsanspruch bietet nicht nur den Jugendlichen größere Chancen, sondern erfüllt auch aufgrund der breiteren Wissensvermittlung die Anforderung eines lebensbegleitenden Lernens. Berufsausbildung muss also neben der Vermittlung von fachlichem Wissen, von berufsspezifischen Kenntnissen und Fertigkeiten, einen ganzheitlichen Lernprozess im Bereich personaler und sozialer Kompetenzen in Gang setzen.

Dauerhafte und verlässliche Strukturen
Eine Ausbildung in modularisierter Form darf nicht dazu führen, dass nach einer Grundqualifikation nur noch betriebsspezifisch ausgebildet wird. Entscheidungen, ob und welche Wahlmodule absolviert werden können, soll der junge Mensch (insbesondere nach Beratung durch einen freien Träger) treffen. Zeitliche Entwicklungsräume mit der Möglichkeit der Unterbrechung müssen gewährleistet werden. Hauptziel muss dabei der qualifizierte Abschluss der Berufsausbildung bleiben. Jugendliche mit erhöhtem Förderbedarf benötigen verlässliche Unterstützungsstrukturen in der Berufsausbildung. Diese müssen daher dauerhaft verankert werden. Für Jugendliche mit ungünstigen Bildungsvoraussetzungen bietet die mehrjährige Berufsausbildung einen stabilen Rahmen für Qualifikationserwerb und Lebensführung.

Mit individueller Förderung erfolgreich zum Berufsabschluss. – Forderungen und notwendige Handlungsschritte ##Bereits vorhandene Konzepte auf Bundes- und Landesebene sollten durch das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) aufbereitet und auf ihre Realisierbarkeit hin überprüft werden. Die Wirksamkeit und Funktionsweise der unterschiedlichen Modelle müssen durch einen breiten, moderierten Diskurs in der Fachöffentlichkeit bewertet werden. In Reformentscheidungen sind alle relevanten Akteure der Berufsbildung – hierzu zählen insbesondere auch die Träger der Benachteiligtenförderung – einzubinden.
##Zur optimalen Entfaltung der Potentiale benachteiligter oder beeinträchtigter Jugendlicher bedarf es im Ausbildungssystem individuell ausgerichteter Modelle. Neben dem Betrieb und dem Jugendlichen selbst, wirken Unterstützer wie freie Träger darin mit. Eine individuelle Förderung in der beruflichen Bildung beinhaltet zeitliche Flexibilität und Durchlässigkeit. Die Struktur der Maßnahmeförderung im SGB II und III ist gegebenenfalls zu Gunsten einer individuellen Förderung zu verändern. Die Unterstützungsstrukturen für Jugendliche orientieren sich dabei am Einzelbedarf der Jugendlichen (Beratung, Begleitung, Zusatzangebote).
##Bei der Reform des Ausbildungssystems sind die Lebenslagen junger Menschen zu berücksichtigen. Neue Ausbildungsmodelle sind im Sinne eines lebenslagenorientierten Jugendintegrationskonzeptes (wie es z.B. die LAG KJS NRW entwickelt hat) zu gestalten. Die Biographie, die Lebenslagen und subjektiven Deutungsmuster der Jugendlichen müssen z.B. in Form von Wahlmodulen stärker zum Ausgangspunkt einer Ausbildung werden. Dadurch erhält berufliche Ausbildung einen eindeutigen partizipativen Charakter, der die Jugendlichen in ihrer Lebenssituation ernst nimmt.
##Es müssen Begleitstrukturen zur Ausbildung benachteiligter Jugendlicher für das Personal in Betrieb, Berufsschule und beim Träger (Teambildung, Beratung, Fortbildung) mit dem Ziel einer aufeinander bezogenen Arbeits- und Berufsschulpädagogik fußenden Lernortkooperation geschaffen werden.
##Zur Integration von mehr Benachteiligten in eine betriebliche Ausbildung muss ergänzend die bundesweite Förderung trialer Ausbildungskonzepte in Kooperation von Betrieben, Berufsschulen und Jugendberufshilfe gefördert werden. Der Betrieb übernimmt hier die praktische Qualifizierung, die Berufsschule den fachtheoretischen und allgemeinbildenden Teil und die Jugendberufshilfe die kontinuierliche Begleitung der Jugendlichen. Hierzu gehört neben der sozialpädagogischen Begleitung die Förderung der Ressourcen der Jugendlichen, Stützunterricht und die Vertiefung fachtheoretischer und fachpraktischer Inhalte. In diesem Konzept geht die Initiative vom Jugendlichen und vom Betrieb aus, die den entsprechenden Träger auswählen. Es kommt zu einem Vertragsverhältnis zwischen dem Jugendlichen, dem Betrieb und dem Träger. Zusätzlich sind Jugendliche mit besonderem Förderbedarf weiterhin in außerbetrieblichen Einrichtungen zu fördern.
##Modernisierungsmodelle für das duale System haben oftmals die Lernorte Schule und Betrieb im Fokus. Für die spezielle Förderung benachteiligter junger Menschen nehmen Bildungsträger als Lernorte, im Ausbildungsmanagement, in der sozialpädagogischen Begleitung sowie beim Stützunterricht eine zentrale Rolle ein.
##Die Entwicklung von inhaltlich und zeitlich flexiblen Ausbildungsbausteinen als Instrument der Individualisierung muss in ein einheitliches Konzept eingebunden sein (Berufsprinzip oder Berufsgruppenprinzip). Qualifizierungen unterhalb des Systems der geregelten Ausbildungsberufe sind in das Ausbildungssystem
zu integrieren. Eine gesetzliche Regelung, die die notwendige Flexibilität und Anschlussfähigkeit für eine erfolgreiche Ausbildung benachteiligter Jugendlicher gewährleistet, ist von der Politik umzusetzen. Dies ist auch bei der Neuordnung von Ausbildungsberufen zu beachten. Eine Finanzierung muss gemeinsam durch den Bund und die Länder erfolgen.
Die Erfahrungen, die junge Menschen am Übergang Schule – Ausbildung – Beruf machen, sind häufig nicht entwicklungsfördernd. Insbesondere junge Menschen mit hohem Förderbedarf sind auf ein individuell zugeschnittenes Angebot und auf eine kontinuierliche Begleitung durch Bezugspädagogen angewiesen. Eine Ausbildungspraxis, die dies stärker berücksichtigt, ist anzustreben. Die Katholische Jugendsozialarbeit bietet sich an, ihre vielfältigen Erfahrungen in einen Reformprozess einzubringen.“

Positionspapier_der_BAG_KJS_Inklusion_Jetzt_Berufsbildung

Stellungnahmen Presse

Quelle: BAG KJS

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